Karajan-Ausgaben auf CD:Tollkühnes Tohuwabohu

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Karajan hören: Das gewaltige EMI-Gesamtwerk des Dirigenten in einer preisgünstigen Kollektion auf 160 CDs.

Reinhard Brembeck

Die Karajan-Diskographie ist schwer überschaubar. Nicht nur, weil der Dirigent ein recht großes Repertoire häufig immer wieder aufgenommen hat, sondern auch, weil er seine Platten und Filme bei den verschiedensten Firmen herausbrachte. Doch einzig die EMI, die ihn in der Person des Produzenten Walter Legge gleich nach dem Zweiten Weltkrieg anwarb, stellt sich tollkühn diesem Tohuwabohu.

Lautstarke Versenkung: Karajan auf dem ersten Teil der EMI-Ausgabe. (Foto: N/A)

Die Firma hat zum Jubiläum ihre gesammelten Karajan-Schätze in zwei preisgünstigen, redaktionell allerdings nur dürftig ausgestatteten Megaboxen auf den Markt geworfen: Symphonisches auf 88 CDs, Vokalmusik auf 72 CDs. Wie meist bei Karajan überzeugen dabei die Live-Mitschnitte und frühen Studioproduktionen oft mehr als die später teilweise extrem ausgetüftelten Aufnahmen, zu denen einem meist unschwer interessantere Alternativen einfallen.

Gerade die frühe, leidenschaftliche und doch immer zugleich lyrisch reservierte Phase Karajans ist in den EMI-Boxen gut dokumentiert. So ist der erste Beethovenzyklus aus den fünfziger Jahren recht überzeugend, weil packender als die späteren Zyklen (bei der DG). Exzellent auch Sibelius, auf den Karajan immer wieder zurückkam, dessen klangfarbenverliebte Tonspiele ihn hörbar ansprachen. Ähnlich magisch Richard Strauss, auch Bartók, Debussy.

Bei den Opern steht an erster Stelle eine stupende "Lucia" mit Maria Callas (live 1955), die zudem ungewohnt diszipliniert im "Trovatore", sowie in der "Butterfly" zu hören ist. Aber auch die Bayreuther "Meistersinger" (1951), Mozarts "Così" (1954) und vor allem "Nozze di Figaro" (1950, ohne Rezitative) sind faszinierend. Für den Studio-"Tristan" (1971/72) hat Karajan zwar den überragenden Jon Vickers eingekauft, aber die Isolde der Helga Dernesch ist eine Enttäuschung. Ungleich stärker der Bayreuther "Tristan" 1952, mit dem Traumpaar Vinay / Mödl, den die EMI seinerzeit verschmähte - man zog Furtwängler vor - und der bei Orfeo erschienen ist.

Bei den anderen Plattenfirmen hat man dagegen die Qual der Wahl - interessant und sängerisch superb ist die "Bohème" mit Pavarotti (Decca 1972), in ihrer Verlangsamung das absolute Gegenteil zur Lesart Toscaninis, der doch als Vorbild Karajans gilt. Sängerisch zu unausgeglichen ein gerade entdeckter Live-"Fidelio" aus Wien (DG 1962), dafür überwältigend der Mitschnitt von Beethovens c-Moll-Klavierkonzert (Sony 1957): ein elektrisierender Glenn Gould, der glühend jugendlich, aber detailbesessen dahinstürmt, ein ihm elegant tragisch zuarbeitender Dirigent.

Und dann ist da noch Prokofjews "Peter und der Wolf", bei dem man Karajan ganz schnell vergisst, weil eine neunzehnjährige Romy Schneider dieses Märchen doppelbödig und spielerisch mit Erotik und Kindlichkeit, mit Leichtigkeit und Abgrund mischt, wie man so etwas nie bei Karajan entdeckt (EMI).

© SZ vom 3.4.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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