Kino:Ein windelweicher Job

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Slacker ade! Regisseur Kevin Smith zeigt Ben Affleck den Ernst des Lebens in seinem Film "Jersey Girl".

Von Rainer Gansera

Gott ist einsam, aber witzig, und turnt in Gestalt der Popsängerin Alanis Morissette durchs kleinstädtische New Jersey, um komplizierte Fragen wie die der Theodizee zu diskutieren und eine Geschichte zu beenden, in der ein paar schwache, aber wohlmeinende Amerikaner und diverse Ausgeburten des bösen Widersachers sich in einem heillosen Wirrwarr verwickelt haben . . . So war das damals in ¸¸Dogma", im Jahr 1999, Kevin Smiths aberwitzigem Cocktail aus Theologie und atemloser Comic-Phantasie, der die Fans des amerikanischen Independent-Filmers etwas ratlos und irritiert hinterließ.

Mit ¸¸Clerks" (1994), ¸¸Mallrats" (1995) und ¸¸Chasing Amy" (1996) hatte sich Smith als unnachahmlicher Meister des Slacker-Films offenbart, als eigenwilliger Schöpfer von Helden wie Jay & Silent Bob, die mit Kifferjokes und krassen Zoten um sich warfen und eine Spur der Verwüstung hinter sich zurückließen. Der theologische Exkurs in ¸¸Dogma" ließ die Smith-Bewunderer besorgt fragen, ob sich nicht doch hinter der Maske des ungebärdigen Slacker-Rebellen ein brav-frommes Gemüt verberge.

Nun, angesichts von ¸¸Jersey Girl", wird aus der Irritation offene Verärgerung - es heißt, Kevin Smith habe mit diesem Loblied auf Vaterschaft und Familienwerte seine Indie-Seele definitiv an den Hollywood-Mainstream verkauft. Welch ein Irrtum! Gewiss spielt der ¸¸Jersey Girl"-Plot mit allerlei gängigen und durchaus rührseligen Erzählmustern, aber Smith packt sie derart frisch und lebendig an, dass sie wie neuentdeckt erscheinen. Schon die lässige und präzise Art, wie er seinen Star, Ben Affleck, in Szene setzt: zuerst als arroganten, schnöseligen PR-Fuzzie, dann als hilflosen alleinerziehenden Vater, der sein Kind wie ein Alien bestaunt.

Ben Affleck spielt Ollie Trinke, den karrierebewussten Chef einer Werbefirma, der in seinen gestylten Manhattan-Büros residiert und alles bestens im Griff hat, bis seine Frau Gertrud (Jennifer Lopez) bei der Geburt von Tochter Gertie stirbt und er in einer Wolke aus Babypuder jede Orientierung verliert. Abgelenkt durchs Windelwechseln, vernachlässigt er seine beruflichen Pflichten, beleidigt hochkarätige Kunden wie Will Smith (¸¸Dieser Prinz von Bel Air hat nicht das Zeug zum Filmstar . . .") und fliegt hochkant aus seinem Job.

Also bringt er Gertie und sich selbst in die Obhut seines Vaters, um dort - ein Zeitsprung von sechs Jahren - im kleinstädtischen New-Jersey-Ambiente von seiner Abneigung gegen die Vaterrolle und von seinen weiter schwelenden Big- City-Karriereambitionen endgültig geheilt zu werden. Hilfreich ist ihm dabei die hübsche Studentin Maya (Liv Taylor), Aushilfskraft im örtlichen Videoshop, wo sich der Witwer/Vater Ollie verschämt mit Pornofilmen versorgt. Schön, wie die keimende Liebesgeschichte - allen Romanzen-Klischees widersprechend - in der Schwebe bleibt: zwischen offenherziger Freundschaft und wiederbelebtem Eros. Besonders schön, wie Liv Taylor, die in vielen Filmen nur als verlockende Ikone ausgestellt wird, hier Raum bekommt, ihren mädchenhaften Charme und ihr komödiantisches Talent zu entfalten.

Ja, Kevin Smith hat das Universum seiner Slacker-Filme verlassen, in dem er so heimisch war, ja, er spielt auf der Tastatur einer rührseligen Vater-Tochter-Geschichte, aber er hat seinen scharfkantigen Witz keineswegs verloren und überzeugt mit subtilen Charakterzeichnungen. RAINER GANSERA

JERSEY GIRL, USA 2004 - Regie, Buch, Schnitt: Kevin Smith. Kamera: Vilmos Zsigmond. Musik: James Venable. Mit: Ben Affleck, Liv Tyler, George Carlin, Stephen Root, Mike Starr, Raquel Castro, Jason Biggs, Jennifer Lopez, Jennifer Schwalbach, Charles Gilbert, Matthew Cloran, Matt Damon, Will Smith. Buena Vista, 103 Minuten.

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