Kinolegenden:Die Schuld des Überlebens

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Der neue Clint-Eastwood-Film "Blood Work" ist ein meisterlicher Thriller.

Hans Schifferle

(SZ vom 21.11.2002) - Wenn man in den siebziger Jahren angefangen hat, ins Kino zu gehen, dann konnte man die ganz großen Stars wie John Wayne, James Stewart oder Robert Mitchum noch in neuen Filmen auf der Leinwand sehen. Man fieberte mit diesen Akteuren in der Abenddämmerung ihrer Karriere: wie lange könnten sie wohl noch die Helden geben, wie lange wären sie noch attraktiv für Frauen? Man wusste, wenn es mit ihnen vorbei ist, dann hat eine Ära geendet.

Eastwood thematisiert in "Blood Work" sein Alter und seine Gebrechlichkeit. (Foto: N/A)

Wenn man heute mit seinen Freunden diskutiert, ob es in der Zeit der Teenie-Idole wie Leonardo DiCaprio oder Matt Damon noch richtige Altstars gäbe, fallen einem erst mal Sean Connery und Paul Newman ein. Und dann kommt natürlich - Clint Eastwood. Verdammt, der Bursche, dessen Filme wir seit über dreißig Jahren sehen, hat die Siebzig längst überschritten. In seinem neuen Film "Blood Work", nach einem Roman von Michael Connelly, thematisiert er ausdrücklich sein Alter und seine Gebrechlichkeit, so wie das Wayne und Mitchum in "El Dorado" getan haben. Wie alle Eastwoodfilme ist auch "Blood Work", der besonders eng mit seiner Persona und seinem Œuvre verknüpft scheint, ein Ereignis, ohne ein Event zu sein. Vielleicht ist Eastwood einer der letzten Vertreter eines Living Cinema aus lebendiger Erinnerung und gelebter Vision.

Der neue Film beginnt mit einem Topos des Cop-Thrillers, bei dem der Held in einer Action-Sequenz auf schwindelerregende und schmerzliche Weise an seine Grenzen gelangt und schließlich gezwungen wird, zu sich selbst zu finden. Clint Eastwood in der Rolle des FBI-Profilers McCaleb, der kurz vor der Pensionierung steht, jagt einen Serienmörder, den berüchtigten Code-Killer, der an jedem Tatort für seine Verfolger und speziell für McCaleb eine blutige Nachricht hinterlassen hat. McCaleb hetzt den phantomhaften Killer in eine Seitenstraße, aber als der Psycho über einen Zaun klettert, kommt er nicht mehr mit. Er ist am Ende seine Kräfte, sein Herz droht zu explodieren. Ein unglaublicher Moment: wie der Schattenriss des Killers einer verlorenen Seele gleich sich zurückwendet zu McCaleb, in einer zugleich bedrohlichen und zärtlichen Annäherung. Mit letzter Kraft, bevor es dunkel wird um ihn, kann McCaleb den Mörder-Punk in die Flucht schlagen, vorläufig exorzieren.

Zwei Jahre vergehen, dann beginnt McCalebs zweite Chance, sein neues Leben. Er hat gerade eine Herztransplantation überstanden. Die ruhige, toughe Kardiologin Bonnie Fox, gespielt von Anjelica Huston, untersucht seine Blutbahnen, so wie er als Profiler die Straßen der nächtlichen Stadt und die Pfade der düsteren Psyche erkundet hat. Fragil wirkt er, bleich sieht er aus wie einst der"Pale Rider" oder der lungenkranke "Honkytonk Man". Aber die Beharrlichkeit, die Besessenheit des "Dirty Harry" liegt immer noch in seinem Blick.

Die riesige Operationsnarbe, die sich über seinem Torso ausbreitet, ist wie der Endpunkt des Körperkinos, die Apotheose aller Eastwood- Verwundungen seit den Leone-Western: monströs und märtyrerhaft, die Nähte zwischen Leben und Tod, Erschöpfung und Elektrifizierung aufzeigend. Transplantation ist ein durchdringendes Thema dieses komplexen Films. Dabei geht es nicht nur um die Einpflanzung eines Organs, sondern um die Übertragung von Gefühlen und Ängsten, von Geist und Seele. Es geht auch, wie in den Mordfällen des ehemaligen Profilers, um das Ineinander von Leben und Fiktion, um Living Cinema.

McCaleb erfährt bald, dass das neue Herz, das in ihm schlägt, einer mexikanischen Frau gehört, die Opfer eines ungelösten Verbrechens wurde. Ein weibliches corazón im Körper eines alten Macho, das Herz eines Opfers in der Hülle eines einsamen Jägers - das setzt transgressive, auch ironische Gedankenspiele in Kraft, die einen taumeln lassen. Und die Verquickung von innen und außen, von männlich und weiblich, deutet ein altes Eastwood-Anliegen an: dass man dem Schein der Realität nie vertrauen soll.

Die Schuld des Überlebenden belastet McCaleb. Hier korrespondiert die Figur wieder mit Eastwood selbst, der in seiner langen Karriere immer ein survivor war. Warum hat gerade er als alter Mann ein passendes Herz gefunden? Bedeutet dies eine Verpflichtung? Als ihn die schöne Graciella (eine Entdeckung: Wanda De Jesús) als Detektiv reaktiviert, um den Mord an ihrer Schwester aufzuklären, jener Frau, deren Herz er in seiner Brust trägt, wird die Mörderjagd auch zu einer Suche nach Erlösung. Graciella, sie ist eine Grazie, die Gnade bringt.

Das Kalifornien, in dem die Geschichte situiert ist, L.A., das County und der Hafen, in dem McCaleb sein Hausboot liegen hat, besitzt einen mexikanisch-melancholischen Touch. Es wirkt in einem Licht, von dem man nie genau weiß, ob es fahl ist oder klar, wie ein Garten von Gut und Böse voller sinnlicher, aber versprengter und trauriger Menschen. Die Ärztin Bonnie Fox oder die farbige Polizistin aus dem Sheriffdepartement oder McCalebs Loser- Nachbar Buddy Noone (Jeff Daniels): sie alle scheinen einsam zu sein, ohne Beziehungen, ohne Kommunikation. Die Jagd nach einem Mörder bringt sie zusammen, macht sie für Momente beinahe zu einem Team, zu einer Familie, zu einem Körper mit dem Killer als teuflischen agent provocateur.

Eastwoods Inszenierung, die in der Beziehung von Profiler und Killer auch das Verhältnis von Akteur und Regisseur thematisiert, ist schnörkellos und unprätentiös, ökonomisch und elegant. Er erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern deutet ein Netz, einen Organismus von Storys an. Was etwa geschieht mit der farbigen Polizistin? Was war einmal zwischen ihr und McCaleb, zu wem kehrt sie jetzt heim nach aufwühlender Arbeit? Und was geschieht mit dem kleinen Jungen, dem McCaleb einen Blick zuwirft im Hospital. Wird er sein Herz finden für eine erfolgreiche Transplantation? Und was bedeutet das wieder: den Tod eines Anderen. Es mag pathetisch klingen: aber es sind gerade Filme wie "Blood Work", die zu Wegbegleitern werden, an die man sich erinnert in entscheidenden Situationen des Lebens.

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