Jubiläumsmusikfest:Im Wandel der Zeiten

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Die Münchner Gesellschaft für Neue Musik wird 20 Jahre alt. Ihr Leiter Nikolaus Brass zieht eine kritische Bilanz über die Funktion dieser Institution

Von Rita Argauer

Nikolaus Brass war ein Begünstigter. Zumindest als die Münchner Gesellschaft für Neue Musik 1996 gegründet wurde. Damals habe in München nämlich keiner seine Musik gespielt - außer auf dem Musikfest der damals neugegründeten Gesellschaft, da seien seine Kompositionen aufgeführt worden. Da Brass aber ein verantwortungsbemühter Typ ist, stieg er dann auch ziemlich schnell in die Organisation des Vereins mit ein, seit 2011 ist er Erster Vorsitzender dieser Gesellschaft.

Ein Verein für die Neue Musik. Samt einer Theoriegruppe aus Musikwissenschaftlern und Musikern, die sich mehr gedanklich mit der Gegenwart beschäftigen. Und einer Menge Komponisten und Musikern, die die Gegenwart dann empirisch erklingen lassen. In den regelmäßigen Musikfesten etwa. Das sind Konzertformate, die den gewöhnlichen Rahmen einer zweistündigen Aufführung sprengen - 2013 feierte man etwa mit zwei Mal zehn Stunden langen live Konzerten, 2014 gab es Neue Musik im Kunst-Karree in der Maxvorstadt. Und jetzt gibt es zum Jubiläum einen Uraufführungs-Konzertmarathon an diesem Samstag und ein Improvisationsspektakel inklusive Lichtinstallation am Freitag davor. Dazu wie immer eine Notenausstellung (das schaut aber auch besonders aus, wenn ein Kratzen auf dem Geigenkorpus in Noten ausgedrückt werden muss) und Gespräche sowie eine Kooperation mit der Augsburger Gesellschaft für Neue Musik.

Gesellschaften für Neue Musik haben in Deutschland Tradition, die weit ins 20. Jahrhundert zurückreicht, als sich die Avantgarde in Zusammenschlüssen zur organisieren begann. Der relativ junge Münchner Verband steht dabei unter dem Dach der bundesweiten Gesellschaft für Neue Musik, die wiederum zur Internationalen Gesellschaft für Neue Musik gehört - eine ehrwürdige Angelegenheit, wie Brass die Vereinigung beschreibt, die 1922 in Anwesenheit von Béla Bartók, Anton Webern, Paul Hindemith und anderen in Salzburg gegründet wurde. Da es in diesen Gesellschaften per definitionem aber um Gegenwart und weniger um Geschichte geht, stellt man nun zum zweitägigen Musikfest, das die Münchner Gesellschaft heuer zum 20. Jubiläum veranstaltet, sich selbst erst einmal infrage. In dem Format "Verhört" spricht Julia Cloot, die Vorsitzende des bundesweiten Dachverbandes, über den Wandel der Neuen Musik seit der Digitalisierung - und über die Existenzberechtigung solche Gesellschaften in Zeiten, in denen jeder mit sich selbst in bester Gesellschaft auf Youtube seine eigene Plattform eröffnen kann.

"Ich empfinde das als ambivalent", sagt Brass, der das auch für eine Generationenfrage hält, denn er kenne durchaus Komponisten und Künstler, die nur über das Internet existieren. "Das funktioniert", sagt er. Er halte die Virtualisierung von Musik dennoch für gleichermaßen beängstigend und faszinierend. Die damit verbundene ästhetische Verengung fände er problematisch. Vor allem, wenn die Komposition dem Youtube-Format angepasst werde. "Da bin ich konservativ", sagt er, wichtig sei ihm die Wahrung eines breiten ästhetischen Spektrums.

Das sei auch vor 20 Jahren schon so gewesen. Es waren stets höchst unterschiedliche ästhetische Varianten, die die Neue Musik bediente. Brass beobachtet im Vergleich zu damals heute vor allem einen stärkeren Hang zum Performativen: Komponisten, die gleichzeitig das Szenische mitdenken, Musiker, die gleichzeitig auch als Performer agieren: "Die Rollen sind nicht mehr so streng aufgeteilt", sagt er - das habe man ja gerade auch bei der Münchener Biennale erlebt. Gleichzeitig stellt er in München aber immer noch einen Hang zum musikalischen Konservatismus fest. Das war vor 20 Jahren so und das sei heute immer noch so. Derzeit klinge die Musik wieder tonaler und sei fassbarer, als es die Abstraktionsversuche waren, die von den Sechziger- bis in die Neunzigerjahre reichte. "Ein Rückgriff auf Bewährtes", sagt Brass dazu, der darin auch ein Symptom der wachsenden "Unübersichtlichkeit der Welt und der Zukunftsverdunkelung" sieht. Fehle die äußere Kontrolle, hole man sie sich in der Kunst zurück.

Brass selbst ist ein Freund der Abstraktion. Er bevorzugt Fragen statt schneller Antworten. Deshalb schätzt er die Diskussion über neue musikalische Formen. Deshalb schätzt er auch das Paradoxon, ein Symposion zur Existenzberechtigung des eigenen Vereins zu veranstalten, auch wenn er selbst die Arbeit der Münchner Gesellschaft für Neue Musik als ihr Leiter natürlich gutheißt, von der er bereits als junger Künstler profitierte.

Jubiläumsmusikfest , Freitag, 17. Juni, bis Samstag, 18. Juni, Schwere Reiter, Dachauer Str. 114, Programm unter www.mgnm.de

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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