Kino:"Herr Lehmann" - die Nächte des Dandys

Lesezeit: 3 min

Was ist schon Lebensinhalt - Leander Haußmann verfilmt Sven Regeners Roman "Herr Lehmann".

Der Mantel ist es, der einen stark beschäftigt in diesem Film. Dieses unförmige, schluderige Ding, mit dem der Held, Herr Lehmann, durch die Kreuzberger Nächte trabt und das zum Repräsentieren zu formlos-schlabbrig, zum Wärmen aber viel zu kurz ist. Das Ding vermittelt einen Touch von Obdachlosigkeit, lässt einen an Überwinterung und Wiederaufbauzeit denken, und wie diese schnurstracks in den Kalten Krieg führte. Der Junge ist einfach ohne es zu merken aus seinen Klamotten herausgewachsen, es sind die letzten Abenteuer der Jugend, auf denen wir ihm folgen, im Spätherbst 1989 - in kürzester Zeit wird er dreißig sein, und zwar genau an dem Tag, an dem in Berlin die Mauer fällt.

Von Abenteuern kann natürlich nicht wirklich die Rede sein, auch wenn der Film in den ersten zwanzig Minuten mit praller Action daherkommt. Es beginnt mit einem Duell Mann gegen Hund, ums Passierrecht auf einem Kreuzberger Bürgersteig, im Morgengrauen ausgetragen in strengem Italowestern-Ritual und entschieden letztlich durch den Inhalt einer Flasche Whisky. Danach kommt gleich der nächste Schlag, ein Anruf der Eltern Lehmann, die ihren Besuch ankündigen, weil sie mal sehen wollen, wie ihr Sohn in der Fremde lebt. Gleich darauf dann die Konfrontation mit der neuen schönen Köchin in der Kneipe, wo Herr Lehmann arbeitet, und ein Disput in der Frage "Schweinebraten am Vormittag".

Der Bezirk Kreuzberg SO36 hat in den Achtzigern radikal seine Eigenständigkeit behauptet, sogar dem Rest-Kreuzberg gegenüber, und hat tapfer alle Konsequenzen ertragen, die sich daraus ergeben. Eine fatale Stagnation zum Beispiel, die immer erst mal zur Flucht an den Tresen tendiert, wo man dann, mangels besserer Ziele und Motivationen, den Rest des Tages und der Nacht hocken bleibt. Was sicher nicht verkehrt ist, wie ein unerklärlicher spontaner Ausflug ins Freibad uns zeigt, bei dem man auch im Kinosessel das Frösteln anfängt.

Am Tresen hat Herr Lehmann dagegen einen warmen Arbeitsplatz, in einer Kneipe mit dem schönen Namen Einfall, unter der Obhut seines Freundes Karl. Wo zwischen dem Bierzapfen und dem liebevollen Ausspähen der Gäste immer auch ein Plätzchen bleibt für echte Kneipenphilosophie. Der Begriff Lebensinhalt zum Beispiel: Hat das Leben einen Inhalt, und muss es, um einen zu haben, als ein Gefäß vorgestellt werden, und was, wenn dieses Gefäß ein Loch hat . . .

Es ist diese Sprachverliebtheit, die Leander Haußmann an dem Buch von Sven Regener, Sänger von Element of Crime, fasziniert hat: "Das muss sich erst mal einer trauen: so zu schreiben, so dandyhaft, so verspielt, so selbstverliebt." Man könnte hier natürlich an bajuwarische Bierkämpfe erinnern und philosophische Exkurse rund um den Starnberger See, aber das wäre eine ganz andere Geschichte . . . Leander Haußmann traute sich, den introspektiven Buch-Lehmann gegen den Strich zu besetzen, mit dem coolen MTV-Star Christian Ulmen - ein Besetzungscoup so kühn, wie keiner war, seitdem Hitchcock den dicklichen Norman Bates des "Psycho"-Romans von Tony Perkins spielen ließ. Christian Ulmen ist, mit seinem Muttermal und seinem zerzausten Schopf, mit seiner sanft kratzenden Stimme und einem ins Nichts zielenden Blick ein ziemlich smarter Lehmann. Keine Spur von Schelm oder Simplicissimus - weshalb die Szene merkwürdig ins Leere läuft, als er beim Übergang in den Ostteil der Stadt mit fünfhundert DM für die Oma erwischt wird. Aber vielleicht wurde das auch nur so schön ausgespielt, um Thomas Brussig als Grenzbeamten ins Spiel zu bringen, der das Buch zu Haußmanns erstem Film "Sonnenallee" schrieb.

Anachronismus ist fest eingeplant im Haußmann-Programm, aber andererseits kann Treue der Vorlage gegenüber nicht die Sache des Kinos sein. Kein literarischer O-Ton also, es wird gespielt mit der Sprache in diesem Film, in der Tradition des Boulevard-, aber auch des absurden Theaters. Von Wilde bis Beckett also, denn es geht um den Sound und den einzelnen Satz mehr als um jede Bedeutung, um Formeln mehr als um Inhalte. Das ist natürlich nicht unbedingt neu im Kino, und Haußmann zeigt offen, dass er Kino macht in der Tradition von Lubitsch und Wilder, aber auch der deutschen Schwänke und Klamotten der fünfziger Jahre. Und Kreuzberg hat er, mit der Hilfe des großartigen Kameramanns Frank Griebe, so luminos inszeniert, wie Billy Wilder das Pariser Markthallen-Viertel in "Irma la Douce" oder Otto Preminger die Straßen von Brooklyn in "Der Mann mit dem goldenen Arm". Hollywood steht am Horizont, und am Ende merkt man, dass doch ein Abenteuer in diesen Wende-Tagen stecken kann. Das eines Dandys, der nicht mehr erwachsen werden muss.

FRITZ GÖTTLER

HERR LEHMANN, D 2003 - Regie: Leander Haußmann. Buch: Sven Regener. Kamera: Frank Griebe. Schnitt: Peter R. Adam. Musik-Konzept: Charlotte Goltermann. Mit: Christian Ulmen, Katja Danowski, Detlev Buck, Janek Rieke, Hartmut Lange, Michael Gwisdek, Thomas Brussig. Basis, 105 Minuten.

Außerdem laufen an

Amores Possiveis - Mögliche Lieben, von Sandra Werneck

Goff in der Wüste, von Heinz Emigholz

Dumm und Dümmerer, von Troy Miller

Es bleibt in der Familie, v. Fred Schepisi

Jet Lag - Oder wo die Liebe hinfliegt, von Danièle Thompson

Die Ritterinnen, von Barbara Teufel

Die wilden Kerle, von Joachim Massanek

Vampire Hunter D, v. Yoshiaki Kawajiri

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: