Kinderschutz in den Medien:Wirken Videos?

Lesezeit: 3 min

Besorgte Menschen des Jugendmedienschutzes beugen sich über gefährliche Musikvideos im Internet - und finden wenig mehr als ihre eigene Ratlosigkeit.

Marc Felix Serrao

Es ist wieder viel von medialer Verwahrlosung die Rede in diesen Tagen. Aktueller Anlass ist eine geplante Show des Privatsenders RTL, in der Jugendliche mit Kinderwunsch auf fremde Babys aufpassen sollen. Ist damit ein neuer Tiefpunkt der Fernsehunterhaltung erreicht? Abgesehen davon, dass es gute Tradition ist, immer neue Tiefpunkte der abendländischen Kultur (als ob es die noch gebe) auszurufen, ist die Lage in Wahrheit natürlich noch schlimmer. "Liebeslieder waren gestern: Zur Jugendschutz-Problematik von Porno- und Gangsterrap", lautete der Titel einer Konferenz der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM), die gerade in München tagte. Pädagogen, Soziologen und Psychologen waren aufgerufen, den Jugendschutzkommissaren mit Ratschlägen zu helfen. Das Resultat war manchmal unterhaltsam, aber alles in allem die reinste Ratlosigkeit.

Umstritten: Der Rapper Kaas produzierte ein Musikvideo zum Thema "Amoklauf" - pädagogisch wertvoll oder schwer jugendgefährdend? (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Es fing schon mit der Auswahl der so genannten Porno- und Gangstermusik an. "Ihr allein habt mich so weit gebracht, hier vor die Schultür mit 'nem vollen Rucksack", sang der Rapper Kaas in seinem Video auf der großen KJM-Leinwand. Zur drohend genuschelten Liedzeile - "Ich geh rein, geh' ins Klassenzimmer und dreh ab, schieß drauf los, klack, klack, klack, klack, klack!" - sah man hastige Bildschnipsel: eine Automatikwaffe, eine Schulklasse, Feuersalven.

Wer die Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden verfolgt hat, konnte das Video namens Amokzahltag: D, das vor dem Schulmassaker produziert wurde, kennen. Von "unheimlichen Parallelen" zwischen Rap und Wirklichkeit hatte Bild damals geschrieben. In der ARD-Talkshow Hart aber fair hatte ein christdemokratischer Politiker den Clip als "schwer jugendgefährdend" bezeichnet. Das Problem waren damals wie nun im Expertenkino: die unvollständigen Bilder.

Klaus Farin, Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, wies in München darauf hin, dass das vollständige Kaas-Video durchaus "pädagogisch wertvoll" sei. Womit er recht hatte. Gleich zu Anfang wird dort ein Text eingeblendet, in dem der Rapper als Erklärung für Amokläufe den "Mangel an Nächstenliebe in unserer Gesellschaft" nennt. Kaas schreibt, dass er die Menschen daran erinnern wolle, "ganz besonders den Außenseitern unter uns mit gütiger Liebe entgegenzutreten". Auch im Video gibt es solche Passagen, doch die wurden nach Winnenden nicht zitiert.

Testosterontrunkene Pseudogangster

Natürlich gibt es in der großen, bunten Welt des Rap auch die anderen Beispiele. Lieder, in denen testosterontrunkene Pseudogangster reflexions- und talentfrei davon singen, wie sie Leute kaputthauen und ihre Frauen mit mal mehr, mal weniger Druck zum Sex nötigen. Dass es für Kinder irgendwie nicht gut sein kann, wenn sie so etwas regelmäßig hören, liegt auf der Hand. Vor allem, wenn stimmt, was Jugendarchivar Farin in München aus der Praxis erzählte: dass die Kernhörerschaft des deutschsprachigen Brachialraps mittlerweile aus Acht- bis Neunjährigen besteht.

Wer noch Resterwartungen an die ordnende Kraft eines Gemeinwesens - etwa in Form ihrer Jugendschutzkommission - hatte, wurde bei der Tagung in München enttäuscht. In den plumpen Pornophantasien einer Lady Bitch Ray ("Vagina Style Records") sah die Münchner Soziologin Paula-Irene Villa vor allem "ein erfolgreiches Beispiel für die Ermächtigung von Frauen"; eines, das verstöre, weil die Rapperin promovierte Migrantin sei. Verbote? Für den Jugendexperten Farin ("wir machen 80 Projekttage an Schulen im Jahr") reine Beschwichtigungsrituale für Erwachsene. Der Markt sei nunmal da, erklärte Farin, und Jugendliche kämen ohnehin an alles ran. Der Bielefelder Pädagoge Uwe Sander stimmte auch ein in den libertären Chor: "Als sei ein Verbot ein Zaun, über den nichts rüberkommt!" Und Laszlo Pota, Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen, erinnerte an Van Morrison und Mick Jagger: "War das nicht '68 auch schon so?"

Ja, was denn? So gefährlich, so wild? Jedenfalls so regellos. Dass man Leute, die Sex- und Gewaltorgien auch für Achtjährige frei zugänglich ins Internet stellen, strafrechtlich belangen könnte, wenn man wollte, das sagte hier keiner.

Rührende Sozialromantik

Da sich ihr Expertengremium weitgehend einig war, nahm schließlich die Gastgeberin die Gegenposition ein. Verena Weigand, Leiterin der KJM-Stabsstelle, zitierte dabei selbst einen sogenannten Gangsterrapper, Kool Savas. Dieser habe 2005 sinngemäß einmal davor gewarnt, Frauen ständig als "Nutten" zu bezeichnen. Dadurch würden "die Kids asozial". Weigand lächelte: "Kann es sein, dass Kool Savas ein überzeugterer Jugendschützer ist, als dieses Podium?" Im Publikum teilten viele Weigands Kritik. Von der "rührenden Sozialromantik" der geladenen Experten sprach ein Medienpädagoge. Ein älterer Herr ("gehöre zur Lehrerzunft") warnte, dass eine durch nichts gebändigte Medienfreiheit letztlich alle Beteiligten hilflos mache. Wenn Lehrer im Unterricht Fäkalsprache, wie im Prekariatsrap üblich, an den Kopf geknallt bekämen, sei das kein Ausdruck von Jugendkultur, sondern ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

Vielleicht stimmt die Parallele zum antiautoritären Aufbruch von '68 am Ende doch. Das Dilemma der heutigen Jugendkultur wäre dann allerdings nicht ihre eigene, natürliche Regellosigkeit, sondern eine erwachsene Gesellschaft, die sich nicht mehr traut, Regeln zu setzen.

© SZ vom 26.5.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: