Kino: 8 Frauen:Der Voyeur sieht mehr

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"8 Frauen" müsst ihr sein - in seinem neuen Kinomeisterstück kratzt François Ozon am Firnis der Weiblichkeit

TOBIAS KNIEBE

Ein Exzess der Künstlichkeit im Dienst der Wahrheit. Ein Feuerwerk an Starpower, das die Panzer seiner Stars durchbricht. Ein gnadenloser Blick auf die Frauen, der vor allem von Liebe erzählt. Ein Kino des reinen Zitats, das alle Vorbilder transzendiert. Und ein Regisseur, der sich selbst in Ketten legt, um anschließend ein Kunststück der Entfesselung zu vollbringen. "8 Frauen" ist ein Rätsel, ein Kinowunder, ein flamboyant gelungener Film.

(Foto: SZ v. 10.07.2002)

Allein die erste Einstellung: Eine Fahrt durch einen winterlichen Park, ganz offensichtlich gemalt, zu einem Herrenhaus, das ganz offensichtlich Kulisse ist. Alles nur Theater, sagt François Ozon, bitte Abstand halten, simple Überwältigung ist mir zu einfach. Baz Luhrmann, durchaus ein Geistesverwandter, macht dasselbe in "Moulin Rouge" mit seinen Samtvorhängen. Das Haus ist ein Traum der Bourgoisie, und deshalb natürlich: ein Kartenhaus. Leise rieselt der Schnee, ein Reh schaut zum Fenster hinein. So endet ein Film bei Douglas Sirk, "All That Heaven Allows". Schon sind wir mittendrin in den Fünfzigern, die Farben spielen Technicolor. Alles nur Kino, sagt wiederum Ozon - wer kann schon die Bilder vergessen, die Hollywood uns in die Netzhaut gebrannt hat? Aber wahr ist auch: Wo Sirk aufhört, da fängt Ozon überhaupt erst an.

Eine Flucht nach vorn, die sofort zum Overkill der Zeichen führt: Da ist Virginie Ledoyen, das L'Oréal-Gesicht, mit Audrey-Hepburn-Pony, Pferdeschwanz und Rehaugen, die Unschuld in Altrosa. Da ist Catherine Deneuve, die Yves-Saint-Laurent-Ikone, im giftgrünen Lana-Turner-Look, eine Fregatte des Bürgertums mit stahlverstärktem Bustier. Da ist Isabelle Huppert, die mit strengem Agnes-Moorehead-Knoten beginnt, aber ihr Rita-Hayworth-Potenzial schon ahnen lässt. Da ist Fanny Ardant, flammendrot wie Cyd Charisse, aber plötzlich streift sie den "Gilda"-Handschuh ab - schon wieder Hayworth, die Systeme der Repräsentation geraten durcheinander. Emmanuelle Béart schließlich, ein Dienstmädchen-Traum wie von Buñuel, hütet ein Foto ihrer früheren Meisterin - es zeigt Romy Schneider. Die "Vertigo"-Haarschnecke entfesselt sich zur wilden "Belle de Jour"-Mähne - vor den Augen von Catherine Deneuve. Ein Wahnsinn des Zitierens, der am Ende einen Kern der Wahrheit freilegt, mit Mitteln der Travestie: Lebende zitieren Tote, eine Generation die nächste, und jede der Diven natürlich auch sich selbst.

So viele konkurrierende Stars in einem Film - schon das ist Ozon als Meisterstück der Überredungskunst zugerechnet worden. Man darf aber nicht vergessen, dass der Rahmen das geradezu verlangt: "8 Frauen" benutzt einen vergessenen Boulevardkrimi von Robert Thomas als Ausgangsmaterial. Ein Toter wird gefunden - der Hausherr und einzige Mann weit und breit. Die acht Frauen - seine Gattin, die beiden Töchter, die Schwiegermutter, die Schwester, die Schwägerin und zwei Dienstmädchen - sind anwesend oder zumindest in der Nähe. Das Telefon ist tot, die Kabel des Autos durchtrennt, das Gartentor nicht mehr zu öffnen. Eine geschlossene Gesellschaft wie bei Agatha Christie, der Mörder muss noch da sein, und also ist er eine Frau.

Diese Art von Film funktioniert überhaupt nur als All-Star- Vehikel - ein Wettstreit in geordneten Bahnen, der den Stars die nötige Sicherheit gibt. In diesem Fall fehlt allerdings der Detektiv: Diese Funktion wird auf alle verteilt, die Frauen verhören sich gewissermaßen selbst - was einmal zu einer wunderbaren Sequenz aus Fragen und Antworten, Beschuldigungen und Beleidigungen führt, die ausschließlich aus Großaufnahmen der acht Gesichter komponiert ist.

Die Schwachstelle des Genres liegt in der Psychologie: Alle Figuren müssen ein Mordmotiv haben, alle müssen ein oder mehrere Enthüllungen über sich ergehen lassen - das führt seit jeher zu aberwitzigen Charakterisierungen. Ozon treibt dieses Spiel noch weiter: Die Frauen werden als Lesben, Ehebrecherinnen, Giftmischerinnen geoutet. Die Diven dürfen - und müssen - als Knallchargen agieren, die Psychologie ist bedeutungslos, sie läuft nur hinter den Bildern ab: Wie hat Ozon wohl Deneuve und Ardant dazu gebracht, sich im lesbischen Clinch auf dem Teppich zu wälzen? Der Regisseur, Mittdreißiger, harmlos aussehend, eine Art Idealschwiegersohn des französischen Kinos, hat die Lektion eines großen Vorbilds gelernt: Rainer Werner Fassbinder. Schauspieler, egal wie berühmt, wollen erst umgarnt, dann überzeugt, dann ins Vertrauen gezogen - und schließlich gnadenlos dominiert werden.

Dabei ist Ozons Blick durchaus von Liebe geprägt - wenn auch nicht von Erotik: Es ist die Liebe eines Züchters zu wunderbaren, hochgiftigen Orchideen, der Liebe eines Zoowärters zu Raubkatzen. Was Klarsicht keinesfalls ausschließt: Das Hauptmotiv von Deneuves Figur ist beispielsweise Geldgier - was an das hartnäckige Gerücht erinnert, dass die Diva auch im wirklichen Leben Umschläge mit Bargeld verlangt, bevor sie irgendwo öffentlich auftritt. Oder Emmanuelle Béart: Ihre Tragik liegt darin, dass sie ihre Rolle als Verführerin irgendwann zu ernst genommen hat, bis hin zu der schmerzlichen Entscheidung, sich die Lippen noch wolllüstiger zu gestalten, als sie ohnehin schon waren. Nun ist sie zu lasziv, um wahr zu sein - ein Wesenszug, den Ozon mit ihrer Rolle des Dienstmädchens auf die Spitze treibt.

Ob die Frauen merken, was er von ihnen erzählt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall sind sie souverän - wie es eben nur Französinnen sein können. Derselbe Film mit den Schauspielerinnen, die die deutschen Synchronstimmen liefern - Ruth Maria Kubitschek, Senta Berger, Nicolette Krebitz, Cosma Shiva Hagen, Katja Riemann, Hannelore Elsner, Nina Hoss und Jasmin Tabatabai - wäre wohl nie zustande gekommen.

Dass auch die Enthüllung wieder nur Show ist, ist die nächste Erkenntnis bei Ozon - Deneuve spielt nie etwas anderes als exzessive Deneuvehaftigkeit. Um auch das zu brechen, lässt Ozon seine Frauen je ein Chanson singen - ganz ungeschützt. Leichte Brüchigkeit in den Stimmen, ein Rest von Scham in den einstudierten Bewegungen - das sind Momente der Wahrheit, die ins Innere der Actricen blicken lassen und gleichzeitig ins Innere ihrer Figuren. Der Augenblick, wo ein Charakter seinen Kern enthüllt, an seinen Träumen teilhaben lässt - der ist hier einfach in die Musik verlegt.

Das Schönste an Ozons Kino ist jedoch die Möglichkeit der Transformation. Er selbst ist in jedem Film ein anderer, das Spektrum reicht von der überdrehten Fernsehsatire ("Sitcom") über die Fassbinder-Adaption ("Tropfen auf heiße Steine") bis hin zur leisen, unerbittlichen Identifikation einer Frau ("Unter dem Sand"). Er produziert mit hoher Geschwindigkeit, ein Film pro Jahr, und nahezu alles scheint ihm zu gelingen. Und seine Figuren müssen eben nicht jenen qualvoll absehbaren Weg zurücklegen, der in Hollywood als "character arc" definiert ist. Sie müssen nicht ihr Innerstes erforschen, um zum Glück zu finden - manchmal reicht es einfach, die Brille abzunehmen, dazu eine neue Frisur und ein neues Kleid. Jeder hat das Recht, sich jederzeit selbst neu zu erfinden, und dabei hemmungslos auf das kollektive Bildarchiv zurückzugreifen, das in den Köpfen gespeichert ist. Darin gelingt "8 Frauen", unter dem ganzen Firnis weiblicher Steoreotypen, am Ende ein schönes Gefühl der Befreiung. 8 FEMMES, F 2002 - Regie und Buch: François Ozon. Nach Robert Thomas' Stück.Mit: Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Virginie Ledoyen, Danielle Darrieux, Ludivine Sagnier, Firmine Richard. Constantin, 108 Minuten.

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