Judasevangelium:Der Dämon hat es eilig

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Wenn Forschung Gewinn machen soll und wie National Geographic das Judasevangelium monopolisierte: Ein Übersetzungsfehler in einer sehr alten Schrift.

Stephan Speicher

Judas Iskariot, der Jesus von Nazareth, seinen Herrn, dem Hohen Rat "überlieferte", ist eine rätselhafte Figur. Er war ein Verräter, gewiss, aber war seine Tat nicht die notwendige Voraussetzung von Kreuzigung und Auferstehung? So hat man auch gemeint, die entscheidende Sünde des Judas sei nicht der Verrat gewesen, den er ja bald bereute, wie es bei Matthäus heißt, sondern der Selbstmord. Im Selbstmord nämlich habe sich seine desperatio gezeigt, die Verzweiflung, der fehlende Glaube an die Größe der göttlichen Gnade.

Der lange verschollene Text: das Judasevangelium. (Foto: Foto: ap)

Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, der die Figur des Judas so bedeutungsvoll werden ließ. Dass Jesus von jenem Jünger verraten wurde, der in seinem Namen sein Volk zu bezeichnen schien, das fiel der lateinischen Theologie rasch auf. Das war nicht einmal etwas Besonderes. Die Etymologie der Zeit fügte schnell zusammen, was ähnlich klingt, und sah darin einen tieferen Zusammenhang.

Lange verschollen

Das lateinische morsus (das Beißen) etwa wurde mit mors (der Tod) zusammengebracht; Adams Biss in den Apfel übergab die Menschen der Sterblichkeit. Sollte da nicht der Name Judas die besondere jüdische Schuld bezeichnen? So wurde diese Geschichte zu einem wichtigen Moment des christlichen Antijudaismus.

Daher ist es nicht erstaunlich, dass die Entdeckung eines Judasevangeliums vor drei Jahren einen gewissen Wirbel bedeutete, in den USA noch mehr als im religiös abgekühlten Europa. Dass es ein Evangelium des Judas gab, war allerdings keine Überraschung. Irenäus von Lyon, ein Kirchenschriftsteller des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, hatte in seiner Schrift "Gegen die Häretiker" von einem solchen Judasevangelium berichtet, das Judas als erleuchteten Freund Jesu darstelle.

Mitte der siebziger Jahre nun wurde in Mittelägypten ein Papyrus-Kodex gefunden, der den lange verschollenen Text enthielt. Das bedeutete einen Haufen Geld, so viel war den Findern und ihren Hintermännern sofort klar. Thomas Bartlett hat jetzt in der Zeitschrift The Chronicle Review (Ausgabe vom 30. Mai 2008) dargestellt, wie das Geschäft wohl abgelaufen ist.

Ein erster Versuch, den Fund zu Geld zu machen, scheiterte 1983. Amerikanische Institutionen waren angesprochen worden, sich in Genf einen Eindruck von dem Kodex zu verschaffen, aber die Preisvorstellungen des ägyptischen Händlers - drei Millionen Dollar - lagen weit über den Möglichkeiten etwa der Southern Methodist University.

Weggesperrt

Also wurde der Kodex erst einmal weggesperrt, und zwar so, wie es zu befürchten war: unsachgemäß in einem Banktresor. Sieben Jahre später kaufte die Händlerin Frieda Nussberger-Tchacos von der Zürcher Galerie Nefer den Kodex, angeblich für einen siebenstelligen Betrag. Später ging das Stück in den Besitz der Maecenas-Stiftung über, die es inzwischen an Ägypten ins Koptische Museum restituiert hat.

Bevor es aber so weit war, musste doch noch ein Gegenwert aus dem Kodex herausgepresst werden. Und so wurde das Publikationsrecht dem Verlagshaus National Geographic verkauft, angeblich für rund eine Million Dollar. Der Kodex ist echt, keine Fälschung, er gibt Auskunft darüber, wie eine gnostische Sekte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts über Schöpfung, Gott und Erlösung gedacht hat. Wie viele mag das interessieren? Der Quellenwert für die biblische Geschichte, wie sie (problematisch genug) die Evangelien überliefern, ist gering. Also musste der Name Judas zünden, und er zündete.

National Geographic stellte ein kleines Team zusammen. Gregor Wurst, der in Augsburg Alte Kirchengeschichte und Patrologie lehrt, übernahm es, aus den Fetzen, in die der Kodex inzwischen zerfallen war, einen Text herzustellen; Marvin Meyer von der Chapman University befasste sich mit der Übersetzung.

Übersetzung im Eiltempo

Eine Arbeit, für die üblicherweise Jahre zur Verfügung stehen, musste in Monaten erledigt werden. Wie eine Reihe von Kritikern glaubt - etwa April D. DeConick, die inzwischen eine neue Übersetzung erarbeitet hat -, enthielt die erste Übersetzung eine Reihe dramatischer Fehler. Sie bewirken, dass Judas gegen den Sinn des Textes als strahlende Persönlichkeit dargestellt wird, als engster Freund Jesu und einziger, der ihn versteht: ein "Geist" und nicht etwa ein "Dämon", wie an entscheidender Stelle das griechische "Daimon" übersetzt wird.

Vielleicht ein Zufall, vielleicht, wie DeConick zu bedenken gibt, auch mehr. Auf diese Weise jedenfalls hat sich das Judasevangelium eine öffentliche Aufmerksamkeit verschafft, die es sonst nicht erhalten hätte. Allein in den USA soll es rund 300.000-mal verkauft worden sein. Wie die Sache zu beurteilen ist kann nur eine Handvoll Spezialisten beurteilen. Aber interessant für alle ist es zu sehen, was passiert, wenn die Forschung gewinnorientiert betrieben wird. Unternehmer sprechen gern vom Markt, schöner aber ist das Monopol. Und so ist auch die National Geographic Society vorgegangen, als sie - gegen die Regeln des Fachs - die Handschrift für alle Forscher außerhalb des eigenen Teams sperrte und also auch alle möglichen Einwände stillstellte, die sich auf dem "Marktplatz der Ideen" hätten ergeben können.

Jetzt werden diese Einwände, die die Publikation von Beginn an begleiteten, lauter. Aber für die Öffentlichkeit steht jenes Bild fest, das National Geographic bei der Erstveröffentlichung malte.

© SZ vom 27.5.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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