Kinderoper:Weg mit den alten Hosen

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Diese Johanna kann nicht nur pfeifen, wie die Comedian Harmonists in ihrem Schlager forderten, sondern auch Ukulele spielen. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Der junge Grazer Patrick Hahn dirigiert "Kannst du pfeifen, Johanna", eine Oper nach dem Kinderbuch von Ulf Stark, das mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde.

Von Barbara Hordych

Die Idee ist so einfach wie genial, dass sie eigentlich nur Kindern einfallen kann: Berra wünscht sich genau so einen Großvater wie sein bester Freund Ulf ihn hat. Einen, der mit ihm angeln geht und gern Schweinshaxen isst. Aber woher kriegt man den? Kein Problem, sagt Ulf, und nimmt Berra mit ins Altersheim. Da sitzt der alte Nils, der schon immer einen Enkel haben wollte. Angeln kann er zwar nicht und Schweinshaxen findet er furchtbar, aber dafür weiß er, wie man einen Drachen baut. Und er kann pfeifen. Etwas, das Berra auch gerne können würde. . . In Wirklichkeit stammt die Geschichte von Berra und seinem eigenmächtig zum Opa erklärten Nils allerdings von Ulf Stark, der für sein Kinderbuch "Kannst du pfeifen, Johanna" 1994 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Der Komponist Gordon Kampe wiederum schuf nach dieser Vorlage eine gleichnamige Kinderoper, die 2013 in Berlin uraufgeführt wurde. "Kein Parsifal für Kinder, sondern ein Originalstück für junges Publikum", erzählt Patrick Hahn. Der österreichische Pianist und Dirigent, erst 21 Jahre jung, dirigiert bei den Festspielen die Neuproduktion der Oper, die erstmals in München zu sehen sein wird. Und kann sich richtig in Begeisterung reden, wenn es um die Vorzüge des Werks geht. "Wenn ein Kind eine neue Hose braucht, dann wäscht man ja nicht so lange die eigene alte Hose, bis sie endlich dem Nachwuchs passt. Man kauft eine, die sofort passt", zitiert er den Komponisten Gordon Kampe. Dieser forderte 2015 öffentlich: "Sofort aufhören mit dem Siegfriedtoscagiovannizauberflöten-Geschrumpfe - Kinder brauchen Originale!" Hahn, der seine Gesangsausbildung bei den Grazer Kapellknaben erhielt, kennt diese eingedampften Versionen nur zu gut. Als Zwölfjähriger habe er als einer der drei Knaben in der "Zauberflöte" gesungen. "Wenn wir aber nichts zu tun hatten bei den Proben, haben wir sofort angefangen, ein eigenes Stück zu komponieren, weil uns das viel mehr Spaß machte", sagt Hahn und lacht. Die dabei entstandene Kurz-Oper "Die Frittatensuppe" erlebte übrigens 2008 unter seiner Leitung tatsächlich ihre Uraufführung in Graz.

Kein geschrumpfter Parsifal für Kinder, stattdessen ein Originalwerk für junge Hörer

Wie hat man sich nun die Inszenierung im Münchner Postpalast vorzustellen? "Ungewöhnlich", sagt Hahn spontan. Zunächst einmal sitze kein reguläres Orchester im Graben, sondern das sechsköpfige Instrumentalensemble sei in das Geschehen auf der Bühne involviert. Aus musikalischer Sicht kein leichtes Unterfangen, denn die Orchestermusiker müssten sich links und rechts am Bühnenrand verteilen und darauf achten, den drei Sängern - die Protagonisten Berra, Ulf und Nils sind mit Tenor, Bariton und Bassbariton besetzt - und den zwei Kinderdarstellern nicht in die Quere zu kommen. Kinder sind also auch beteiligt bei der Aufführung? "Ja, das ist das Besondere an der Münchner Inszenierung; anders als in der Aufführung in Berlin war es der große Wunsch unseres Regisseurs Łukasz Kos, dass in den Spielszenen wirklich acht- und neunjährigen Kinder agieren", sagt Hahn. Während also die erwachsenen Sänger sich an ihre Erlebnisse in der Vergangenheit erinnerten, stellten die jungen Mitwirkenden die Handlung dar. Und da müsse man es ihnen "abkaufen" können, dass sie auf diese wunderbare Idee mit dem Altersheim kämen. "Das wäre bei vierzehnjährigen Darstellern nicht mehr glaubwürdig".

Was reizt ihn selbst als Dirigent an Kampes Werk? "Die spannenden musikalischen Effekte, die Verschmelzung unterschiedlichster Stilebenen, von scheinbar Unzusammengehörigem", sagt Hahn. Tango und Walzer gehörten dazu, eine Art Nostalgie-Tanzkapellen-Sound erzeuge heitere Melancholie, ebenso wie der immer wieder auftauchende alte Schlager "Kannst du pfeifen, Johanna?". "Im Altersheim intoniert ein Schlagwerk auch schon mal einen Eierschneider", sagt Hahn, und wenn im Libretto von einer Zahnlücke die Rede sei, erklinge auf dieses Stichwort hin ein "Zahnton fies" der Klarinette. Deftige Spielanweisungen wie "volle Kanne", "immer ratzfatz druff" oder "immer mit tüchtig Schmackes", mit denen Kampe, der Komponist von Werken mit Titeln wie "Butter und Fische" (2012) oder "Gefühlte 70 000 Bratwurststände" (2012) gerne operiert, scheinen ihn ohnehin dafür zu prädestinieren, originäres Musiktheater für Kinder zu schreiben. Der 1976 geborene Kampe, der vor seinem Kompositions-Studium eine Ausbildung zum Elektroinstallateur gemacht hatte, sieht im Text von Ulf Stark nahezu ideale Voraussetzungen für eine Kinderoper: eine Geschichte und Figuren. "Das Erzählen von Geschichten, wie krude, schräg und aufregend sie auch sein mögen, scheint im Zeitalter des postdramatischen Theaters nicht mehr von Interesse zu sein - Narration ist noch immer verdächtig", konstatierte Kampe vor zwei Jahren. Sein "Wunsch" hingegen sei: "Versucht es trotzdem."

Kannst du pfeifen, Johanna , ab 7 Jahre, Premiere: Samstag, 8. Juli, 18 Uhr, weitere Termine 9. bis 12. Juni, Postpalast, Wredestraße 10

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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