Kino: Gosford Park:Nach Gutsherrenart

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Von Herren und Knechten erzählt Robert Altman in seinem Meisterwerk "Gosford Park". Mit Video.

H.G. PFLAUM

Es regnet heftig und sehr englisch an jenem Tag im November 1932, als Mary Maceachran mit Lady Constance von Trentham unterwegs ist ins Wochenende auf Gosford Park. Mylady sitzt blasiert und säuerlich im Fond des Wagens und bekommt ihre Thermosflasche nicht auf. Der Chauffeur muss anhalten, das junge Dienstmädchen steigt aus , um ihrer Herrin hinten im Wagen behilflich zu sein. Dass Mary dabei vom Regen völlig durchnässt wird, stört Lady Constance (Maggie Smith) keineswegs; sie sorgt sich nur um ihre eigene Gesundheit. Ohne die trennende Scheibe in der Limousine, die eine strikte Grenze zieht zwischen der Lady und ihren Bediensteten, hätte sich die Prozedur einfacher erledigen lassen. Später wird die alte Aristokratin erklären, dass sie Mary ausbilde und dafür eigentlich von ihr bezahlt werden müsste.

(Foto: SZ v. 12.06.2002)

Schon in der Eröffnungssequenz von "Gosford Park" scheint Robert Altman für klare Verhältnisse zu sorgen. Der meist untätigen Oberwelt der herrschaftlichen Räume auf dem Landsitz von Sir William McCordle steht die rege Unterwelt der Wirtschaftsräume gegenüber. Einfach freilich funktionieren diese Grenzen nicht, weder für die Beteiligten noch für den Regisseur; die gesamte Struktur des Films beruht auf der ständigen Verschränkung von oben und unten.

Altman ist viel zu klug, um sich auch nur eine Sekunde auf simple Kontrastmontagen zwischen Herren und Dienern einzulassen. Wenn sich die Kamera nach oben begibt, ins Revier der noblen Herrschaften, wird sie meist von irgendeinem Mitglied des Personals begleitet. Drunten in den Wirtschaftsräumen werden die von den Gästen mitgebrachten Diener und Dienerinnen mit den Namen ihrer Herrschaften angeredet; so setzen sich beim Personal die Hierarchien der Aristokraten fort - und mit ihnen auch der Klatsch und die Revierkämpfe.

Spätestens seit "Nashville" (1974) verfügt Altman über die Fähigkeit, eine fast beliebige Anzahl von Figuren gleichzeitig in Bewegung zu halten; damals waren es vierundzwanzig, in "Gosford Park" sind es noch ein Dutzend mehr - in der Originalfassung erhalten sie durch unterschiedliche Dialekte Lebendigkeit. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Ereignisse dominiert über jede epische Chronologie. Das lässt die Geschichte aussehen, als wäre sie das Ergebnis einer gigantischen Live-Übertragung, aufgenommen mit zahlreichen versteckten Kameras. Diese Methode mag durch die neuen Montagemöglichkeiten des Computers erleichtert werden, doch Altman hat sie längst vor Einführung der Avid-Schnittprogramme beherrscht wie kein anderer.

Altmans Film, der sich auch durch eine hinreißende Ensemble-Leistung auszeichnet, wirkt immer wie der Versuch eines Erzählers, herauszufinden, wie weit er gehen kann, ohne die Fäden seiner Geschichte zu zerreißen. Bei weniger souveränen Regisseuren mag das den Spaß am Zuschauen reduzieren, bei Altman fängt mit den Irritationen und Schwierigkeiten der Orientierung der Genuss erst richtig an.

Als Annäherung eines amerikanischen Außenseiters an das europäische Kino erzählt "Gosford Park" gleich mehrere mystery stories und liegt irgendwo zwischen den Krimis von Agatha Christie und Jean Renoirs "Spielregel". Auch bei Renoir trifft sich eine noble Gesellschaft zur Jagd, leidet an ihrer Promiskuität und steht am Ende vor der Leiche eines Ermordeten. Genau da entfernt sich Altman von Agatha Christie: Wer schließlich den alten Sir William McCordle umgebracht hat, ist nicht mehr wichtig, mehrere Verdächtige kommen als Täter in Frage, und sie hätten alle ein plausibles Motiv.

Der amerikanische Regisseur erzählt seine Geschichte von den letzten Tagen einer britisch aristokratischen Schmarotzergesellschaft so vergnüglich aggressiv, als hätte er ständig noch die "Boston Tea Party" im Hinterkopf; er wird nicht müde, immer wieder auf die Giftflaschen zu verweisen, die in dem alten Herrenhaus herumstehen, und auf den Lack, der von den Türen blättert - und doch ist er weit entfernt von der radikalen Haltung Renoirs, der einst befunden hatte, dass es in der "Spielregel" keine Person gäbe, die zu retten der Mühe wert wäre. Altman liebt seine Figuren, auch in ihrer bösen Lächerlichkeit, denn sie bleiben allesamt Teil seines Spiels mit den und gegen die Regeln des Genrekinos.

Kein Zufall, dass im Typen-Arsenal auch Figuren auftauchen, die beruflich mit dem Kino zu tun haben: Morris Weissman zum Beispiel, ein amerikanischer Produzent, der gerade eine neue Folge der Charlie-Chan-Serie vorbereitet - deren Story auffallende Parallelen aufweist zu der, die er auf Gosford Park erlebt. Der Diener, den er mitbringt, entpuppt sich als Schauspieler; für die Amerikaner existiert das Verhältnis von Herr und Knecht nur noch als Fake, um die anderen hinters Licht zu führen. Wenn es nämlich nur noch Rollen sind, die man übernehmen und wieder ablegen kann, dann erweist sich auch die hierarchische Struktur der Aristokratie als Unsinn.

Eingeführt wurde Weissman durch Ivor Novello - und der war wirklich ein Star im Kino und im Musical Englands jener Zeit. Novello hatte 1926 in Hitchcocks "The Lodger" die Hauptrolle gespielt, ebenso im Tonfilm-Remake von Maurice Elvey, 1932, von dem Lady Trentham genüsslich verkündet, es sei ja ein Flop gewesen. Altman lässt seinen Film-Novello auf dem Klavier spielen und singen - Lieder vom realen Novello, der auch als Komponist und Songschreiber Erfolge gefeiert hatte. Während Hausherren und Gäste auf Gosford Park die Darbietungen sichtlich langweilen, hört das Personal vor den Türen heimlich und voller Freude zu: Kino und Musical sind kein aristokratisches Metier.

Ignoriert werden die Klassenschranken von den Aristokraten nur, wenn es um ihr sexuelles Vergnügen geht - damit haben fast alle Intrigen und der Mord an dem Hausherrn zu tun, auch wenn die Ursachen der Tat Jahrzehnte zurückliegen. So geht es auch um zwei verschiedene Haltungen zur Vergangenheit: Die noblen Herrschaften pflegen ihre Traditionen, die Untergebenen leiden an ihren Erinnerungen. Das kann tödlich ausgehen und diese enge Welt für immer verändern.

GOSFORD PARK, USA/GB 2001 - Regie: Robert Altman. Buch: R. Altman, Julian Fellowes. Kamera: Andrew Dunn. Schnitt: Tim Squyres. Musik: Patrick Doyle. Mit: Eileen Atkins, Alan Bates, Emily Watson, Richard E. Grant, Kristin Scott Thomas, Maggie Smith, Helen Mirren, Stephen Fry. UIP, 137 Minuten.

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