Kim Gordon:New York, ein Garten

Lesezeit: 7 min

Die amerikanische Band "Sonic Youth" ist beerdigt, endgültig. Dafür hat ihre Gründerin für den nächsten Lebensabschnitt eine feste Galerie.

Von Peter Richter

Die Künstlerin war anwesend. Sie stand in einer Rockerlederjacke neben einer ihrer Arbeiten und war umringt von Freunden und Fans. Es war sehr voll, draußen standen sie Schlange. Es war eigens ein Türsteher engagiert worden. Die Tür der New Yorker 303 Gallery glich dadurch an diesem Abend ein wenig der eines Nachtklubs. Die Mitarbeiterinnen der Galerie schienen noch nicht genau zu wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten. Ungewohnt war auch, dass die Theke, auf der normalerweise die blumigen Erklärzettel für die Ausstellungen ausliegen, jetzt einem Merchandising-Stand ähnelte: Es gab Platten und Bücher zu kaufen. Und den ganzen Morgen über hatten Leute angerufen und gefragt, wann das Konzert beginne.

Welches Konzert denn, hatten sie in der Galerie zurückgefragt.

Sonic Youth natürlich, schallte es erfreut aus dem Hörer, man habe gehört, Kim Gordon trete mit ihrer alten Band noch einmal auf.

Hartnäckige Fans lassen die Hoffnung niemals fahren. Aber natürlich müssten gerade sie am besten wissen, dass das in diesem Leben wohl nicht mehr passieren wird. Das hat Kim Gordon, Gründerin, Bassistin und Sängerin von Sonic Youth in dem einen der Bücher, das nun in der Galerie zum Verkauf ausliegt, hinreichend deutlich gemacht. Ihre Autobiografie "Girl in a Band" erzählt, wie sie im Los Angeles der Sechziger heranwuchs, in den Siebzigern Kunst studierte, in den Achtzigern zusammen mit dem Gitarristen Thurston Moore in New York erst die No-Wave-Band Sonic Youth gründete und dann eine Familie. Und wie sie damit zum Idol einer ganzen Generation wurde.

"Schau sie dir an, dachte ich", schrieb damals die Schriftstellerin Elissa Schappel: "Sie waren verliebt und verheiratet und machten Kunst, sie waren cool und hardcore und mit einer tiefen Ernsthaftigkeit bei ihrer Sache, und sie hatten sich weder verkauft noch weich spülen lassen. . ." Sie waren also ein Beispiel dafür, dass beides vereinbar war, Rock'n'Roll und Ehe, Kunst und Familienleben.

Kim Gordon zitiert diese Zeilen mit einer gewissen Bitterkeit. Denn ihre Ehe endete genauso trübsinnig wie die von so vielen normalsterblichen Leuten: eine Affäre, Leugnungen, Geständnisse, Paartherapie, schon des Kindes wegen, dann doch die andere Frau, schließlich Trennung. Kim Gordons Erinnerungen beginnen mit dem letzten gemeinsamen Auftritt von Sonic Youth. Die berühmten Dissonanzen in der Musik spiegelten da nur noch, was zwischen den beiden Hauptprotagonisten auf der Bühne los war.

Was Kim Gordon danach zu erzählen hat, ist im Prinzip die Vorgeschichte dieses Endes. Nur liest sich das bei ihr wie eine amerikanische Kunstgeschichte der vergangenen vier Jahrzehnte. Sogar eine Figur wie Larry Gagosian taucht dauernd darin auf, zuerst als schmieriger Straßenhändler, für den Kim Gordon in Los Angeles jene Kunstdrucke rahmt, mit deren Verkauf er sein heutiges Galerienimperium begründete. Im Mittelteil weist sie mit großer Bestimmtheit Gagosians Behauptung von sich, sie hätten etwas miteinander gehabt. Und am Ende wird sie ihn zwar immer noch nicht mögen, aber er wird ihr eine Ausstellung in einer Villa in den Hollywood Hills finanzieren. Dort wiederum spricht sie Lisa Spillmann an, die Besitzerin der 303 Gallery in New York, und fragt, ob sie Gordon repräsentieren dürfe.

Auf den letzten Seiten von "A Girl in a Band" gibt es die Band nicht mehr, und das Mädchen ist eine geschiedene Frau, die von nun an eher Künstlerin sein wird als Musikerin.

Der Grenzübertritt vom Berufsfeld Pop in das der bildenden Kunst ist nun keine ungefährliche Sache, aber der von Kim Gordon hat immerhin ordnungsgemäß an einem Donnerstag zwischen 18 bis 20 Uhr stattgefunden, zu der üblichen Zeit für die Vernissagen in den Galerien von Chelsea. Denn nach New Yorker Kriterien darf sich nur derjenige wirklich als vollgültiger Künstler betrachten, der regelmäßig von einer Galerie vertreten wird. Kim Gordon hat zwar immer schon Kunst gemacht und auch ausgestellt, sie hat Kunst sogar studiert. Aber das haben viele Rockmusiker. Manchmal macht es ja fast den Eindruck, die Kunstakademien hätten in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eher dem Musikmarkt zugearbeitet als dem eigentlichen Kunstbetrieb. Der Weg von dem einen zum anderen hat allerdings oft genug den Charakter einer Einbahnstraße. Denn es sind tatsächlich zwei verschiedene Betriebe mit ihren eigenen Betriebssystemen, Betriebsnudeln und Betriebsschutzbrigaden, die speziell im Fall der Kunst ziemlich grimmig sein können.

Die isländische Popsängerin Björk hat das in New York gerade zu spüren bekommen, als das Museum of Modern Art das Gesamtkunstwerkhafte ihres Schaffens würdigen wollte. Das Video, das im Zentrum jener Ausstellung steht, beklagt ebenfalls das Ende einer langjährigen Ehe, in diesem Fall der von Björk. Eines der Privilegien künstlerisch tätiger Prominenz ist es, sich bei der ganzen Welt über private Dramen so ausweinen zu dürfen wie andere nur bei ihren wirklich besten Freundinnen.

Aber das war es gar nicht, was die Kritiker so erboste. Die Vorwürfe drehten sich vielmehr ganz allgemein um Populismus und Popularitätsversessenheit des Museums, also um den schieren Pop-Aspekt bei der Sache, und sie wurden selbst in Europa von Leuten, die die Ausstellung gar nicht gesehen hatten, begeistert nachgeplappert. Derart emotionale Langwellenwirkungen kommen aber eher aus der Welt der elektrischen Verstärker als aus derjenigen der reinen high art, die diese Abwehrreflexe gegenüber Eindringlingen aus vermeintlich niederen künstlerischen Verwertungssystemen gar nicht nötig hat.

Wenn Kim Gordon in der Vergangenheit Kunst machte, als Kuratorin Kunst ausstellte, oder als Theoretikerin für Kunstmagazine schrieb, dann tat sie das meistens genau in diesem Bereich der fiependen Rückkopplungen zwischen Kunst und Musik. Der Band "Is It My Body? Selected Texts", im vergangenen Jahr beim Berliner Verlag Sternberg Press erschienen, versammelt eine Reihe einschlägiger Essays, die Kim Gordon zu diesen Themen seit den Achtzigern unter anderem in der Zeitschrift Artforum veröffentlich hat.

Ihre Autobiografie liest sich wie eine Kunstgeschichte Amerikas der letzten vier Jahrzehnte

Es geht darin um die "symbiotische Beziehung" von Musik und Kunst, Klubs und Ausstellungsräumen. Gordon fragt sich, was da eigentlich los ist, wenn sie als einzige Frau neben lauter Männern in einer Rockband auf der Bühne steht. "Die Leute zahlen Eintritt, um andere an sich selbst glauben zu sehen" ist so ein Satz von ihr, der Flügel bekommen hat. Kim Gordon zieht Parallelen von ihren Auftritten zu denen von Performance-Künstlerinnen wie Laurie Anderson.

In "Girl in a Band" macht es geradezu den Eindruck, als wäre Kim Gordons Karriere als Musikerin sogar die direkte Konsequenz aus ihrem Interesse für Kunst und ihrem Umgang mit Künstlern wie Mike Kelley und vor allem Dan Graham, ihrerseits wiederum große Kenner und Theoretiker von Punk und Rock. Graham habe ihr einmal gestanden, er würde gern Kunst machen, die wie ein Song von den Kinks wäre. Sie selbst, könnte man sagen, hat dann immerhin dreißig Jahre lang Kunst gemacht, die wie Sonic Youth klang - und zwar Song für Song. Sonic Youth waren, so gesehen, weniger eine herkömmliche Band als eine plattenverkaufende Performancetruppe und Klanginstallation.

Die Cover ihrer Platten wiederum haben die Werke ihrer Künstlerfreunde auf der ganzen Welt popularisiert. Man kann nur ahnen, wie viele Mike Kelley zuerst über seine gespenstisch-niedliche Stoffpuppe auf "Dirty" (1992) kennengelernt haben. Dass wiederum "Daydream Nation" 1988 mit den kühlen Kerzen-Bildern von Gerhard Richter auf dem Cover erscheinen konnte, verdankte sie, so Gordon, vor allem ihrer Freundschaft mit Richters damaliger Partnerin Isa Genzken.

Eigentlich war das ja eine verwirrende Fehlbesetzung: Was wollte diese kratzbürstige Band mit dem arrivierten Großkünstler? Man kann sich auch nicht recht vorstellen, dass Gerhard Richter mit dem Gewölk aus Gitarrenlärm von Sonic Youth viel anfangen konnte, und wenn ja, dann wären eigentlich seine abstrakten Rakel-Gemälde dem rhythmisch schraffierten Rauschen auf der Platte synästhetisch angemessener gewesen.

Aber Gordon nennt dieses Cover ein Trojanisches Pferd. Die Bilder seien ihr bei einem Besuch in seinem Kölner Atelier schon rein vom Format her vorgekommen wie LP-Cover, man dachte ja damals noch in Vinyl. Heute kann man jeden verstehen, der sich diese Plattentaschen damals schon an die Wand genagelt hat.

Gordons Kunstwerke wie dieses verkaufen sich gut. (Foto: Kim Gordon. Courtesy 303 Gall)

Kim Gordon bringt auch heute noch Schallplatten auf Vinyl heraus. Soeben erscheint "Music for Inversions", ein sogenanntes "Live Ballet" des Künstlers Nick Mauss, der auch das Cover gestaltet hat. Von Gordon stammt die Musik. Die 250 signierten und nummerierten Exemplare kosten jeweils 50 Dollar. Eine Edition sagt man zu so etwas im Kunstbetrieb, dem sie ja jetzt angehört, und vielleicht, wer weiß, ist das ja auch genau der richtige Heimathafen für das alte Pop-Produkt Langspielplatte. Dann gibt es seit einiger Zeit das Duo "Body / Head". Aber vor allem gibt es jetzt eben dies: Kunstwerke zum Verkauf.

Ihre erste Ausstellung in ihrer ersten festen Galerie heißt "Design Office: The City is a Garden." Unter dem Tarnnamen Design Office hatte sie schon in den frühen Achtzigern gelegentlich ihr Wesen getrieben. Dass die Stadt ein Garten sei, ist aber eher eine Aussage über das New York von heute, und keine nette: Sie hat weiße Leinwände in die 303 Gallery gehängt, die wie in Stärke getaucht und wütend zusammengeknüllt erscheinen, billiger Glitzerstaub lässt sie funkeln. Wenn es eine visuelle Entsprechung zu dem Noise-Rock von Sonic Youth gibt und zu dem, was Gordon den "Low-fi Glamour" des New York von damals nennt, dann dies.

Auf dem Boden liegen ähnlich zerknüllte Leinwand-Skulpturen, hier hat sie die euphemistischen Namen von Luxusneubauten aufgesprüht, die so tun, als wäre das East Village, Wiege des New Yorker Punkrocks, neuerdings wirklich ein Dorf in irgendeiner englischen GrafsEs chaft: The Rushmore, Greenwich Lane. . . Dazu hat sie aus dem Baumarkt die Art von urbanem Absperrmobiliar ankarren lassen, das von außen aussieht wie eine Hecke, innen aber aus Stahl ist.

Die Arbeiten waren schon während der Vernissage zur Hälfte verkauft, zu Preisen zwischen 15 000 und 55 000 Dollar. Zu haben sind mittlerweile eigentlich nur noch die Readymade-Hecken, vielleicht weil es die in jedem New Yorker Baumarkt günstiger gibt.

Kim Gordons Einstand in der Galerie ist mit anderen Worten der erwartete Erfolg. Es ist nicht nur ein Abschied von der rauen Band Sonic Youth, sondern auch ein Abgesang auf das immer glatter werdende New York.

Kim Gordon wird die Ostküste nach mehr als dreißig Jahren jetzt wieder verlassen, sie wolle zurück nach Los Angeles. Sie sei "in between places", wie das hier immer so heißt. Sie schien sich, soweit man das bei der Eröffnung beurteilen konnte, ganz wohl da zu fühlen.

Kim Gordon: Girl in a Band. Deutsch bei KiWi 2015, 352 Seiten, 19,99 Euro. Is It My Body? Selected Texts. Sternberg Press 2014, 182 Seiten, 15 Euro. Design Office: The City is a Garden. 303 Gallery, New York, bis 15. Juli.

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: