Kate Moss ist wieder da:So verschnupft kommen wir nicht mehr zusammen

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Nach dem Skandal kommt auch gleich die Krönung: Kate Moss ist wieder da. Sie prangt auf allen Covern. Denn die Modewelt braucht sie dringender denn je.

Holger Liebs

Sie ist zu klein. Ihre Augen stehen zu weit auseinander. Sie ist dünn. Sie nimmt Drogen. Das sind nur einige der gebetsmühlenartig wiederholten Zuschreibungen, die die Karriere von Kate Moss begleitet haben. Seltsam: Dennoch ist sie eines der erfolgreichsten Models der Gegenwart. Und wenn es nach der überwiegenden Mehrzahl der Frauen unter vierzig geht, ist das nicht nur alles in Ordnung so, sondern sie finden die 31-Jährige wirklich schön, bezaubernd, überwältigend. Warum ist das so?

Die Modewelt lebt von einem fein austarierten Gleichgewicht zwischen Ideal und Abweichung, zwischen entrückter Schönheit und Identifikationsangeboten für jedermann und -frau. (Foto: Foto: AP)

Die Modewelt lebt von einem fein austarierten Gleichgewicht zwischen Ideal und Abweichung, zwischen entrückter Schönheit und Identifikationsangeboten für jedermann und -frau. Kate Moss verkörpert beides: ein atemberaubendes Je-ne-sais-quoi, also etwas unbenennbar Hinreißendes, und den menschlichen Makel. Sie ist eine perfekte Projektionsfläche für die berühmtesten Modefotografen unserer Zeit, kann wie eine leere Leinwand jede erdenkliche Gestalt annehmen, zeigt, vom glaubhaft verschämten, nackten Schulmädchen in den Bildern Mario Sorrentis über die coole Schlampe bei Terry Richardson bis hin zur eiskalten Glamour-Ikone bei Steven Meisel eine erstaunliche Fähigkeit zur Metamorphose.

Doch Kate Moss kann auch, im Unterschied zu vielen ihrer Kolleginnen, nicht nur drei ganze Sätze hintereinander formulieren, sondern saugt Kultur auf wie ein Schwamm, lässt sich von Künstlern wie Chuck Close, Wolfgang Tillmans oder Lucian Freud abkonterfeien, singt ein Duo zusammen mit Bobby Gillespie von der Band Primal Scream, tanzt lasziv in einem Video der White Stripes, umgibt sich mit artistes maudits wie dem drogenabhängigen Pete Doherty, feiert Partys. Und offenbar wurde sie durch ihre Bad Girl-Aura zur fleischgewordenen Kumpel-Phantasie für eine von der Popkultur geprägte Generation.

War da was?

Nun heißt es, wieder einmal, nachdem sie siebzehn Jahre im Geschäft ist, Kate Moss feiere eine "fulminante Rückkehr", sei sogar "rehabilitiert" ( Spiegel Online) und verbuche einen "Erfolg", auf, haha, "ganzer Linie" ( FAZ). Drei Monate, nachdem der Daily Mirror ein Handy-Foto der schnupfenden Kate Moss veröffentlicht hatte (Schlagzeile vom 15. September: "Cocaine Kate"), nachdem von Absturz und Karriereende die Rede war, nachdem sie anschließend die Meadows-Klinik in Arizona für eine Entziehungskur aufgesucht hat, ist das Model auf mehr als fünfzig Seiten der aktuellen französischen Vogue zu sehen.

Sie hat das Magazin mit dem ihr gewidmeten Titel "Scandaleuse Beauté" sogar als Gastredakteurin mitbetreut, wirkt beim neuen Pirelli-Kalender mit, hat neue Verträge mit Roberto Cavalli, dem Juwelier Yurman und dem Mobilfunkanbieter Virgin Mobile abgeschlossen und reist für neue Modeshootings nach Florenz, New York und St. Barth. Ihr Verdienst im ablaufenden Jahr summiert sich laut Forbes auf 4,25 Millionen Dollar. War da was?

Ja, da war was. Zum Beispiel 1998, als Kate Moss schon einmal berauscht aufgefallen war und sich anschließend auf Entzug begeben hatte. Der Jeans-und-Parfum-Mogul Calvin Klein hatte ihr Anfang der Neunziger zum endgültigen Durchbruch verholfen mit seinen an Richard Avedons Porträts von Andy Warhols "Factory"-Kommune angelehnten Schwarzweiß-Anzeigen. Klein entschied nach dem Drogenskandal von 1998 jedoch, den Vertrag mit ihr zu lösen. Anschließend ereignete sich das erste Comeback der Kate Moss: Sie schmückte mehr Magazincover denn je.

Kate Moss hat einmal geäußert, sie habe die ganzen neunziger Jahre hindurch nie nüchtern einen Laufsteg betreten. Sie war die Galionsfigur des "Heroin Chic" der Neunziger. Außer besorgten Eltern, die sich für ihre Kinder auch anständigere Leitfiguren vorstellen können (keine Bange, Teenager favorisieren ohnehin die weichgespülte Sarah Connor), hat das niemanden groß gestört: die Modehäuser nicht, die lesende Klientel nicht; selbst die Presse regte sich damals nur mäßig auf. Drogen, na und? So kennen wir die Modewelt doch, oder? Es brauchte schon mächtigere, eindeutigere Belege, damit wie in diesem Herbst die bekannte mediale Mechanik mit ihrem ritualisierten Dreischritt Verdammung-Schuldeingeständnis-Rehabilitierung in ihrer ganzen Unerbittlichkeit und Bigotterie endlich in Gang kam. Dabei spielte ein Fotohandy die wichtigste Rolle. Aus der Hüfte geschossene Digitalaufnahmen sind derzeit mit die glaubwürdigsten Garanten der Authentizität von Bildern. Und so kam, was kommen musste, als ein drogenabhängiger Bekannter von Moss' damaligem Lebensgefährten Pete Doherty aus der gepixelten Offensichtlichkeit ihres Drogenkonsums bare Münze machte.

Nun war gleichsam amtlich verbürgt, was doch jeder wusste. Über die Hinterhältigkeit ihres unmittelbaren Umfeldes regte sich niemand auf. Stattdessen reagierten manche Modehäuser mit Vertragsauflösungen (Chanel, H&M), manche zeigten sich zwar schwer erschrocken, wollen nun aber doch mit ihr weiterarbeiten (Burberry). Und sie steht, einmal mehr, strahlend da wie eine schneeweiße Unschuld, der man ihren Kater nicht einmal ansieht. Mehr noch: Der Medienskandal ist endgültig zum Teil ihrer Aura geworden.

Die "skandalöse Schönheit", der "rebellische Engel" posiert in der neuen Vogue in Roben von Chanel, Gaultier, Hedi Slimane, Galliano oder Givenchy als "La belle et la bête", nach Jean Cocteaus zauberischer Filmfabel vom Monster, das sich in Prince Charming verwandelt. Wobei mit dem "Biest", dessen literarische Vorlage aus dem 18. Jahrhundert stammt, wohl weniger ihr Ex-Freund Doherty gemeint ist als sie selbst: Der Skandal hat in ihre Bild-Mythologie Eingang gefunden; er mehrt die Vielschichtigkeit der Figur Kate Moss. Auf ihren nackten Körper wird das Antlitz des löwenartig entstellten Jean Marais projiziert: Diese Stilisierung, deren Idee laut Vogue vom Model selbst stammt, zeigt sie als von einem Dämon besessen, von einer fremden Macht eingenommen.

Wer den Vogue-Auftritt zynisch findet, sollte zweierlei bedenken. Zum einen gehört es zur Daseinsberechtigung der Modewelt, wie ein Vampir alle bestehenden Bildwelten komplett aufzusaugen und für ihre Zwecke zu nutzen. Zum anderen hat die Mode-Industrie, und nicht nur sie, jahrelang ganz gut von der doppelbödigen Bad-Girl-Ausstrahlung der Moss gelebt. Es sei absurd für eine Gesellschaft, die ihr Image für die Werbung eines Parfüms namens "Opium" ausbeute, sie nun in die Wüste zu schicken, so Francois-Henri Pinault, Präsident von PPR, der Firma, die Gucci und Yves Saint Laurent besitzt. Wer Moss als "Symbol für Freiheit und Überschreitung" benutze, so Pinault, müsse nun wenigstens ehrlich sein. Man könnte hinzufügen: Wer vom Kokainskandal dennoch wirklich erschüttert ist, der müsste eigentlich Ermittlertrupps hinter jeden zweiten Laufsteg schicken.

Werbung für "Opium"

Tatsächlich ist Kate Moss keines der "Supermodels" wie Cindy Crawford, Linda Evangelista oder Christy Turlington, die in den Modefotografien der Achtziger, etwa von Peter Lindbergh oder Bruce Weber, als glatte, perfekte Super-Heroinen stilisiert wurden. Moss' Eintritt in die Modewelt, auf dem berühmten Strandfoto von Corinne Day Anfang der Neunziger, wo die damals 16-Jährige Kindfrau halbnackt und lachend mit Indianderschmuck auf dem Kopf am Strand zu sehen war, traf sich mit der damals grassierenden Rave-Hysterie und der Suche von Popmagazinen wie The Face nach einer Ästhetik des Puren, Unverbrauchten, wie sie sich in den Massentänzen zu basslastigen Rhythmen in der freien Natur zeigte. Fortan wurde Moss zum Gesicht der Neunziger, wirklich dünn und ausgemergelt sah sie eigentlich nie aus, aber sie ließ eben auch kaum eine Party aus. Mittlerweile gibt es wohl ein halbes Dutzend hauptberuflicher Kate-Moss-Kopien unter den Models.

Hedonismus statt kalter Eleganz, Wandlungsfähigkeit statt der Einförmigkeit des Perfekten: Diese Eigenschaften weisen nicht nur die Fotografien der Kate Moss auf, sie besitzt sie, nach Aussagen nahezu all ihrer Fotografen, allesamt selbst. Die Rolle des Outlaws, die rebellische Pose, die die Moss in ihren Aufnahmen wie im Leben verkörpert, sind in der Modewelt regulierte Normverstöße, die die Branche braucht, um ihren unersättlichen Appetit auf novelties, auf die nächste Transgression zu befriedigen. Dieses System kann ohne seine Reservate ästhetischer Zähigkeit, Widerständigkeit und Kaputtheit nicht überleben. Kate Moss wird heute scheinbar dringender benötigt denn je.

Der Künstler Marc Quinn hat kurz nach Bekanntwerden der Kokain-Affäre eine Skulptur des Models angefertigt, die langsam schmilzt. Kate Moss werde, sagte Quinn damals, "als eine kulturell komplexere Figur da wieder herauskommen".

© SZ vom 15. Dezember 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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