Kino: "Die Entdeckung der Currywurst":Ist doch Wurst

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Unter den Bomben der britischen Luftwaffe findet Trümmerfrau Lena einen 20 Jahre jüngeren Liebhaber - und macht eine wegweisende Entdeckung. Uwe Timms Novelle im Kino.

R. Gansera

Kein geschichtlicher Augenblick hat das italienische Kino, besonders den Neorealismus, so fasziniert wie die Endphase des Zweiten Weltkriegs. Allein Rossellini erkundete in fünf Filmen diesen Moment, in dem sich Alltagschaos und große Geschichte durchkreuzen, in dem der Zusammenbruch der Diktaturen ein Machtvakuum schafft, das auch die Charaktere prägnant offenbart: zwischen Mitläufertum, Opportunismus und Widerstand. Das deutsche Kino hat darauf kaum einen Blick geworfen.

Verwandlung in Liebende: Barbara Sukowa und Alexander Khuon. (Foto: Foto: ddp)

Uwe Timms Bestseller-Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" handelt davon. Raffiniert verwebt er die Kindheitserinnerungen des Ich-Erzählers mit den schrittweisen Enthüllungen der Heldin Lena Brücker, die im Hamburg der letzten Apriltage 1945, unter den Bomben der britischen Luftwaffe, eine außergewöhnliche Romanze erlebt. Zugleich gelingt ihr, freilich mehr zufällig, eines Tages eine geniale Vermischung von Ketchup und Curry - und damit die Entdeckung der Currywurst.

Kenner der Novelle muss enttäuschen, dass Ulla Wagners Verfilmung das reichhaltige narrative Spiel der Vorlage mit Erinnerungen, Reflexionen und sinnlichen Evokationen weitgehend ignoriert, die Romanze als Storykern herausschält - und sie wie ein Kammerspiel darbietet.

In dieser einseitigen, auch visuell flachen Erzählweise verblasst die Zeit-Atmosphäre in blaugrau getönten Bildern, und viele Figuren werden zu Schemen. Wagner konzentriert sich auf das Porträt der Lena Brücker, das in Barbara Sukowas souveräner Darstellung dann doch eindrucksvolle Konturen gewinnt: als Inbild einer pragmatischen Trümmerfrau, die froh ist, dass Hitlerspuk und Krieg endlich ein Ende haben.

Lena Brücker arbeitet als Kantinenleiterin in Hamburg. Ehemann und Sohn sind an der Ostfront. Sie träumt von einem "besseren Leben" mit ein wenig Glanz und Glamour und stürzt sich in eine Liebesgeschichte, die mindestens so schön und verrückt ist wie die Kinofilme, die sie liebt.

Den zwanzig Jahre jüngeren, zum "Endkampf an der Heimatfront" abkommandieren Marinesoldaten Hermann Bremer (Alexander Khuon) versteckt sie während der letzten Kriegstage in ihrer Dachwohnung, zelebriert mit ihm die Liebe wie ein junges Mädchen. Draussen: Weltuntergang. Im Verborgenen der Kammer: das große Glück. Als Lena ihren jungen Liebhaber aber bei sich behalten will und ihm die Kapitulation verschweigt, kippt das Glück. Hermann, dem die Dachwohnung zum Gefängnis wird, verschwindet. Heftige Trauer kann sich Lena nicht leisten, sie widmet sich versiert dem Schwarzmarkthandel und erfindet - siehe oben.

Barbara Sukowa, in ihren großen Auftritten, war Margarethe von Trottas "Rosa Luxemburg", Fassbinders "Lola" und die tragische Mutter in Hans Steinbichlers "Hierankl". In ihrem Stil liegen ausgreifende und melodramatische Gesten bereit. Hier aber zeichnet sie vorsichtig und subtil die Verwandlung einer lebenspraktischen Frau in eine Liebende. Das ist der gelungenste Teil des Films: wie sie ihr Pathos-Potential zurückhält und das Augenzwinkernde ihrer Figur hervorkehrt.

"Die Entdeckung der Currywurst": D 2008 - Regie und Buch: Ulla Wagner. Kamera: Theo Bierkens. Mit Barbara Sukowa, Alexander Khuon, Wolfgang Böck. Schwarz-Weiss-Filmverleih, 108 Minuten.

© SZ vom 15.09.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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