Kino in der Krise:Klappe zu, Affe tot - es riecht schon

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Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt, aber die Aussichten für die Zukunft des Lichtspiels sind eher trostlos.

Tobias Kniebe

In diesem Tagen kann man die Steine förmlich rumpeln hören, die den Mächtigen in Hollywood von den Herzen fallen. Ein katastrophaler Sommer, ein schwacher Herbst - so dringend wie selten zuvor haben die Studiobosse im Jahr 2005 auf Erfolgsmeldungen gewartet.

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Hollywood hofft auf einen Mega-Erfolg durch den Mega-Affen. (Foto: Foto: AP)

Viel zu wenig hat an der Kinokasse gezündet, mit großer Regelmäßigkeit blieben die Filme hinter den Erwartungen zurück - nur "Harry Potter", der brave Zauberlehrling, war so etwas wie die letzte Bastion der Verlässlichkeit: Teil IV legte die bisher besten Zahlen der Serie hin und den viertbesten Starttag überhaupt.

Eine dringend benötigte Atempause - bis ein gewisser Riesenaffe, der am 14. Dezember in die Kinos stürmt, weitere Erleichterung bringen soll.

Nüchterne Analysten kann das alles jedoch nicht mehr beruhigen: Vergleicht man die Ergebnisse bis zum 25. November, liegen die US-Gesamteinnahmen derzeit sieben Prozent unter dem Vorjahr - das läuft, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, auf den stärksten Umsatzrückgang seit zwanzig Jahren zu.

"Hollywood in der Krise"-Meldungen und "Hollywood gehen die Ideen aus"-Essays sind nun allerdings seit Jahren sehr beliebt, innerhalb der Filmberichterstattung bilden sie ein eigenes Subgenre, und die reale Geschäftsentwicklung war dabei nie ein ernstes Kriterium.

Man ist also gewohnt, solche Texte als aufgeregtes Geschnatter abzutun - und läuft nun Gefahr, einen möglicherweise doch recht fundamentalen Umbruch zu übersehen. Diesmal sind die Zahlen alarmierend, sie stehen für Umsatzausfälle in der Größenordnung von 500 Million Dollar, und selbst "King Kong" wird nicht mehr reichen, um die Vorzeichen umzudrehen.

Grund genug, die Erklärungsmuster, mit denen die Branche selbst zu beruhigen sucht, einmal gründlicher zu betrachten.

Schlichtweg zu schlecht

Ganz oben auf der Liste der möglichen Sündenböcke: die Filme. Zu formelhaft, zu risikoscheu, zu überraschungsarm, schlichtweg zu schlecht. Weil Hollywood für die Qualität seiner Ware natürlich selbst verantwortlich ist, kommt diese Art der Selbstanklage immer gut an. Und überhaupt: Hat der Gedanke nicht etwas Tröstliches, dass auch die Kreativität von Filmemachern gewissen Schwankungen unterliegt, die vom aufmerksamen Publikum sofort bemerkt werden?

Die Idee der zyklischen Qualitätskurve folgt der alten Theorie von "Boom & Bust": Läuft es gut an der Kinokasse, geben die Studios jede Menge Schrott in Auftrag, die Startlisten müssen schließlich gefüllt werden. Kommen diese Filme dann heraus, rebellieren die Zuschauer, die Krise ist da und zwingt dazu, wieder mehr auf Qualität zu setzen - und sofort, ad infinitum.

Ausreißer gesucht

Die Wahrheit ist jedoch eher, dass man Qualität nur sehr begrenzt planen kann, dass sich unerklärliches Scheitern und überraschendes Gelingen ziemlich die Waage halten. Wenn man die Summe der Kritiken als Indikator nimmt, scheint das Jahr 2005 da keine Ausnahme zu sein. "Batman Begins", "Jungfrau (40), männlich, sucht...". "Mr. & Mrs. Smith", "Charlie und die Schokoladenfabrik" und "Die Hochzeits-Crasher" sind Beispiele für Filme, deren Qualität von der amerikanischen Kritik überwiegend gelobt wurde - und die dann auch die Gewinnerwartungen erfüllt oder sogar übertroffen haben.

Überhaupt ist die Grundannahme, dass schlechte Filme zwangsläufig schlecht laufen, generell nicht bewiesen. Es gibt eigentlich jedes Jahr Ausreißer wie "Fantastic Four", "Der Babynator" oder "Spiel ohne Regeln", die - obwohl weithin verrissen - beachtliche Ergebnisse einfahren.

Damit wird die Lage aber erst richtig unangenehm - denn das hieße ja auch, dass die Krise durch bessere Qualität allein nicht zu stoppen wäre. Das herrschende Mantra der Studios - "Nächstes Jahr wird alles besser, da haben wir ,Superman Returns', ,Mission Impossible 3', ,X-Men 3' und den neuen Bond" - verliert somit stark an Überzeugungskraft.

Die todsicheren Blockbuster sind ohnehin nicht der einzige Faktor, der über ein Kinojahr entscheidet - auch in diesem Sommer gab es schließlich "Star Wars Episode III" und "Krieg der Welten". Diese Erfolge aber sind einkalkuliert und längst im Businessplan eingetragen, sie ändern wenig an der Gesamtbilanz.

Eine neue Denkschule fokussiert sich deshalb auf Überraschungshits. Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren immer mindestens einen Film, der mit keinerlei Erwartung verbunden war und praktisch aus dem Nichts kam, dann aber das Publikum im Sturm eroberte und geradezu aberwitzige Umsätze brachte - Mel Gibsons "Die Passion Christi" etwa oder davor "My Big Fat Greek Wedding". Solche Hits sind jedoch per definitionem unkalkulierbar.

Die Ausrede "Es gab leider keinen großen Überraschungshit" klingt aus dem Mund eines Studiochefs auch deshalb reichlich absurd, weil seine Aufgabe schließlich wäre, wenigstens für den großen Rest der Filme eine sinnvolle Strategie zu finden.

Unter dem Radar

Nur welche? Horror funktioniert nicht mehr so sicher wie in den Jahren zuvor, junge Männer bleiben stärker fern als bisher, und testosterongeladene Filme wie "Stealth", die sie eigentlich anlocken sollten, verfehlten in letzter Zeit jede Wirkung.

In kleinerem Maße laufen erwachsenere Stoffe, die sich stärker auf die Realität einlassen, etwa das Rassismusdrama "Crash" oder die Tierdokumentation "Marsch der Pinguine", in der besonders konservative Besucher sogar Familienwerte wie Monogamie und Treue entdeckten.

Okay, damit könnte man arbeiten, das sind Trends im Kleinen, auf die man reagieren kann. Was aber, wenn auch sie nicht alles erklären, wenn es überhaupt nicht mehr nur an den Inhalten liegt? Dann rückt auf einmal das Medium Kino selbst in den Mittelpunkt.

Jetzt wird's ernst

Denn eines bezweifelt keiner mehr: Das Geschäft ist 2005 noch einmal schneller, hektischer geworden, die Aufmerksamkeitsspanne sinkt, mancher Film, der am ersten Wochenende noch mächtig gestartet war, konnte am zweiten schon fast verschwunden sein. Das muss auch mit Dingen zusammenhängen, die sonst im Entertainmentgeschäft geschehen: Video-on-Demand, DVD-Verleih im Internet, High Definition TV, Portable Playstations, Beamer, Flachbildschirme, Home Theatre - die Zahl der Kanäle, auf denen Hollywood seine Ware verkauft, nimmt ständig zu, überall werden heftige Steigerungsraten verzeichnet.

Und das ist die eine Erkenntnis aus der Krise, an der kaum noch zu zweifeln ist: Es wird ernst für das Prinzip Lichtspielhaus, für das Gruppenerlebnis im verdunkelten Zuschauerraum. Die Studios werden sich bald anpassen, Vordenker wie Disney-Chef Robert Iger oder Regie-Rebell Steven Soderbergh propagieren schon das gleiche Recht für DVD, HDTV und Filmkopie, den gleichen Starttag für alle.

Das mag für Kinobesitzer höchst bedenklich klingen, aus der Sicht der Filmemacher ist es nur konsequent - sie stellen schließlich nur Software her, die im Prinzip überall abspielbar ist. Ihre mythische Verknüpfung mit dem, was wir Kino nennen, bezeichnet vielleicht nur eine historische Epoche.

Niemand will es hoffen - aber 2005 könnte tatsächlich das Jahr werden, das mit normalen Erklärungen nicht mehr zu fassen war: Das Jahr, indem die überzeugten Kinogänger, vergleichbar den Vinylsammlern, endgültig den langen Marsch zum puristischen Connaisseur antrat - während die Zapping- und Multitasking-Gesellschaft ihrerseits begann, sich von einer ihrer letzten Zumutungen zu verabschieden: Sich zwei Stunden lang im Dunkeln nicht vom Fleck zu bewegen, weder vor- noch zurückzuspulen - und sich wirklich zu konzentrieren.

© SZ vom 28.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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