Klassik:Energie im Stadl

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Furioser Auftakt der Kulturwald-Festspiele

Von Andreas Meixner, Deggendorf

Das Eröffnungskonzert der Kulturwald-Festspiele musste vieles sein: Da durften die Grußworte des Intendanten Thomas E. Bauer nicht fehlen, das reizende Resultat des Kinderworkshops mit dem bulgarischen Trio Dilma wurde präsentiert; und es gab den Fritz-Goller-Musikpreis für den Dirigenten Christoph Spering, der zwar nicht anwesend war, aber für seine Verdienste um die geistliche Musik geehrt wurde. Erst nach fast einer Dreiviertelstunde betrat das Solistenensemble der Capella Augustina mit Chouchane Siranossian an der Spitze das Podium.

Zunächst stand Telemanns Ouvertüre-Suite in h-Moll auf dem Programm. Mehr als 600 Werke dieser Art soll er geschrieben haben. Gediegene Tafelmusik, das höfische Easy Listening seiner Epoche. Und das muss gar nicht so despektierlich gemeint sein, vor allem dann, wenn es als gute Musik begriffen wird. Das gelang den Streichern mit einer feinen, transparenten Klangsprache, die sich noch über den ganzen Abend als tragfähig erweisen sollte. Trotzdem wirkte Bachs beliebtes Doppelkonzert in e-Moll in der direkten Folge zwar kompositorisch wertiger und ernsthafter, aber im Eindruck seltsam blass, und fast konventionell gespielt. Daran hatte auch der Deggendorfer Kapuzinerstadl seinen Anteil: Nur wenig war er bereit, sich akustisch zu beteiligen und die Arbeit der Musiker mitzutragen. Eine Knochenarbeit für die historische Aufführungspraxis.

Dessen ungeachtet, schmissen sich Chouchane Siranossian und die Capella Augustina nach der Pause furios in die Partitur der Vier Jahreszeiten von Vivaldi. Oder, um es gleich vorweg zu sagen: Sie rockten den Saal! Das lag nicht etwa an extremen Tempi, mit denen man gerne Barockmusik zu Artistiknummern degradiert. Nein, es war die pure Freude am Spiel, am gemeinsamen Musizieren voller Energie und Leidenschaft. Phrasen wurden körperlich aufgenommen, die technisch über allem stehende Solistin und Jakob Lehmann am 1. Pult spielten sich kokett die Bälle zu, waren im Dialog, die Sologeige wurde zum Primus inter Pares ohne den absoluten Anspruch auf die Rolle des Stars. Gekonnt wurde blitzschnell die Dynamik justiert, abphrasiert und wieder Gas gegeben. Bei aller Präzision schien es genug Raum für Improvisation und Spontanaktionen zu geben. Das aufmerksame Continuo reagierte wie in einer Jazz-Combo, grundierte zudem kraftvoll die Virtuositäten der Violinen. Klar, dass Neues entstehen konnte. Der berühmte 2. Satz des Winters war nicht mehr bloßer Kitsch, sondern erhielt mit dem harten und kraftvollen Pizzicato eine neue Dynamik und Klangfarbe. So war es am Ende nicht verwunderlich, dass das Publikum begeistert applaudierte und einen gelungenen Auftakt der kommenden zwei Festspielwochen feierte.

Der Kulturwald muss allerdings in seinem neunten Jahr aufpassen, nichts von seinem klaren Profil zu verlieren. Im prallvollen Jahresprogramm ist auf den ersten Blick nicht mehr erkennbar, wo das Kulturwald-Festival beginnt und wohin es sich abgrenzt. Die Marke droht von der Strahlkraft des international so gefeierten Blaibacher Konzerthauses überblendet zu werden, fast in ihr aufzugehen. Vielleicht ist der Weg dorthin schon eingeschlagen. Das wäre schade.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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