Junge Künstler:Das Fremde verstehen

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Jazz trifft Renaissance-Musik: Der Saxofonist Niko Seibold führt mit dem Chor der Ionischen Universität Korfu Allegris "Miserere" auf. (Foto: Julian Geißendörfer)

Das Festival in Bayreuth vereint Musiker aus 30 Ländern

Von Barbara Hordych, Bayreuth

Als Niko Seibold vor sechs Jahren von der Leitung der Musikhochschule Mannheim die Aufforderung bekam, sich für eine Teilnahme bei dem Festival junger Künstler Bayreuth zu bewerben, erkundigte er sich erst einmal bei einem Mitstudenten, was er davon hielte. "Auf jeden Fall mitmachen!", gab der Kommilitone, der schon einmal an dem Festival mitgewirkt hatte, prompt zur Antwort. Warum? "Es ist eine einzigartige Gelegenheit, in Workshops von den Weltbesten zu lernen, gemeinsam zu experimentieren und in der Musik sprachliche und politische Barrieren zu überwinden", sagt der heute 30 Jahre alte Saxofonist Seibold. Damals traf er bei dem Workshop "Orient Meets Occident" auf ägyptische und tunesische Musiker, sofort sprang der Funke über, zwei Jahre später brachten sie als Haz'art Trio and Niko Seibold ihr Debütalbum "Un Coup du Destin" heraus. Mit ihrem Zusammenspiel von Oud, Kontrabass, Percussion und Saxofon schaffen die vier Musiker ein ganz besonderes Geflecht aus europäischen Jazz-Beats und arabischer Musiktradition, das alle Genregrenzen überschreitet.

Genau das ist das Ziel des Festivals, das im Sommer gleichzeitig mit den Richard-Wagner-Festspielen unterhalb des Grünen Hügels stattfindet - und in der 67. Ausgabe 450 Teilnehmer aus 30 Nationen zusammenbringt, die bis 31. August 80 Konzerte und Open-Airs aufführen. "Man weiß im Vorhinein nicht, was bei den jeweiligen Begegnungen entsteht", erklärt die Intendantin Sissy Thammer in ihrem Büro im Bayreuther "Zentrum". Aber genau das sei auch das Spannende an dem, was in den Projekten für Chor und Orchester, Sängersolisten, Film- und Theatermacher erarbeitet werde.

Natürlich gebe es auch viel zu organisieren, denn die Mitwirkenden, die sich für zehn Tage bis hin zu mehreren Wochen in der Stadt aufhalten, kommen aus China und Tschechien, Thailand und Tunesien, aus Deutschland, Syrien und Jordanien. Dabei kann die Kulturmanagerin und Dozentin, die sich selbst als "Dienerin der Kunst" versteht, auf 32 Jahre Erfahrung als Festivalleiterin zurückgreifen. Und auf ein bewährtes Team von Helfern. Zum einen sind das die Studenten der Hochschule Bayreuth, die im Zuge des Bildungsprojekts "Stepping Stone" Verantwortung in der Organisation übernehmen und dadurch auch Punkte für ihr Studium sammeln können. Zum anderen sind da aber auch Thammers "Festivalkinder" wie die 13-jährige Franzi. Seit fünf Jahren ist sie begeistert mit dabei, wenn es gilt, die ausländischen Gäste mit der Stadt vertraut zu machen. "Ich bin der Ansicht, dass Kinder die Chance haben sollen, mitzuhelfen", sagt Thammer. "Vom Adel lernen" nennt das die Tochter einer Brauerei-und Großgrundbesitzerfamilie aus dem oberpfälzischen Winklarn. "Ich bin froh, dass die Adelsherrschaft abgeschafft ist - aber in punkto Netzwerken sind sie vorbildlich", sagt Thammer.

1950 unter der Patronage von Jean Sibelius gegründet, soll das Festival junger Künstler Bayreuth eine Brücke zwischen Ost und West schlagen und interkulturelle Begegnungen ermöglichen. "Mir geht es besonders um die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz, also darum, das Fremde auszuhalten, es zu beobachten und zu verstehen", sagt Thammer. Sie hat beispielsweise erlebt, wie Festivalgäste irritiert beobachteten, dass arabische Männer mit Stöcken auf Büsche klopften, bevor ihre Musikerkollegen des Weges kamen. "Das wirkte natürlich auf uns Außenstehende völlig verrückt. Aber dann haben wir erfahren, dass ein solches Verhalten für Musiker, die aus einem Bürgerkriegsland kommen, völlig normal ist, um sich vor der Gefahr durch Heckenschützen abzusichern", erklärt Thammer.

Zu welch berührenden und beeindruckenden Ergebnissen die interkulturelle Zusammenarbeit führen kann, zeigte beispielsweise das "Miserere" nach Gregorio Allegri, das am vergangenen Wochenende als christlich-muslimisches Friedensgebet zwischen Renaissance-Musik, Avantgarde und Jazz in der Bayreuther Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit und im Kloster Speinshart zur Aufführung kam. Beteiligt waren unter anderen der Ionische Chor Universität Korfu und der Gesangsvirtuose Rebal Alkhodari, Gewinner des "Nice Voice Festival" der Arabischen Musikakademie im Libanon.

Auch Niko Seibold, der als selbständiger Musiker und Komponist in Basel lebt, war erneut dabei. Und weil für ihn die künstlerische Begegnung ohne feste Arrangements so spannend ist, freut er sich schon auf das Projekt "Silk Road". "Gemeinsam mit chinesischen und jordanischen Künstlern wollen wir eine Karawane auf der musikalischen Seidenstraße vom Fernen zum Nahen Osten ziehen lassen", sagt Seibold. "Mehr steht aber noch nicht fest." Das Ergebnis ist am 19. August im Europasaal des "Zentrum" in Bayreuth (19 Uhr) und am 20. August im Kloster Speinshart (16 Uhr) zu erleben.

© SZ vom 18.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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