Kammermusik und Avantgarde:Klassik im Krach-Kabinett

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Trio oder Band? Im Zusammenspiel von Anton Kaun, Johannes Öllinger und Sachiko Hara (von links) vermischen sich Zuordnung und Klang. (Foto: Natalie Neomi Isser)

Für ein Konzert im Schwere Reiter haben sich ausgebildete Musiker mit einem Münchner Noise-Künstler zusammengetan

Von Rita Argauer

Die erste Probe zwischen Anton Kaun und Johannes Öllinger ist eigentlich ganz gut verlaufen. "Das war mit dieser Zither", sagt Kaun, Öllinger fällt ihm ins Wort: "Laute, eine Basslaute, um genau zu sein." "Egal, da spricht der Banause", antwortet Kaun grinsend, während der klassische Gitarrist Öllinger erklärt, dass er ein Barockstück auf diesem altem Saiteninstrument gespielt hätte und Kaun, der Noise-Musiker, diese Klänge laut Öllinger "durch den Wolf gedreht" habe. Das Ergebnis aber habe beiden gefallen, mit zwei weiteren Musikern planen sie nun eine Premiere: Studierte Musiker, die sich im Kontext der Neuen Musik bewegen, spielen mit dem Noise-Musiker zusammen ein Konzert.

In so einer Form hat das in München bisher noch nicht stattgefunden. Auch wenn sich akademische Musik und das, was man gemeinhin der Pop-Szene zuordnet, derzeit immer mehr vermischen. Doch meist nur in die eine Richtung: Es gibt in den Orchestern immer wieder Musiker, die sich auch mit Pop, Jazz oder experimentellen Klängen beschäftigen. Andersherum, also dass jemand ohne klassischen Hintergrund aus der Popszene in akademischen Kreisen spielt, ist eher ungewöhnlich.

Anton Kaun kann keine Noten lesen und kein Instrument spielen. Nicht im herkömmlichen Sinne zumindest. Denn unter den ziemlich vielen Kabeln, mit denen er diverse Klangeffektgeräte und Verzerrer verbindet, versteht man normalerweise kein Musikinstrument. Auch wenn Kaun damit Klang erzeugt, Konzerte gibt und sogar ab und an CDs oder Kassetten veröffentlicht. Kaun ist dazu auch ein wenig der Geräusch-Joker der experimentellen Pop- und Kunst-Szene. Er raut die Songs diverser Künstler, wie etwa die von Schorsch Kamerun, mit seinen Geräuschen auf, oder gibt Theaterproduktionen durch seine Klanggewalt die gewünschte Aussagekraft. Hinzu kommen seine Solo-Konzerte, die irgendwo zwischen Performance, Krach-Kabinett und Rückkopplungsorgie liegen.

Doch nun steht ein Konzert für "akustische und elektronische Kammermusik" an, bei dem er gemeinsam mit Öllinger, der Pianistin Sachiko Hara und dem Kontrabassisten John Eckhardt im Schwere Reiter Uraufführungen von Christian Bettendorf oder Gilberto Agostinho spielen wird. Doch allein in der strukturellen Herangehensweise gibt es in der experimentelle Pop-Musik und der Neuen Musik Unterschiede: "Bei Pop-Musik entwickelt man die Musik zusammen in der Probe, bei Neuer Musik findet die Vorbereitung allein zu Hause mit den Noten statt", erklärt etwa Hara, die beide Seiten kennt und sowohl viel Neue Musik spielt, aber auch immer wieder bei Projekten aus dem Pop-Umfeld in Erscheinung tritt. Zuletzt etwa bei Rayon, dem Solo-Projekt von Markus Acher von The Notwist. Dabei lernte sie auch Kaun, der dort ebenfalls mitwirkte, kennen, die Idee zu einem gemeinsamen Projekt entstand. Öllinger wiederum kannte Hara aus der Szene der Neuen Musik. Der Gitarrist spielte etwa regelmäßig mit dem Ensemble Piano Possibile oder trat bei einem Komponistenporträt des Münchener Kammerorchesters in der Pinakothek der Moderne auf.

Die Klangästhetik der Neuen Musik ist Kauns Noise, der aus dem Punk und Hardcore kommt, zum Teil jedoch gar nicht unähnlich: abstrakte und geräuschorientierte Musik. Nur, dass in der Neuen Musik eben von Partitur gespielt wird und in der Noise-Szene die Musik vom Interpreten selbst, und oft auch improvisierend aus dem Moment heraus, entwickelt wird. Doch Kaun selbst weiß nicht einmal, ob er sich überhaupt als Musiker bezeichnen würde. Seine Musik lässt sich nicht mehr nach gängigen Ordnungssystemen erfassen: Sie kennt Rhythmus und mit viel Einordnungswillen lassen sich die Tonballungen, die seine Effektgeräte produzieren, auch als Cluster bezeichnen. Doch die Rhythmen funktionieren nicht nach Taktarten und die Tonhöhen sind nicht mehr in Ganz- und Halbtonschritte differenzierbar. "Einfach ein sehr dichter Klang", sagt Öllinger, für den aber so eine Auffassung von Musik nicht zwangsläufig an Punk gekoppelt ist: Der Pionier derartiger Abstraktionsbewegungen sei für ihn John Cage, und Geräusche seien längst von Komponisten wie Helmut Lachenmann resystematisiert worden.

"Das ist ähnlich dem Unterschied im Betrachten von abstrakter und gegenständlicher Malerei", erklärt er. Das westliche Tonsystem funktioniere nach Chiffren und Zeichen, die der Hörer bestimmten Epochen und Gefühlen zuordnen könne; es ist somit leichter, etwas darin zu erkennen. Bei der geräuschhaften Atonalität seien möglichen Assoziationen viel weniger eindeutig - ähnlich einem abstrakten Bild, dessen Inhalt viel differenter wahrgenommen werden könne.

Kaun hat für dieses Konzert aber trotzdem nicht nach Noten spielen gelernt. Vielmehr haben die Musiker ein Konzept entwickelt, in dem die festgeschrieben Kompositionen mit Kauns Geräuschwelten verknüpft werden; auch wenn die Geräusche nicht so minutiös geplant werden können, wie Klang in einer aufgeschriebenen Partitur. Doch: "Wir haben ja alle Ohren und können auf das reagieren, was passiert", sagt Hara. Kaun genießt die Arbeit mit den ausgebildeten Musikern: "Bei Pop-Projekten herrscht manchmal so eine Angst, dass ich alles mit Lautstärke zuballere." Die offenere Form der Neuen Musik mache es viel leichter, seine Art Musik zu machen, darin zu integrieren.

Short Cuts: Akustische und elektronische Kammermusi k , Di., 1. Dez., 20 Uhr, Schwere Reiter, Dachauer Str. 114, 21 89 82 26

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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