Kino: Der neue Wim Wenders:Wo wir sind, ist unten

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Eine Meditation ist es geworden, ein Menetekel, ein Märchen: "Don't Come Knocking" von Wim Wenders und Sam Shepard zeigt die Mitte von Nirgendwo, in der sich ein paar Dinge entwickeln werden. Vielleicht.

FRITZ GÖTTLER

Ein kleines amerikanisches Märchen, von einem, der auszog, zu sich selbst zu finden und der dabei einem Sohn begegnet, von dem er nichts wusste, und einer Tochter, von der niemand ihm je erzählt hat. Wie einen Hans im Glück sieht man diesen Howard gleich am Anfang bei einem merkwürdigen Tauschgeschäft mit einem Oldtimer, in einer verlassenen Poststation in der Wüste von Utah. Seine edlen Sporen bietet Howard im Tausch gegen das Hemd und die Weste des Alten, dann gibt er ihm noch seine Stiefel dazu, seine Jacke und seinen Hut, und schließlich auch das Pferd, auf dem er gekommen ist, ein Klasse Wallach.

Auf Meisterwerke hat das Kino, das amerikanische zumal, nie gesetzt. Weil es ums Kino ging, nie ums einzelne Werk. (Foto: Foto: Reverse Angle)

Ein Märchen, das wunderschön ist in seiner Verwandlungsfähigkeit und seiner Unbegreiflichkeit, man sieht, dass Wenders David Lynch ein gutes Stück näher gekommen ist in den mehr als zwanzig Jahren, da er Filme macht in den Weiten von Amerika.

So eigenwillig wie dieses Tauschgeschäft ist auch die erzählerische Ökonomie des Films. Das heißt, dass kaum eine der Aktivitäten und Handlungen hier einen definitiven Gegenwert an Sinn und tieferer Bedeutung erhält. Das heißt, dass die Menschen hier immer unangemessen reagieren, egal ob in Gelassenheit oder am Rande zur Hysterie.

Das heißt, dass der Film wunderbar balanciert zwischen Naivität und extremer Künstlichkeit, den Manierismus zur natürlichen Tugend erklärt. Der Name Howard, erklärt Sam Shepard, der das Drehbuch schrieb und den Howard spielt, sei eine Reminiszenz an den unberechenbaren Howard Hughes. Mean-Streets-Bilder, Hopper-Atmosphäre sind allgegenwärtig, und nicht mal mehr als Zitat, bloß noch als Signal.

Einmal sieht man Tim Roth in einer Küche stehen, er hat ein frischgebackenes Cookie in der einen, ein Glas Milch in der anderen Hand, er guckt ein wenig überfordert durch seine randlose Brille, scheint das braune Ding auf seinen Geschmack hin zu wiegen, schnuppert. Das ist ausgezeichnet, sagt er schließlich, aber abbeißen sieht man ihn nicht.

Tim Roth ist ein Versicherungsagent, der dem flüchtigen Howard hinterhergeschickt wurde - Howard Spence, dem Filmschauspieler, dem in die Jahre gekommenen Westernserienstar. Als solcher ist er ein starkes production value, eine Investition, mit der seine Produktionsgesellschaft knallhart kalkuliert. Keine Frage, dass sie handeln muss, als er völlig irregulär den Drehort verlässt, auf seinem Filmwallach davongaloppiert.

Dieser Howard ist natürlich ein Anachronismus. Und diese Art des Filmemachens ist passé seit dem Zusammenbruch des amerikanischen Studiosystems. Der Western ist heute eine irreale Ausnahmeerscheinung, aber die Beharrlichkeit, mit der Wim Wenders diesen Mythos belebt, ist absolut real.

Am schönsten kommt das zum Ausdruck in der Verzweiflung eines Mädchens - Howards Filmpartnerin, die, um die Produktion in seiner Abwesenheit am Laufen zu halten, Szenen ohne ihn spielen soll - und dabei völlig versagt. Sie schafft es nicht, ins Leere hinein zu spielen, sie braucht die Präsenz.

Es sind immer noch die gleichen Bedingungen, zu denen Wenders Filme macht, seine ganz persönlichen Dogma-Regeln gewissermaßen, die etwa so lauten: Die Schauspieler verlassen die Schauplätze erst, wenn alles, was dort geschehen konnte, vorüber ist. Alles, was geschieht, ist auch sichtbar. Selbst die Gesichter geben keine Rätsel auf.

Wie jeder nie wirklich großgewordene Junge fährt auch Howard erst mal zu seiner Mutter. Eva Marie Saint spielt sie, am Busbahnhof erwartet sie ihn, einen Blumenstrauß in der Hand. Sie ist, mit ihren achtzig Jahren, ein zartes zeitloses Zauberwesen, und wenn man sie sieht, in ihrem luftig blauen Kleid, mit dem verführerisch schrägen Blick, dann muss man an Eve denken in "North by Northwest" oder an Echo in "All Fall Down".

Schon wieder macht Wenders echtes Phantomkino, er arbeitet mit Überlagerungen, mit Überblendungen. In Butte, Montana, hat er eine Stadt gefunden, in der die Landschaften seiner eigenen Biografie zusammenkamen, Ruhrgebiet und New York und Alpenvorland, drei Zeiten, fusioniert in den Bildern einer Stadt. In Butte findet Howard eine Frau wieder, die er einst geliebt hat - als er dort seinen ersten Western drehte. Es ist keine wirkliche Rückkehr, dazu ist die Unabhängigkeit zu stark, die Jessica Lange - im richtigen Leben Shepards Frau - in der Konfrontation demonstriert. Und der Stolz auf den Sohn, der schon die gleichen Zeichen von Großspurigkeit zeigt wie der Vater.

Dieser Vater-Sohn-Beziehung wegen hat man den Film instinktiv mit "Paris, Texas" zusammengebracht, dem Wendersfilm par excellence, ebenfalls von Shepard geschrieben.

Ein Vergleich, der die Rezeption von "Don't Come Knocking" aus dem Rhythmus brachte. Die Erwartungen waren hoch, als der Film im Wettbewerb in Cannes gezeigt wurde, und groß die Verwunderung, als er bei der Preisverleihung leer ausging. Die Leichtigkeit, die Leichtfertigkeit, mit der heute Bilder gemacht werden, ist Wenders suspekt, aber wer ihm deshalb Provinzialität und Gestrigkeit vorwirft, will nicht wahrhaben, wie Formen und Inhalt sich gegenseitig bedingen - eine Erkenntnis, die gerade das Wenderskino in den Siebzigern und Achtzigern evident werden ließ.

"Don't Come Knocking" mag nicht makellos sein - aber auf Meisterwerke hat das Kino, das amerikanische zumal, nie gesetzt. Weil es ums Kino ging, nie ums einzelne Werk.

Es ist eine ausgepowerte, eine ausgebeutete Stadt, in der Howard landet. Eine Stadt, die längst mit ihrer Geschichte abgeschlossen hat - sie hat Hammett als Vorbild gedient für Poisonville in dem Roman "Red Harvest". Erschöpfung liegt über Butte, Montana, die gleiche Müdigkeit, die schon Wenders' vorigen Film prägte, "Land of Plenty". Aber der Weg ist nicht zu Ende, und "Divide Wisdom" ist das Motto für die weitere Reise.

Es war in einem schönen Text über Anthony Mann, in dem die Regeln des Wenderskinos sich formuliert finden. "Der Weg eines Films von Anthony Mann", heißt es da, "ist gelassen wie der Weg Gary Coopers im ,Mann aus dem Westen', der, als Julie London ihn fragt, was er tun werde, antwortet: Ich weiß nicht. Erst mal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln werden."

DON'T COME KNOCKING, D 2005 - Regie: Wim Wenders. Buch. Sam Shepard. Kamera: Franz Lustig. Musik: T Bone Burnett. Schnitt: Peter Przygodda, Oli Weiss. Mit: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Gabriel Mann, Sarah Polley, Fairuza Balk, Eva Marie Saint, George Kennedy. UIP, 122 Minuten.

© SZ v. 24.08.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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