Jugendtheater:Bauklötze zum Staunen

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Theater ohne große Worte: Julie Pécard und Peter Hinz. (Foto: Christian Kleiner)

Mit "Tanz Trommel" zeigt die Schauburg, wo es hingeht

Von SABINE LEUCHT, München

Zwei Menschen in Weiß, getrennt von einer Wand aus Holz. Er hat rote Hände, die ihn nie in Ruhe lassen. Liegt der Mann am Boden, wuseln sie herum wie kleine Tiere, ziehen ihn am Ohr in die Vertikale und in weitere Aktivitäten hinein. Sie hat rote Füße, die ihren Körper in den Spagat zwingen oder zu von oben argwöhnisch beobachteten Tanzschritten ausgreifen. Er ist der Trommler Peter Hinz, sie die Tänzerin Julie Pécard, und beide wirken in "Tanz Trommel" wie Anhängsel ihrer äußeren Extremitäten. Bis die Neugier und Experimentierlust der Trommlerhände die Holzwand in große klingende Bauklötze zerlegt haben, sehen die Zuschauer, die zur letzten Eröffnungspremiere der neuen Schauburg gekommen sind, immer nur einen der beiden Akteure. Danach sehen sie Annäherung, Kommunikation und ihr Scheitern. Immer wieder neu.

Das Ensemble-Projekt, für das die Regisseurin und neue Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer 2014 den Theaterpreis "Der Faust" bekam, zeigt zwei gleichermaßen eigenartige, unangepasste Annäherungsweisen an die Welt, ohne darüber ein Urteil zu fällen. Es kommt ganz ohne Worte aus, bis es gegen Ende doch was Biografisches zu hören gibt: über Pécards Sprachlosigkeit, als sie als Kind aus der Karibik nach Kanada kam, oder über die Schulprobleme von Hinz. Kinder im Grundschulalter können da leicht andocken, Kleinere einfach zu einem furiosen Cajon-und-was-auch-immer-Solo mitgrooven, Erwachsene können beides und mehr.

Es ist kein Zufall, dass die erfahrene Kindertheatermacherin und langjährige Intendantin der Jugendsparte des Mannheimer Nationaltheaters ihre "Tanz Trommel" ans Ende eines viergliedrigen Eröffungspremierenreigens setzt. Denn während an diesem Haus unter George Podt 26 Jahre lang eine hochgeschätzte, selbstbewusst-störrische Auffassung von gerne sperrigem, literarisch geprägtem Erzähltheater vorherrschte - getragen von den herausragenden Ästhetiken Peer Boysens und Beat Fähs - schlug der Neuen, die im Vorfeld von Sinnlichkeit sprach und von Theaterexperimenten auch für Vorschulkinder, Argwohn entgegen. Das Eröffnungswochenende gab die einzig richtige Antwort darauf und fächerte die ganze Vielfalt des zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters auf: Mit der Uraufführung "Gips" (wo man noch Reste einer Kinderdarsteller- und Problemlösungskultur erahnt, gegen die die Ex-Schauburgler sich wehrten) und der mobilen Schultheaterproduktion "Der unsichtbare Vater" standen gleich zwei Scheidungsstücke und also kindlicher Alltag auf dem Programm. Und - im zweiten Fall - gar nicht zeigefingrige Neue Musik-Vermittlung. "Schreimutter" zeigte wunderbares Figurentheater für Vierjährige. Doch erst mit "Tanz Trommel" liefert das neue Team den ultimativen Beweis dafür, dass Erzählen im Theater nicht alles ist beziehungsweise auch eine derart offene Form vieles erzählen kann.

Nicht jedem wird alles gefallen an diesem freundlich wirkenden Haus, das jetzt "Theater für junge Zuschauer" heißt. Muss es auch nicht. Man kann mit seinen Angeboten umgehen wie der Mann in "Tanz Trommel" mit den Teilen der anfangs so massiv wirkenden Mauer: einzelne herausnehmen, sie abklopfen und hören, was sie einem sagen.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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