Kinderlein, kaufet!:Der Ratzinger mit Kulleraugen wird gern genommen

Lesezeit: 5 min

Ein vorweihnachtlicher Besuch in der Farbenhölle der Spielwarenabteilungen Von Sibylle Lewitscharoff

Sibylle Lewitscharoff

Als ich am Freitagmorgen am Eingang des KaDeWe anlangte, hielt ich die Welt für gut. In der Spielwarenabteilung empfand ich sie als böse. Es lag nicht an den Elchen, die in dieser Saison dominieren. Elche gibt es in allen Größen und Formen, vom extraweichen Kuschelelch bis zum Holzelch auf zwei Beinen, der wie ein überlanger Mann aussieht mit Elchkopf. Über Kunstschnee ziehen Elche den Schlitten des Nikolaus. Es stört mich wenig, dass Elche inzwischen sogar in Weihnachtskrippen stehen, obwohl sie mit ihren Geweihen im engen Stall fehl am Platz sind und Bethlehem wirklich nicht in Skandinavien liegt. Nein, das Böse geht von den Farben, den Formen, den Verpackungen aus und der schwindelerregenden Vielzahl der Objekte. Man sieht förmlich, wie sie die Kinderzimmer in Höllen verwandeln, Hirne und Herzen ihrer Opfer schwächen.

Must Have für Papstkuschler: der Teddy mit Fußgravur von Dollville geht für 270$ an die besinnlich gestimmte Kundschaft. (Foto: Foto: dollsville.com)

Das moderne Kinderzimmer ist vor allem eine Farbhölle. Alles, was Kindern in die Hände gelegt wird, die Kleidung, die sie tragen, die Möbel, in denen sie hausen, die Mützen, Tiere, Mappen, Ranzen, Sturzhelme, Krimskramstaschen, das Bettzeug, die Schlummerlampen, Zimmerzelte, Sitzsäcke, Hocker, die Stifte, Klötze, Hefte, Bleistiftspitzer, sie alle sind in schreienden Farben, meistens noch mit Leuchtstreifen markiert, als müßten Kinder ständig mitten auf der Autobahn arbeiten. In der kindlichen Hölle wird permanent gegrinst. Keine Verpackung, auf der nicht ausgiebig gegrinst wird, grinsende Kinder etwas hochhalten und grinsende Erwachsene etwas entgegennehmen. Kaum ein Affe, eine Puppe, ein Krokodil, ein Bär, dessen Gesicht nicht zu einem Dauergrinsen erstarrt wäre. In dieser beharrlichen Welt des Frohsinns geht manchmal etwas schief. Der "Komm mit Krabbelfreund", ersonnen für Kinder unter zwei Jahren, sieht aus wie eine Granate.

Keine Bange, es geht bombensicher zu in dieser Welt. Die meisten Spielzeuge sind von Experten der Allianz ersonnen. Alle Materialien sind ins Runde verarbeitet. An Kanten könnten sich Kinder verletzen, also sind diese grundsätzlich abgerundet: Holzkräne, Holzbagger, Holztraktoren, eine Holzbox mit Holzmilch und Holzmayonnaise, allesamt rund, klobig und scheußlich. Es scheint Jahrhunderte zurückzuliegen, dass Kinder so gefährliche Dinge unternahmen wie etwa auf Bäume zu klettern.

Man lese die Sicherheitshinweise! In drei Großpackungen reitet Barbie als Prinzessin Anika über den Wolken. In Packung I hat sie langes Silberhaar, ein komisches Täschchen und einen türkisblauen Plastikpegasus mit rosa Hufen, auf dem sie allerdings nicht reiten könnte, denn er ist zu klein. In Packung II ist der Pegasus größer, seine Farbe eher violett. Er hat superlange Mädchenwimpern, ein glitzerndes Geschirr umgeschlungen und wirkt noch tuntenhafter als die Prinzessin. In Packung III findet man die "Magischen Musikflügel," die nicht für Barbie gedacht sind, sondern für das Kind, dem sie geschenkt werden. Aber ja nicht umschnallen, ohne den Sicherheitshinweis sorgfältig studiert zu haben: "Die Flügel sind kein Fluggerät. Bitte nicht versuchen, damit zu fliegen."

Das California Girl, eine braunhaarige Freundin von Barbie, will mit kurzem Strandhöschen, Basttäschchen und Sonnenöl zum Strand laufen. O weh, das geht nicht, weil das California Girl nicht einmal stehen kann, wenn man's aus der Packung nimmt. Es braucht dafür ein durchsichtiges Stützstäbchen, wie ein Vermerk redlich versichert. Und dann gibt es da noch ein Versprechen: das California Girl riecht. Es hat was im Täschchen, das ganz toll riecht. Ich habe an der Packung herumgeschnüffelt, ein Geruch war nicht zu entdecken. Öffnen durfte ich die Packung natürlich nicht.

Von großer Hässlichkeit ist das Masernbaby, nicht nur wegen seiner roten Tupfen. "Rote Flecken im Gesicht? Oh je, Baby Chou Chou hat die Masern. Wasch ihr mit dem warmen Bärchenwaschlappen das Gesicht. Mit dem Bärchenfieberthermometer kannst Du im Mund von Baby Chou Chou Fieber messen. Ist Baby Chou Chou gesund, erscheint ein grünes Licht, hat sie Fieber, erscheint ein rotes Licht. Die Klettpflaster halten auf Baby Chou Chous Stoffkörper." Die Packung enthält Schere und Pinzette, mit denen man dem Baby zu Leibe rücken könnte, wären beide Instrumente nicht ins garantiert Unschädliche gerundet.

Natürlich gibt es noch die Käthe-Kruse-Puppen, mit ihren faden, verwaschenen Gesichtern. Daneben stehen höchst artifizielle Großpuppen, mit vorgestülpten Mündern, die ins Monströse gehen. Ihre Augen sind weit aufgerissen wie bei Irrsinnigen. Die kuriosesten Modelle liefert jedoch die Firma Schildkröt. Es gibt da eine Puppe in weißem Gewand, die dem neuen Papst anempfunden ist. Das Silberhaar Benedikt XVI. liegt in zarten Locken an die Schläfen gepresst. Aber nichts von den zurückgezogenen dunklen Augen des Papstes, die so vorsichtig und schlau unter den Brauen hervorschauen. Die Ratzingerpuppe hat Pausbacken und kindliche Kulleraugen und keine Falten im Gesicht. Daneben hält ein kindlicher Buddhist die Stellung mit über der Achsel geschlungenem Gewand und einem nackten braunen Arm. Die Puppe trägt eine Nickelbrille und wirkt wie eine pummelige Kreuzung aus dem Dalai Lama und Gandhi.

Jede Menge technisches Gerät füllt die Regale: Fritteusen, Bügeleisen, Mixer, Herde mit Kochgeräuschen, Fönsets mit Friseurutensilien, alle etwas kleiner als für Erwachsene und mit Batteriebetrieb. Für die Jungs gibt's noch immer die Carrera-Bahn. Inzwischen können die Rennautos ohne Kabelverbindung gesteuert werden, ansonsten wirkt die Bahn so trostlos, wie sie immer schon war. Als Neuigkeit ist der Roboraptor hinzukommen, die Kreuzung aus Roboter und Dinosaurier wird als "Fusion aus Technologie und Persönlichkeit" angepriesen. Sein hellgrauer Leib ist gespickt voll mit Technik. Er kann laufen, sich auf zwei Beinen aufrichten, den Kopf heben und Hindernissen ausweichen. Natürlich gibt's auch noch jede Menge Autos, und die herkömmliche Eisenbahn ist mit hunderten Einzelteilen vertreten.

Viele Plastikfiguren sind Abkömmlinge von amerikanischen Filmen: Spiderman "with 67 points of articulation", Batman mit allerhand Fluggerät. Absonderlich wirkt der "Electro Strike Batman", der transparentes und gelbes Plastikgekröse um seinen dunklen Leib geschlungen hat - schwer zu entscheiden, ob das Blitze sein sollen oder ein aufgewickelter Darm. Interessant ist der "Human Torch Bump" auf seinem "Go Flame Cycle." Ein flammender Motorradfahrer mit einem Körper aus durchsichtigem Gelee. Irgendwie scheint er verbrannt zu sein und dennoch zu leben. Wie das zugegangen sein soll, erfährt man über die beigefügte CD. Für das "Power Touch Baby" steht eine Mixtur aus Buch und Computer bereit. Lieder ertönen und kleine Geschichten werden erzählt, wenn das Power Baby die Seite wendet und auf bestimmte Punkte drückt.

Längst haben Götzen die Macht im Kinderzimmer übernommen, die mehr können als Labans kleine Hausgötter aus Ton. Sie piepsen, blinken, klingeln, rattern, sagen Wörter, singen Lieder und feuern Knatterschüsse ab. Käme Savoranola erneut auf die Welt, er würde nicht mehr den Schmuck von den Hälsen und Ohren der Frau reißen, er würde für Monotheismus im Kinderzimmer sorgen und diese leer fegen. Savonarola würde die Kinder in dunkle Kleidung zwingen und ihnen allenfalls ein weißes Krägelchen gönnen. Geboren bist du, sterben mußt du, würde er ihnen sagen und sie mit seinen fiebrigen Augen ansehen.

Wie weit es mit den neuen Götzen gekommen ist, war unlängst auf der Beerdigung eines fidelen Österreichers zu besichtigen. Die Schulden waren ihm über den Kopf gewachsen, er bekam einen Anfall, erwürgte seine Frau und schnitt sich danach die Pulsadern auf. Jemand kam auf die schreckliche Idee, Mörder und Opfer gemeinsam in der kleinen Halle des Krematoriums aufzubahren. Kein Totenkosmetiker konnte die Würgemale am Hals der Frau überdecken und ihr gequollenes Gesicht verschönen. Die verkrümmten, verkrallten Finger erzählten von einem harten Kampf. Der Mörder wirkte fahl wie ein Vampir, vollkommen blutleer. Kein Priester hielt eine Rede, vom Band ertönte Tangomusik. Die beiden Leichen waren überdeckt mit Kuscheltieren. Da hockten sie, Äffchen, Bärchen, Krokodile und Schlümpfe, kletterten an ihnen empor, schmiegten sich an sie mit ihrem höllischen Grinsen.

Sibylle Lewitscharoff, geboren 1954 in Stuttgart, lebt als Schriftstellerin in Berlin. Zuletzt erschien der Roman "Montgomery" (2003) bei der DVA.

© SZ v. 17./18.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: