Kino: Mothman Prophezeiungen:Nie Motten ans Licht

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Beflügeltes Kino - Mark Pellingtons "Mothman Prophezeiungen"

TOBIAS KNIEBE

Im Kosmos menschlicher Horrorvisionen, so mag es scheinen, hat die Motte erst spät einen angemessenen Platz gefunden. Sie war der Schrecken der Hausfrau, immerhin, bekannt für ihr rücksichtsloses Zerstörungswerk an Tweedsakkos und Zobelpelzen. Sie musste mit stinkenden Kugeln in Schach gehalten werden und hatte, wenn man sie in Aktion überraschte, manchmal beunruhigende Muster auf den Flügeln. Als die "Encyclopedia Britannica" von 1911 erschien, erlebte die Motte einen ersten größeren Auftritt als Monster: War dort doch von einem Exemplar der "Erebus odora" die Rede, gefunden auf einer Expedition in Ecuador, das beim Leser leises Frösteln hervorrufen musste: Mit einer Flügelspannweite von mehr als 19 Zentimetern. Hier wiederum knüpft Thomas Harris im "Schweigen der Lämmer" an, als er Clarice Starling zu den Entomologen schickt. Dort legt sie eine Motte vor, die aus der Kehle einer weiblichen Wasserleiche geborgen wurde. Es ist, wie sich herausstellt, dieselbe Erebus, auch genannt Schwarze Hexenmotte, die größte bekannte Art. Sie hat zwei Punkte auf den braun und blau irisierenden Flügeln, die verdammt wie Augen aussehen, und spielt bei der Ergreifung des Täters eine wichtige Rolle.

(Foto: SZ v. 25.04.2002)

Eine Regel zeichnet sich hier bereits ab: Der Schrecken der Motte nimmt im Quadrat zu ihrer Größe zu, und das wichtigste Kennzeichen sind die ominösen "Augen". "Die Mothman Prophezeiungen", der neue Film von Mark Pellington, sprengt hier alle bekannten Dimensionen: Es geht um eine Motte von bisher unvorstellbaren Ausmaßen - so groß, dass sie halb Tier, halb Mann sein könnte, ein spirituelles Wesen, ein Todesbote; eine Erscheinung vielleicht sogar, die schon die amerikanischen Indianer als "Donnervogel" kannten und die alten Inder als Flügelwesen "Garuda".

Der Film selbst zeigt dieses Wesen, klugerweise, als undefinierbare Erscheinung aus Lichtmustern, Schatten und Unschärfen und überlässt das meiste der Phantasie. Alle Zeugen, die befragt werden (und der größte Teil des Films besteht aus Zeugenbefragungen) berichten aber von riesigen schwarzen Schwingen und schrecklichen, glühend roten Augen. Das ist ganz schön gruselig: Die Motte, könnte man sagen, erreicht hier erstmals ihr volles Potenzial. Pellington geht aber noch weiter: Sie hat, behauptet er, den Menschen seit Jahrtausenden schreckliche Botschaften gebracht - und wo sie auftaucht, ist größeres Unheil zu erwarten.

Dies waren schlechte Nachrichten für das verschlafene Städtchen Point Pleasant, West Virginia, in den Jahren 1966 und 1967. Dort kam es zu gehäuften Sichtungen des unheimlichen Wesens, das von Reportern bald "Mottenmann" getauft wurde - und die Zeugen waren derart normale, weithin respektierte Mitbürger, dass die Sache einige Aufmerksamkeit erregte. Am 15. Dezember 1967, dreizehn Monate nach dem ersten Auftauchen der Kreatur, ereignete sich eine historisch verbürgte Katastrophe, die hier nicht vorweggenommen werden soll - sie erlaubt es Pellington aber, seinem Film das Label "Based on a true story" voranzustellen.

Ansonsten verlegt Pellington die Geschichte in die Gegenwart: Richard Gere spielt einen Reporter der Washington Post, der erstmals mit dem Mottenmann konfrontiert wird, als seine sterbende Frau Visionen davon hat. Dann wird er auf unerklärliche Weise nach Point Pleasant verschlagen, wo er sich mit Hilfe einer unerschrockenen Polizistin (Laura Linney) an die Erforschung des Phänomens macht. Dabei wandelt er sich immer mehr vom Beobachter zum Beteiligten - spätestens dann, als auch noch so genannte "Men in Black" auftauchen, die alles vertuschen wollen, und der Mottenmann telefonisch mit ihm Kontakt aufnimmt...

Wie immer, wenn man tief ins Reich des Paranormalen hinabsteigt, ist eine Lösung schon bald nicht mehr zu erwarten - das wäre natürlich auch zu einfach. Stattdessen kommt ein anderes Problem zum Tragen: Richard Gere ist inzwischen, für Hollywood-Verhältnisse, selbst so eine Art Mottenmann: Wo er auftaucht, ist gleichfalls größeres Unheil zu erwarten. Der Satz "Sogar Richard Gere fand es schlecht" gilt in der Filmfabrik als endgültiges Todesurteil für jedes Drehbuch. Seine letzten Werke bestärken den lange schwelenden Verdacht, dass seine emotionale und schauspielerische Spannweite tatsächlich ungefähr 19 Zentimeter beträgt. Das reicht für einen einzigen Typen: Das glatte, selbstverliebte Arschloch, dass in allerletzter Sekunde noch gerettet wird ("American Gigolo", "Pretty Woman") oder auch nicht ("Internal Affairs"). Damit wäre ein Großteil der gelungenen Gere-Filme schon aufgezählt. Er mag Buddhist sein, aber das einzige Wesen, das er wirklich liebt, ist er selbst - und das merkt man leider in jeder Einstellung. So richtet er schließlich auch diesen Film zugrunde - da hilft die visuelle Brillanz von Mark Pellington, der den sehr guten "Arlington Road" vorgelegt hatte, am Ende wenig. Und die Motte schließlich - sie erlebt im Moment die volle Janusköpfigkeit der modernen Gesellschaft: Nun steht sie, das prototypische Nachtwesen, hell im Scheinwerferlicht der Medien und genießt ihre 15 Minuten des Ruhms. Aber Dämonisierung und Ausbeutung sind bereits da - und auch das erste "Mottenluder" ist ganz sicher nur noch eine Frage der Zeit. THE MOTHMAN PROPHECIES, USA 2002. Regie: Mark Pellington. Buch: Richard Hatem, nach dem Buch von John A. Keel. Kamera: Fred Murphy. Schnitt: Brian Berdan. Musik: Tomandandy. Mit: Richard Gere, Laura Linney, Debra Messing, Will Patton, Lucinda Jenney, Alan Bates David Eigenberg, Bob Tracey. Concorde, 119 Minuten.

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