Kinder im Rampenlicht:The Kids are alright

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Die zu früh vollendeten Kinderstars: Was gestern noch als süßer Fratz Millionen enzückte, hat heute das Zeug, morgen in einen Gurkenlaster zu rasen.

MARTIN ZIPS

So winkt doch kein Kind. Während sich Hunderte in Uniform gewandete Waisen auf den Weg ins Pariser Cinema Madeleine machen, um Charlie Chaplins ¸¸The Kid" zu sehen, winkt ihnen der Hauptdarsteller aus der Limousine zu. Der kleine Jackie Coogan wurde da schon von Prinzen und Präsidenten empfangen, von Mussolini und Papst Pius XI. Hier, in der Wochenschau von 1924, wirkt der in Chaplins Drama noch so herrlich unverdorben agierende Junge im Chesterfield-Mäntelchen wie Kaiser Franz auf der Ehrentribüne. Ruhm macht alt. Erfolg macht spröde. Drei Jahre später war Coogans Karriere beendet. ¸¸Mit 13 wurde er senil", schrieb David Robinson in seiner Chaplin-Biographie über die Stimmung im alten Hollywood. Die Filmindustrie ließ Coogan fallen.

Zwei berühmte Stars unter 18: Jackie Coogan (l) und Shirley Temple (Foto: N/A)

Vor genau zwanzig Jahren starb Jackie Coogan, fast 70-jährig, an einem Herzinfarkt. Sein Name bleibt ein Synonym für jene, die - als Kinder heintjemäßig bejubelt - ausgebeutet, früh als vergreist geziehen und später dann vergessen wurden. Chaplin hatte Coogan kurz nach dem Tod seines eigenen missgebildeten Kindes bei einer Vaudeville-Show entdeckt und zum Weltstar gemacht. Später versuchte sich der Kleindarsteller Coogan erfolglos als Entertainer, hatte Hunderte unwesentlicher Gastauftritte. Um die Reste seines Vier-Millionen-Dollar-Vermögens zu retten, zog er Ende der Dreißiger gegen die eigene Mutter und den Stiefvater vor Gericht. In Folge des Streits wurde in den USA ein noch heute gültiges Gesetz verabschiedet, das die Ausbeutung von Kinderschauspielern verhindern soll: der ¸¸Coogan-Act".

Es gibt Kinderstars, die hatten mehr Glück. Shirley Temple zum Beispiel, die beim Publikum Ende der dreißiger Jahre beliebter war als Clark Gable. Sie schaffte es auf Shampoo-, Waschmittel- und Seifenpackungen. Später wurde sie US-Botschafterin in Ghana und in Prag sowie Protokollchefin im Weißen Haus. Selbst wer einmal mit lieben Onkels so peinliches Zeug wie ¸¸Pack die Badehose ein" sang, wer als Blechtrommler mit seinem Kindermädchen schlief oder in der Trissebude Holzmännchen schnitzte, ist heute nicht automatisch einsam und unglücklich. Manche gereiften Kinderstars stehen noch sehr erfolgreich auf der Bühne - andere blieben lebenslang TV-Kommissar-Assistenten. Jan Ohlsson, der Michel aus Lönneberga, arbeitete zuletzt als Computerfachmann in Uppsala.

Natürlich: Was ist schon eine Stelle als Computerfachmann gegen ein Engagement als anarchistischer Blondschopf? Ein führerscheinlos durch Niederbayern rasender Kindergärtner interessiert uns, die Öffentlichkeit, auch nur, weil er mal der Schrillste einer ansonsten farblos-jungen Schar von Sangestalenten bei ¸¸Deutschland sucht den Superstar" war.

So ist das. Hier die Neverland-Ranch, dort das Bezirksgericht. Die Gräben dazwischen sind tief. Der Sprung von der einen auf die andere Seite gefährlich. Seit einigen Jahren kümmert sich in Amerika der Verein ¸¸A minor consideration" um die Probleme von Kinderstars: Drogen, Depressionen, Isolation, überforderte Eltern, verlorene Kindheit, darum vor allem geht es. Die kalifornische Organisation hat über 400 Mitglieder. Hier kennt man die Namen der Abstürze.

River Phoenix, eine Art Jackie Coogan der Achtziger, starb vor elf Jahren mit 23 an einem Mix aus Kokain und Heroin. Auf dem Gipfel seines Erfolgs, womöglich kurz vor der Reifung zum Erwachsenenstar und ernsthaften Charakterdarsteller, unweit des Ortes, wo Chaplin Jahrzehnte zuvor ¸¸The Kid" gedreht hatte. Auch Phoenix" Kollegen Macaulay Culkin aus ¸¸Kevin allein zu Haus" plagten Alkohol- und Drogenprobleme. Heute spielt er kaum bemerkt Theater. Ebenso wie es gelegentlich die Sekretärin Inger Nilsson macht, die über ihren frühen Ruhm als Pippi Langstrumpf nicht immer glücklich war.

¸¸Vielleicht werden sie mich bald nicht mehr haben wollen, weil ich zu groß bin oder Pickel bekomme", sagt Daniel Radcliffe, der bis bislang noch die Harry-Potter-Brille aufsetzen darf, in einem Empire-Interview. Eine weise Einsicht. Nicht jedes vermeintliche Wunderkind verfügt über das imposante Talentspektrum eines Yehudi Menuhin, das bis ins hohe Alter trägt. Und häufig sind es die Eltern, die ihr Kind in Richtung Ruhm und Unsterblichkeit drängen. Schon Meeresnymphe Thetis war der heldenhafte, aber frühe Tod ihres Sohnes Achilleus lieber als ein spätes Ende als ruhmloser Greis. Darum schmierte sie ihn kräftig mit Ambrosia ein und deckte ihn mit Glut zu. Achilleus wurde ein Held. Und starb früh.

So endgültig enden heute nur die wenigsten Kinderkarrieren. Die äußerste Form des Verschwindens ist heute umgekehrt der Aufmerksamkeitsentzug von Medien und Publikum. Und die Fristen werden kürzer: In Sachen Haltbarkeit unterscheidet sich der gewöhnliche Star kaum mehr vom Joghurt aus dem Kühlregal. Wer war Matti Nykänen? Was wurde aus Kohls Wunderkind Lars Windhorst? Warum wurde Jazzy von Tic Tac Toe gerade aus der Comeback-Show bei ProSieben gewählt? Ständig aber laufen neue Phänotypen vom Band. In Fußballstadien, Fernsehstudios oder unter Skisprungschanzen werden sie zu Helden ausgerufen und in den medialen Durchlauferhitzern der Sendungen von Kerner oder Beckmann lau gespült. So formt man Stars von der Stange. Beim nächsten Schlussverkauf wird aussortiert.

In einer Szene von ¸¸The Kid" wirft der kleine Jackie Coogan Fensterscheiben ein, die der Tramp als Glaser durch neue, teure Fenster ersetzt. Die Szene könnte als Parabel für mediale Vermarktungsmechanismen dienen. Jugendliche Steinewerfer hauen auf den Putz, andere kassieren mit. Bild-Schlagzeile: ¸¸Hier macht Dr. Gottschalk seine Visite". Bei Küblböck, dem Gurkenglasraser. Wie, hätte Omi gesagt, soll das noch enden?

Bei Jackie Coogan ging es so aus: Erst in den sechziger Jahren gelang ihm eine Art Comeback. Aus dem freundlichen kleinen Kind war der unappetitliche, glatzköpfige, fette Onkel Fester in der Trash-Serie ¸¸The Addams Family" geworden. Als Coogan ein paar Jahre später seinen Entdecker Chaplin auf einer Veranstaltung in Hollywood umarmen wollte, da versperrte ihm Walter Matthau den Weg. Er hatte den ehemaligen Kinderstar nicht mehr wiedererkannt.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.54, Freitag, den 05. März 2004 , Seite 20 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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