Jugendgewalt und Medien:Der will nur Killer spielen

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Je Playstation, desto dümmer - und könnte man nicht in dieses verrohte Internet eine Mauer einbauen? Wenn Erwachsene über Jugendgewalt und Medien nachdenken, regiert oft Panik.

Christian Kortmann

Wäre man am Montagnachmittag über den vom eisigen Wind gepeitschten Starnberger See gerudert, hätte dann an den Gestaden der Evangelischen Akademie in Tutzing festgemacht und sich durch den Park zum Auditorium begeben, wen hätte man da durchs Fenster erblickt? Niemand anderen als Dieter Bohlen. Auch hierher hat er es also geschafft, zumindest als Projektion: Zu sehen gab es einen Zusammenschnitt seiner hemmungslosesten Urteile als Juror der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar": "Bei mir kommen solche Geräusche aus anderen Öffnungen", sagt Bohlen zu einer Kandidatin, eine andere demütigt er für ihr Übergewicht, RTL unterlegt das mit Elefantengeräuschen.

Drohkulisse: Szene aus dem 2008 erscheinenden Computerspiel "Grand Theft Auto IV". (Foto: Foto: rockstargames.com)

Dass solch inszenierte Häme, mit der junge Menschen einem Millionenpublikum vorgeführt werden, ein Aspekt der Tagung "Schlagkräftige Bilder" war, die sich mit Jugendgewalt und Medien beschäftigte, zeigt schon, wie weit hier der Gewaltbegriff ausgelegt wurde. In diesem Wohlstandsidyll wirkt das Thema ohnehin wie aufs Trockendock gelegt, und Jugendliche, um die es schließlich ging, waren auch nicht zugegen. Doch es wurde deutlich, dass die Standpunkte und Zugangsweisen der Fachleute - von Religionspädagogen bis zu Kriminalbeamten - auf dem Podium und im Publikum meist erhellender sind als die empirischen Zahlen und Analysen.

Die Wahrnehmung von Jugendgewalt sei stets ein Zerrbild, sagte Joachim Kersten von der Hochschule der Polizei in Münster. So nehme die registrierte Gewalt zu, gerade weil die Gesellschaft insgesamt friedlicher werde. Mit schwindender Akzeptanz von Gewalt werde diese heutzutage umso häufiger thematisiert und zur Anzeige gebracht. Zudem illustrierten Medien Jugendgewalt stets mit Bildern von Schulhöfen, obwohl 80 Prozent der Straftaten außerschulisch begangen würden. Kersten plädierte für eine ergebnisoffene Forschung und beklagte die Verknüpfung von "empirie-resistenten Stereotypen und Apokalypso-Wissenschaft", deren Mantra, alles werde "immer schlimmer", die Handlungsbereitschaft lähme.

Ebenso pointiert vertrat Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, seine Position. Pfeiffer macht die drohende Apokalypse in Form von "Bildschirmmedien", also Spielkonsolen und Computern, im Kinderzimmer aus. Ungeachtet der darauf gespeicherten Spiele lautet seine These: Je Playstation, desto dümmer. Hier sind methodische Zweifel angebracht: Denn in der Kausalkette von wenig gebildeten Eltern über Bildschirme im Kinderzimmer zu schulischen Leistungsdefiziten könnte man den Einfluss der elektronischen Unterhaltungsmedien ebensogut vernachlässigen.

Ansonsten müsste deren Verwendungsweise genauer untersucht sowie zwischen Spielleidenschaft und Suchtverhalten unterschieden werden. Stattdessen neigt Pfeiffer zu polemischen Verkürzungen: Ein Hauptschüler, der täglich fünf Stunden mit Bildschirmmedien verbringt, wird zur "kranken Existenz".

Killerspiel Schach

Dazu passte seine Forderung, alle Spiele, die das Töten belohnten, zu verbieten, weil sie reale Amokläufe inspirieren könnten. Der Begriff Killerspiel ist aber nicht eindeutig definiert. Den ästhetischen Aspekt, dass auch Ego-Shooter, Waffeneinsätze aus Ich-Perspektive, trotz realistischer Darstellungsweisen als von der Welt abstrahierte sportliche Wettbewerbe (wie das Killerspiel Schach) rezipiert werden, behandelte man in Tutzing nicht.

Die Diskussionen deuteten immer wieder an, dass die Verunsicherung der Erwachsenen über die Gewaltderivate größer ist als die der Jugendlichen selbst. Emotionale Wortbeiträge zeugten von Empörung und Verstörung, weil sich eine jugendkulturelle Praxis nicht jedem Ü-50-Verstand erschließt. Gewaltdarstellungen werden zum Sündenbock für allerlei kulturelle Verstimmungen.

So entlud sich ungehemmt die Angst vor Fortschritt und globalisiertem Datenverkehr - kann man in dieses verrohte Internet keine Mauer einbauen? Wiederholt schallte der Ruf nach Indizierung durchs Auditorium, obwohl die Rufer zugaben, die Dinge, die sie verbieten wollen, nie gesehen zu haben. Eine Referentin betonte den Namen des Computerspiels "Doom" konsequent wie den Kölner "Dom", was Jugendliche wohl ziemlich duuf fänden.

Auch Familienministerin Ursula von der Leyen, deren Vorschläge zur Verschärfung des Jugendschutzgesetzes am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen wurden, hält Verbote von Computerspielen für ein probates Mittel, wodurch sie für viele jedoch erst recht attraktiv werden. Manchmal möchte man die Jugend vor ihren Schützern schützen, doch in Tutzing klangen die Stimmen der Vernunft am deutlichsten: Helmut Hochschild, der die Rütli-Schule durch stürmische Zeiten führte und nun in der Berliner Schulverwaltung tätig ist, wandte sich gegen die Hysterie angesichts aktueller Medienphänomene.

Die Dramatisierung der Verhältnisse, etwa lüsterne Reportagen über Happy-Slapping-Videos, in denen wehrlose Opfer verprügelt werden, behinderten die konkrete Arbeit mit den Schülern, sagte er. Auch bessere Koordination würde die Jugendarbeit effektiver machen: In Berlin würden zuweilen 15 Helfer verschiedener Institutionen einen einzelnen Jugendlichen auf die rechte Bahn zu zerren versuchen.

Schwelgen in der früheren Gewaltleidenschaft

Bildung und Medienkompentenz ist der Nenner, auf den sich alle einigen können, ob sie nun an den Zusammenhang von Gewaltdarstellungen und realer Gewaltbereitschaft glauben oder Gewaltvideos als Symptom gesellschaftlich-ökonomischer Missstände betrachten.

Nachsitzen müssen nicht nur Jugendliche mit zu laxer Gewaltmoral: Wer sich zum Thema Gewalt äußere, solle erst mal einen Snuff-Film anschauen, der die Tötung eines Menschen zeigt, empfahl Isabell Zacharias vom Bayerischen Elternverband. Man müsse zu begreifen versuchen, wofür sich manche Jugendliche interessierten.

Die Wissenschaftler Kersten und Pfeiffer gaben sich konzilianter, als es ihre Positionen - Skepsis gegenüber Wirkungszusammenhängen vs. zielgerichtete Bildschirmjagd - zulassen. Sie schwelgten in Erinnerungen an ihre eigene Gewaltleidenschaft in jungen Jahren: Pfeiffer mochte Prügelfilme mit Eddie Constantine, Kersten stand auf die als gewaltverherrlichend berüchtigten Italo-Western. Und hat es ihnen geschadet? Nein, es wurden zwei ganz normale verrückte Professoren aus ihnen. Man kann Gewalt also auch konsumieren und ihre Bilder einfach hinter sich lassen.

© SZ vom 20.12.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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