Kardinalskollegium, Zweidrittelmehrheit, das Konklave:Die Gefangenen des Vatikans

Was genau passiert bei einem Konklave? Das Verfahren zur Papstwahl ist im Laufe der Geschichte mehrfach modifiziert worden. Eines aber ist geblieben: Ein frisch gewählter Papst muss zuerst und vor allem seine Unwürdigkeit bekunden. Von Horst Fuhrmann

Wer die Dauer sucht, sieht auf das Papsttum. Diktatoren, die ihre Herrschaftsform für die Zukunft sichern wollten wie Mussolini oder Hitler, erkannten in der katholischen Kirche und in der Wahl des Papstes ein Modell für Dauerhaftigkeit, das sich imitieren ließe. Doch ihre "tausendjährigen" Reiche zerstoben nach kurzer Zeit: Der Papst ist eben kein Duce oder Führer. "Seine übernatürliche Bedeutung, die unmittelbare Hilfe Gottes brachten dies Wunder (der Dauerhaftigkeit) zustande", so der gläubige Katholik Serrano Suñer. Der Papst ist eben etwas Besonderes.

Konklavesiegel

Wenn die Kardinäle zum Konklave in die Sixtinische Kapelle eingezogen sind, um einen neuen Papst zu wählen, werden die Türen zum Konklavebezirk mit gekreuzten Seidenbändern versiegelt.

(Foto: Foto: dpa)

Die Ausgewogenheit der Papstwahl, die Hitler und Mussolini imponierte, hatte einen langen Vorlauf. Nicht vorweg gedachte Eventualitäten, denen man vorbeugen wollte, sondern geschichtliche Ereignisse haben die Ordnung geprägt. Fast jede Vorschrift der Prozedur ist irgendwann einmal Antwort auf einen Missstand oder auf eine die Kircheneinheit gefährdende Situation gewesen. Diese jahrhundertealte Erfahrung ließ eine Wahlordnung von unvergleichlicher Stabilität entstehen; sie ist das Ergebnis historisch gelenkter Vernunft.

Betrachtet man diesen Formungsprozess, so kann man das erste Jahrtausend unter dem Aspekt des römischen Bischofsamts zusammenfassen. Der Papst ist Bischof von Rom, ein Bischof wird von "Klerus und Volk" gewählt, also ist die Papstwahl nichts anderes als eine Bischofswahl.

Ein Bischof ist von seiner Weihe an mit seiner Kirche unlösbar verbunden, man sprach von einer "mystischen Ehe", die nicht getrennt werden dürfe, zumal das Konzil von Nikäa (325) ein striktes Verbot der Translation (des Übergangs von einem Bischofssitz auf einen anderen, was heute üblich ist) erlassen hatte. Dementsprechend waren alle Päpste der ersten Jahrhunderte vor ihrer Wahl Diakone, Priester, auch Laien, aber keine Bischöfe.

Erst im 9. Jahrhundert bestieg ein bereits gewählter Bischof (Marinus I., vorher Bischof von Cerveteri, 882-884) den Stuhl Petri, und prompt gab es Streit über die Gültigkeit dieses Aktes. Bischof von Rom zu sein, war und ist Voraussetzung für die Wahrnehmung des Papstamtes, und in der offiziellen Titulatur steht diese Bezeichnung an der Spitze. Unmittelbar nach der Amtsannahme wird der Gewählte, falls er noch nicht Bischof ist, zum Bischof geweiht und bleibt es bis zum Ende des Pontifikats.

Als Papst Paul VI. die Regel einführte, dass die Bischöfe gehalten seien, bei Vollendung des 75. Lebensjahres ihren Amtsverzicht einzureichen, soll der erzkonservative Kardinal Alfredo Ottaviani (1890-1979) die grimmige Bemerkung gemacht haben, der Papst möge bedenken, auch er sei Bischof, Bischof von Rom.

Selbst demjenigen, der wenig Ahnung von der Papstwahl hat, dürften drei Stichwörter geläufig sein: das Kardinalskollegium, die Zweidrittelmehrheit, das Konklave. Alle drei Elemente bildeten sich in den ersten drei Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends heraus, als Reaktionen auf Gefährdungen des Amtes.

Ein "Papstwahldekret" von 1059 hat nach Jahrzehnten des Chaos' und der Fremdeinwirkung (deutsche Könige setzten Päpste ab und ein, römische Familien schlugen sich um das Amt bis hin zum Mord) das Wahlgremium auf die Kardinäle, die Geistlichen der Hauptkirchen, festgelegt.

Weil das Quorum einer gültigen Wahl nicht bestimmt war, kam es mehrfach zu Doppelwahlen; einem Kandidaten mit 12 Stimmen stand ein Gegenkandidat mit 2 Stimmen gegenüber, der allerdings behauptete, ihn habe "die bessere und vernünftigere Partei" gewählt. Das dritte Laterankonzil von 1179 unter Alexander III., dessen Wahl durch die Mehrzahl der Kardinäle einen unterlegenen Konkurrenten nicht ausschalten konnte, legte die für eine gültige Wahl notwendige Zweidrittelmehrheit fest.

In Übernahme des Wahlverfahrens bei italienischen Städten führte man das Konklave ein, die Wahl in einem geschlossenen Raum. Aber die Kardinäle ließen sich Zeit, bis zu drei Jahre (1268-1271). Der damals erhobene Papst Gregor X. (1271-1276), selbst nicht Kardinal, setzte die Schraube der Essensreduzierung an; wenn eine Wahl nach acht Tagen nicht erfolgreich war, "möge man (den Kardinälen) nur noch Brot, Wein und Wasser geben bis zur erfolgten Wahl".

Die Gefangenen des Vatikans

Den drei Grundelementen der Papstwahl ist in den nächsten Jahrhunderten nur wenig hinzugefügt worden.

Sixtus V. (1585-1590) hat die Höchstzahl der Kardinäle auf 70 festgelegt -- der Zahl der Ältesten Israels im Alten Bund sollte die Zahl der Kardinäle im Neuen Bund entsprechen. Die massiven Beeinflussungen im Mittelalter durch "Wahlkapitulationen" (Abmachungen, was der Kandidat im Falle seiner Wahl zu machen sich verpflichtete) wurden eingedämmt, bis sie im 18. Jahrhundert ganz aufhörten; die letzte Ausschaltung galt dem Exklusivveto katholischer Staaten (Kaiser Franz Josef hatte 1903 gegen eine Wahl des franzosenfreundlichen Kardinals Mariano Rampolla sein Veto eingelegt), das Pius X. (1903-1914) nach Amtsantritt sogleich für die Zukunft untersagte.

Zu keiner Zeit freilich ist so viel korrigiert worden wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der tugendsame Pius XII. (1939-1958) wollte den Geruch der Selbstwahl ausschalten und verfügte, dass zur erfolgreichen Wahl mindestens zwei Drittel der Stimmen und eine zusätzliche nötig seien.

Der unbekümmerte Johannes XXIII. (1958-1963), der schon mit seiner Namenswahl die Historiker in Verlegenheit gebracht hatte -- das amtliche Papstbuch führte schon einen durchaus gültigen Johannes XXIII. im 15. Jahrhundert an --, ließ die Zusatzstimme fallen, aber Paul VI. (1963-1978), ängstlich und zweifelnd, führte die bis heute notwendige Zusatzstimme wieder ein.

Auch über manch andere Tradition setzte sich Johannes XXIII. hinweg; er erhöhte die Zahl der Kardinäle über die sakrosankte Zahl 70 hinaus auf fast das Doppelte. Paul VI. führte weiter, was Johannes XXIII. und vor allem das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) angeregt hatten.

1975 kam der lang erwartete Erlass Pauls VI. zur Papstwahl heraus (Romano Pontifici eligendo, für den zu wählenden Papst); fortschrittliche Kreise waren insofern enttäuscht, als der Wählerkreis strikt auf das Kardinalskollegium beschränkt blieb, die Beteiligung einer Bischofssynode, die gerade ins Leben gerufen war, eine gesamtkirchliche Komponente also, ist ausgeschlossen.

Die Zahl der zur Papstwahl berechtigten Kardinäle ist auf 120 erhöht, wer bis zum Beginn der Sedisvakanz das 80. Lebensjahr vollendet hat, verliert das Stimmrecht, so dass es schon heute rund ein Drittel "porporati" gibt, die kein aktives Papstwahlrecht haben. Johannes Paul II. nahm mit seiner Konstitution Universi dominici gregis 1996 weitgehend den Erlass Pauls VI. auf, doch präzisierte er in "92 Normen" einige Bestimmungen, fast immer restriktiv. Hatte Paul VI. die drei Wählweisen -- per inspirationem, per compromissum, per scrutinium --, die Gregor XV. 1621 festgelegt hatte, noch zugelassen, so strich Johannes Paul II. die ersten beiden (keine spontane Akklamation, keine Übertragung an ein Wahlgremium) und ließ nur die Zettelwahl zu.

"Nichts möge erneuert werden, außer was überliefert ist" (Nihil innovetur, nisi quod traditum est): diesen Satz Stephans I. (254-257), des ersten Papstes, der den päpstlichen Primat mit den Einsetzungsworten Jesu "Du bist Petrus und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen" begründete, hat man den ältesten und stets praktizierten Grundsatz der römischen Kirche genannt. In der Tat: Die drei Pfeiler der Papstwahl stehen nach Jahrhunderten der Erprobung noch heute: Kardinalskolleg, Zweidrittelmehrheit, Konklave.

Mit der Wahl Karol Wojtylas ist mit einer aus dem Mittelalter kommenden Überzeugung gebrochen worden: dass der Papst ein Italiener sein müsse; seit 1378 waren alle Päpste -- mit einer kurzen Unterbrechung 1522/23 durch den Utrechter Hadrian VI. -- Italiener gewesen. Die irdischen Herrschaftsbereiche, so sah es der Kölner Domherr Alexander von Roes im 13. Jahrhundert, seien aufgeteilt: der weltliche gebühre den Deutschen mit dem Kaisertum, der wissenschaftliche den Franzosen mit ihren Universitäten, der geistliche den Italienern mit dem Papsttum.

Das zweite Grundelement einer Papstwahl, die Zweidrittelmehrheit, gilt nur noch für die ersten Wahlgänge. Sind 33 Wahlgänge erfolglos, so kann das Kollegium beschließen, dass fortan eine absolute Mehrheit gilt oder dass eine Stichwahl zwischen den beiden führenden Kandidaten stattfindet. Ist der Gewählte bereits Bischof, so besitzt er mit der Annahme der Wahl -- nicht erst wie früher mit der Weihe -- die Fülle päpstlicher Vollmacht. Was nicht im Gesetzbuch steht: Im Augenblick der Annahme der Wahl erwartet es der Anstand, dass der Gewählte seine Unwürdigkeit und seine Furcht vor der päpstlichen Aufgabe betont, wie es der Musterpapst Gregor der Große (590-604) gehalten hat: "Ich bin in die Tiefe des Meeres geraten und die Flut verschlingt mich", ein Wort, das spätere Päpste in dieser Situation übernommen haben. Roncalli-Johannes XXIII. antwortete: "Ich vernehme Deine Stimme mit Furcht und Zagen. Das Wissen um meine Armseligkeit erklärt meine Verwirrung." In Wahlanzeigen der frühen Kirche wurde die Versicherung des Widerstrebens und der Unwürdigkeit des neu Gewählten geradezu erwartet, denn "unwürdig eines geistlichen Amts ist, wer nicht gegen seinen Willen ins Amt gezwungen werden muss."

Komm, Schöpfer Geist

Das Konklave, der Wahlort, bringt angesichts der jetzigen Größe des Kardinalkollegiums hauptsächlich logistische Probleme. Das Konklave soll frühestens fünfzehn und spätestens zwanzig Tage, nachdem der Camerlengo die Urkunde über den Tod des Papstes ausgestellt hat, beginnen. Gregor X. hatte 1274 bei seinem Erlass über die Einrichtung des Konklaves zehn Tage eingeräumt, aber bei der Wahl Pius' XI. 1922 hatten die amerikanischen Kardinäle per Schiff nicht pünktlich erscheinen können. Wohin im Vatikan mit 120 bis 130 Eminenzen? Man hatte den Konklave-Gedanken durch Jahrhunderte so begriffen, dass die Konklavisten im Apostolischen Palast zu wählen, aber auch zu wohnen hätten, was bei der fast verdoppelten Zahl der wahlberechtigten Kardinäle zu grotesken Zuständen führte.

Büros ohne Wasseranschluss wurden vorübergehend zu Schlafstellen umgerüstet, die Stanzen Raffaels durch Bretterverschläge unterteilt, es fehlten Bäder und Toiletten, und im Sommer wurde es hinter den nach außen abgeschotteten Fenstern unerträglich heiß. Das schlichte vatikanische Pilgerhospiz Domus Sanctae Marthae links von St. Peter wurde zu einem modernen Hotel umgebaut; es hat 132 einfache Zimmer, die unter den Kardinälen ausgelost werden. Unverändert ist der Wahlort, die Sixtinische Kapelle, die seit 1592 fast ohne Unterbrechung diesem Zweck dient. Dorthin gelangen die Kardinäle ohne Außenkontakt vom Haus der heiligen Martha durch die Sakristei der Peterskirche, quer durch die Basilika, über die Königstreppe und den Königssaal in den Apostolischen Palast mit der in hellen Farben strahlenden Capella Sistina.

Hier sind vor, während und nach der Wahl viele Einzelheiten zu beachten, vom Geheimhaltungsschwur (der noch nie funktioniert hat) bis zum Baldachin über den Sitzen der Kardinäle. Wir fügen uns dem Ruf "Extra muros", mit dem wir hinausbefohlen werden, und vernehmen die einziehenden Kardinäle "Veni creator spiritus" (Komm, Schöpfer Geist) singen, einen Hymnus, den manche Ambrosius zuschreiben, der aber in der Karolingerzeit entstanden sein dürfte. Die Türen werden geschlossen.

Wir stehen auf dem Petersplatz und warten auf die fumata, das Rauchzeichen, und nachdem weißer Rauch aufgestiegen ist, tritt der Kardinalprotodiakon auf die Benediktionsloggia der Fassade von St. Peter und verkündet die große Freude "Habemus papam", und der neugewählte Papst spendet von dieser Stelle den Segen "Urbi et Orbi" -- was nicht selbstverständlich ist. Nach Pius IX. (1846-1878), der den Kirchenstaat verlor, betrachteten sich die Päpste, entsprechend einer von Pius IX. ausgegebenen Devise, als "Gefangene des Vatikans". Der Name des gewählten Papstes wurde von der Binnenloggia der Petrusbasilika nach Innen verkündet, eine Schmollgeste. Als am 6. Februar 1922 auf diese Weise die Wahl Achille Rattis, der sich Pius XI. nannte, bekannt gegeben war, ließ der neugewählte Pontifex verkünden: Er spende den Segen zur Welt von der Außenloggia auf den Petersplatz und die Welt sah zu wie seitdem üblich. Es wäre auch zu merkwürdig, wenn sich der Nachfolger Johannes Pauls II., der über 130 Länder bereist hat, als Gefangener des Vatikans aufgeführt hätte.

Horst Fuhrmann ist emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte in Regensburg. Von ihm erschien unter anderem "Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II." im C. H. Beck Verlag.

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