Jubiläum:Menschen, Bären, Sensationen

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Das Literaturhaus am Salvatorplatz wird zwanzig - Schriftsteller, Schauspieler und weitere Gäste erzählen ihre besten Anekdoten

Der Salvatorplatz ohne Literaturhaus? Inzwischen undenkbar. Als es vor 20 Jahren eröffnet wurde, gab es zwar durchaus Skeptiker, doch die meisten Autoren und Verleger sahen schnell die Vorzüge eines eigenen Hauses für die Literatur. Und was ist nicht alles passiert in diesen zwei Jahrzehnten, in denen erst der Mitbegründer Reinhard G. Wittmann das Haus leitete, seit einem Jahr nun Tanja Graf - hier haben neben vielen internationalen Gästen wohl fast alle Intellektuellen der Republik einmal gelesen, allen voran der Stammgast Martin Walser; hier haben Schüler und angehende Autoren das Schreiben gelernt, wurden unzählige Preise überreicht, Diskussionen geführt. Wir haben Schriftsteller, Moderatoren und Schauspieler gebeten, uns Anekdoten aufzuschreiben oder zu erzählen, die für sie persönlich mit dem Haus verknüpft sind: unvergessliche Begegnungen, intellektuelle Höhenflüge. Mehr solcher Anekdoten kann man sich an diesem Freitag, 7. Juli, von 20 Uhr an dort beim großen öffentlichen Fest weitererzählen - oder gleich für neue sorgen.

Er zeigt Zähne, vielleicht ist er auch nur einsam. Auf alle Fälle gibt Thomas Manns Trutzbär dem Literaturhaus ein Gesicht - eines von vielen. (Foto: Catherina Hess)

Brauner Bär mit weißen Punkten

Da ich ein stark visuell geprägtes Gedächtnis habe, sehe ich beim Gedanken an das Münchner Literaturhaus sofort zahllose weiße Punkte und dazwischen einen ausgestopften alten Braunbären wie in einem Schneegestöber. Die Punkte entstammen den Waschräumen des Literaturhauses, die auf sämtlichen Etagen mit münzgroßen weißen Kacheln ausgekleidet sind, womöglich um zu bedeuten, dass wir besser auf Schneeflocken schreiben sollten. Wie jener staubige Bär in der Glasvitrine, der im Aufgang des Literaturhauses residiert und aus dem Wohnhaus von Thomas Mann stammt, fühlte ich mich manchmal vor den frischen, aufnahmebereiten Gesichtern der Schreib-Eleven, die ich als Dozent für die Bayerische Akademie des Schreibens bei der Arbeit an ihrem ersten Roman betreute. Das Literaturhaus gestattete den Dozenten den Luxus, renommierte Schriftstellerkollegen einzuladen und sie vorbrüllen zu lassen. Marcel Beyer kam mit 600 Elefanten, Reinhard Jirgl mit einem gewaltigen kaufmännischen &, Ursula Krechel entdeckte einen schreienden Säugling in der blauen Tonne, und Dagmar Leupold war so fürsorglich und gelehrt, dass ich mich sofort auf die faule Bärenhaut legte. Am Ende publizierten vier von zehn Anfängern ihren Roman, ich war starr vor Staunen und stellte mein Dozenten-Ich als erledigten Problembär in die Panzerglas-Vitrine zurück, denn schöner konnte es nicht mehr kommen.

Thomas Lehr, Schriftsteller

Adel vor

Als ich einen Abend mit Ferdinand von Schirach moderieren durfte, stellte mich der damalige Literaturhaus-Chef Reinhard Wittmann in seiner Einführung als "Georg von Oswald" vor, bemerkte das aber zum Vergnügen des Publikums erst, als ich mich mit einem "Reinhard von Wittmann" bei ihm bedankte. Wir behielten unsere selbst verliehenen Titel dann eine Weile lang bei. Es wäre vielleicht übertrieben zu behaupten, Besuche im Literaturhaus hätten einen in den letzten zwanzig Jahren durchwegs geadelt, aber es fällt mir spontan einiges ein, was ich nicht vergessen werde. Der erste Auftritt einer ganzen Generation junger, deutschsprachiger Autoren unter dem Titel "Am Pool", eine der letzten Lesungen von Susan Sontag, die Arbeit mit Autorinnen und Autoren in den Schreibwerkstätten, die tollen Mitarbeiterinnen des Literaturhauses, die über einen nie versiegenden Begeisterungsquell zu verfügen scheinen. Am besten gefällt mir das Literaturhaus sowieso immer dann, wenn ich weiß, ich gehe hin und werde garantiert jemanden treffen, der vom gleichen Virus befallen ist wie ich.

Georg M. Oswald, Schriftsteller

Ganz der Trainer: Pep Guardiola im Münchner Literaturhaus. (Foto: Christof Stache/AFP)

Super, super, super!

Pep Guardiola tauchte bei seiner Lesung im Literaturhaus im Juni 2015 erst kurz vor Beginn auf, von einer Entourage aus Freunden und Familie begleitet. Er las Gedichte des katalanischen Dichters Miquel Martí i Pol, es war ihm eine Herzensangelegenheit, das konnte man spüren. Er sollte also auf katalanisch lesen, ich auf deutsch. Pep schwebte herein, ganz der Trainer, herrliche Energie, und hat die Taktik für die Lesung ausgegeben: So machen wir's, so nicht. Im Raum herrschte Aufregung, alle waren völlig außer sich, ganz anderes Publikum als sonst. Ein Kollege von mir kam im Bayern-Trikot. Wie ein Fußballer spielte Pep mir die letzten Zeilen der Gedichte zu wie einen Ball, so dass ich direkt mit der deutschen Übersetzung anschließen konnte. Als wolle er sagen: Du bist dran! Mach das Tor! Und zwischendurch flüsterte er mir immer wieder zu: Super! Super! Super! Das Bier, das wir eigentlich im Anschluss an die Lesung trinken gehen wollten, haben wir nie nachgeholt.

Thomas Loibl, Schauspieler

Garderobenfrau

Stolz war ich am Tag der Preisverleihung. Münchens wichtigster Literaturpreis wurde vergeben. Und ich durfte mich als eine der jüngeren Freunde des Preisträgers Uwe Timm persönlich eingeladen fühlen. Fühlten sich wohl sehr viele. Ein voller Saal hieß bei der mustergültigen Novemberwitterung viele Mäntel. Ein Garderobier war ausgefallen. Die Bemäntelten stauten sich bis in den Stock drunter. Ich erbot mich, Hilfsgarderobenfrau zu spielen, wurde akzeptiert, kletterte auf die andere Seite des Tresens und fertigte ab. Eine Dame sagte über ihren feuchten Pelz hinweg: "Ich kenne sie irgendwoher." Ich lächelte weiter abfertigend. Die Dame ging, drehte sich um und sagte: "Irgendwie in Zusammenhang mit Literatur." Das tat gut. Obwohl sie gar nicht wissen konnte, dass ich gerade meinen ersten Roman geschrieben hatte. Aber irgendwie literarisch auszusehen, das war doch ein Anfang; für eine Blondine mit witzgerechtem Gesichtsausdruck erst recht. Der letzte Mantel hing, ich turnte über den Tresen zurück und schlitterte Richtung Saal. Die weißhaarige Venus ohne Pelz saß am Rand und zupfte mich am Kleid. "Jetzt weiß ich's: Sie bedienen unten im Café!"

Eva Gesine Baur, Schriftstellerin

Die Angst vor dem Laudator

Die Angst der Preisträger bei der Laudatio liegt naturgemäß im "Bangen vor dem in der Wahrheit sein", wie Heidegger diesen Zustand so schlicht beschreibt. Preisträger dürfen zwar ein Wort mitreden, wenn es um die Urheber der Lobrede geht, doch dann sind sie so hilflos wie der Gast, den im Lokal der unerbittliche Csárdás-Geiger anfiedelt.

Ich darf anmerken, dass ich dieses Gefühl voll und ganz nachvollziehen kann. In zwanzig Jahren Geschichte des Literaturhauses habe ich jene Situation des Ausgeliefertseins hundertfach miterlebt, meist als gespannt geneigter Zuhörer, bisweilen als Redner, wenige Male sogar als Preisträger. Als solcher empfindet man den Druck aus mehreren Gründen, die sich schon aus der Rollenverteilung ergeben: Laudatoren sind mit einem Manuskript gerüstet. Die oder der Geehrte ist unbewaffnet, muss diesem Nachteil in seiner Dankesrede spontan gerecht werden. Vielleicht auch witzig. Wenn es denn die Rührung erlaubt. Aber schließlich soll in der Erwiderung ja auch ein Funken der gerade unterstellten Brillanz ins Publikum zurückspringen.

Erst ein einziges Mal wähnte ich das Glück auf meiner Seite. Da trat die wunderbare und so pointensichere Eva Menasse ans Rednerpult, um literaturkritisch über mich zu reden. Auf dem Podium musste Eva feststellen, dass sie ihr Manuskript verlegt hatte. Ich heuchelte Mitgefühl und atmete auf. Vergeblich, wie sich flugs herausstellte. Ein Redakteur der SZ, dem - anders als mir - der Text bereits zugestellt war, eilte herbei und reichte seine Kopie der Rednerin. Von der Angst der Preisträger vor Laudatoren lässt sich seither auch ganz allgemein nur vermelden, dass sie nicht abgenommen hat.

Tilman Spengler, Schriftsteller

Stammgast: Martin Walser im Literaturhaus. (Foto: Catherina Hess)

Als ich nicht da war . . .

. . . im Literaturhaus München, hat zum Beispiel Eva Menasse gelesen oder Eckart Henscheid, Adolf Muschg, Peter Sloterdijk, Herta Müller, Christian Ulmen oder Christa Wolf. Kaum zu glauben, was ich in den vergangenen zwanzig Jahren im Literaturhaus verpasst habe, Martin Walser, Thea Dorn, Raoul Schrott, Nora Gomringer, Terézia Mora und nicht zuletzt meine Tukan-Preisverleihung. Letzterer fieberte ich im Krankenhaus entgegen und konnte ihr trotz guter Genesung nicht beiwohnen. Der Abend im Literaturhaus muss wunderbar gewesen sein. Als mir die Nachtschwester sagte, es ginge mir nun besser, bekam ich von meiner tatsächlichen Schwester Kati den Applaus des Publikums per Video auf mein Telefon gesendet. Kati war für mich im Literaturhaus eingesprungen, sie hatte also meinen Preis für mich entgegen genommen und meine Dankesrede gehalten. Das Essen auf meiner Preisverleihung soll köstlich gewesen sein, alle waren da, die Ohren müssen dir geklungen haben, sagte meine tatsächliche Schwester Kati, die Stationsschwester Gabi hingegen sagte, die Ohrgeräusche sollten mich nicht ängstigen. Als ich nicht da war, im Literaturhaus zu meiner Preisverleihung, bekam ich den größten Blumenstrauß der Welt, Kati brachte ihn mir ins Krankenhaus, der ist eigentlich für die Bühne gemacht, sagte sie, und er war wirklich so groß, dass er im Foyer des Krankenhauses besser stand als in meinem kleinen Zimmer. Als ich entlassen wurde, stand er immer noch im Foyer. Ich sah ihn einen Moment lang an, dann spielte ich den Applaus des Literaturhauspublikums auf meinem Telefon noch einmal ab und freute mich auf ein Glas Sekt zur Feier des Tages.

Nina Jäckle, Schriftstellerin

Die Szene lebt

Am Anfang war ich dagegen, und ich war nicht der einzige. Wir wollten das Literaturhaus nicht. Wieso nicht? Einfache Antwort: Wozu ein Literaturhaus in einer Stadt, in der eine Menge Buchhandlungen regelmäßig zu Autorenlesungen und anderen literarischen Veranstaltungen einladen, und die Welt der Literatur in München nicht nur um sieben Uhr morgens, sondern rund um die Uhr, zwölf Monate im Jahr, eh völlig in Ordnung ist? Oder nicht? Irgendwann dämmerte es mir, dass einer, der gegen ein LITERATURhaus ist, womöglich auch gegen Literatur an sich sein könnte. So ein Schmarrn. Oder doch nicht? Die Diskussionen dauerten an. Der eine oder andere namhafte Verleger wetterte gegen den Ausverkauf der ernsthaften Literatur durch eine auf Kommerz ausgerichtete Monopolinstitution, und ein paar, die sich die Gleichgesinnten nannten, wetterten mit. Dann schlug das Wetter um. Der Widerstand verschwand wie ein Föhn, eine ganze Zeitlang aber blieben noch Kopfschmerzen zurück, ein seelisch-mentales Unbehagen bei der Vorstellung, die schmucke Immobilie am Salvatorplatz könnte jedwedes subkulturelles oder anderskulturelles Leben geistig gentrifizieren. Ist nicht passiert. Neue Buchhandlungen und Literaturclubs sind entstanden, die Szene lebt, frei nach der Devise: lesen und gelesen werden. Der Einzige, der sich vermutlich regelmäßig im Grab umdreht, ist ein gewisser Oskar Maria Graf. Nach ihm nämlich wurde das Lokal im Erdgeschoss des Literaturhauses benannt. Wieso? Sein Leben war doch eh schon hart genug!

Friedrich Ani, Schriftsteller

Siegfrieds Traum

Gerhard Polt liest Oskar Maria Graf. Für mich bedeutet das: zwei meiner Hausgötter gleichzeitig auf der Bühne! Mein Sitznachbar an diesem Abend ist Siegfried Fischbacher, der weltberühmte Illusionist aus Rosenheim und Las Vegas. Optisch erfüllt er jedes Klischee: frisch aus dem Solarium, die Haare blondiert, Cowboystiefel. Wir sitzen nebeneinander in der ersten Reihe. Siegfried bolzengerade, die personifizierte Aufmerksamkeit. Dann die Szene wie aus einem schlechten deutschen Film:

Ausgerechnet das Handy von Siegfried klingelt! Der weltberühmte Illusionist läuft dunkelrot an. Der bayerische Satiriker zwei Meter vor uns reagiert superlässig: "Sog eam, i bin ned do", sagt er unter seiner Brille durch in unsere Richtung. Alle lachen. Polt liest zu Ende und der Beifall ist entsprechend. Siegfried, Wahlamerikaner und Kenner des Showbiz, springt auf, klatscht im Stehen, breitbeinig und mit weit nach vorne gestreckten Armen. Danach führt Marion Bösker vom Literaturhaus den Weltstar, der eigentlich bescheiden gleich abzischen wollte, noch in die Künstlergarderobe. Polt streckt ihm cool die Pranke hin: "I bin da Gerhard." Siegfried stehen die Tränen in den Augen.

Johannes Roßteuscher, Journalist beim BR

Rosen des Ruhms

Jubel, Blumen, volles Haus, ein prominenter Lobredner, Büffet, Wein . . . Als im Jahr 2002 der Tukan-Preis im Literaturhaus verliehen wurde, waren alle bester Laune, und ein festlicher Abend mit musikalischen Einlagen nahm seinen Lauf. Das Vorzüglichste für mich daran war, dass ich der Preisträger war, bedacht mit einem schönen Preisgeld, einer Urkunde und einem riesigen Blumenbouquet. Im Freudenrausch verstand ich kaum, was der Laudator zu Recht oder zu Unrecht an mir pries. Wie jeder Preisträger überall bekam ich kaum etwas zu essen und trinken, da ich mit den Gratulanten plauderte, alle paar Minuten fotografiert wurde. Umso mehr freute ich mich auf das Feiern im kleinen Kreis. Das Haus leerte sich. Erschöpft suchte ich meine Jacke, meine Tasche und balancierte das Blumengebinde. Wo war nun der Freundeskreis? Weg. Wo waren die vielen Gäste? Wie auf ein Zeichen: weg. Das gesamte Literaturhaus leer, wie evakuiert. Ich forschte in Räumen und Gängen. Nichts mehr, kein Leben, kein Pieps. Zutiefst verwirrt trat ich mit dem Rosenstrauß in die Nacht. Das war nun eine deutliche Lehre in Fragen des Ruhms. - Erst gegen Mitternacht fand ich die Vertrauten, die auch ohne mich den Preis kräftig gefeiert hatten.

Hans Pleschinski, Schriftsteller

Stadt des Schmerzes

Meine berührendsten Begegnungen waren die mit dem isländischen Autor Hallgrímur Helgason. Im Oktober 2011 stellte er seinen Roman "Eine Frau bei 1000°" vor; ich sollte den Abend moderieren. Als ich ihn vom Hotel mit dem Taxi abholte, diesen Bären von einem Mann, saß er ganz kleinlaut neben mir, blickte aus dem Fenster, war blass, wirkte misstrauisch. "Are you nervous?", fragte ich. "Und wie sehr", antwortete er auf Deutsch. Klar kann er Deutsch, dachte ich, hat ja in München studiert. Aber warum dann diese Befangenheit? Während der Lesung platzte der Knoten, Hallgrímur war wie verwandelt, war befreit, las, plauderte, lachte, nahm das Publikum vollständig für sich ein.

Im Herbst 2015 die zweite Begegnung. Hallgrímurs neuer Roman war endlich übersetzt, er wollte unbedingt wieder bei uns lesen, ich sollte auch diesen Abend moderieren, bekam mein Vorabexemplar - und da war sie: Hallgrímurs Münchner Geschichte, eine harte, erschreckende Geschichte. Alles hatte er aufgeschrieben von seiner Zeit in dieser "City of Pain", wie er München auf der Bühne nannte. Und dann erzählte er, wie sehr er sich 2011 vor München gefürchtet hatte - und wie wunderbar sich dieses Gefühl im Laufe eines Abends veränderte: Noch in derselben Nacht fasste er damals den Entschluss, sein nächstes Buch "Seekrank in München" zu nennen.

Marion Bösker, Moderatorin und Literaturhaus-Mitarbeiterin

Sitzengeblieben

Ihr Buch hatte ich schon vor Wochen gelesen. Auf französisch. Nun saß ich im Saal und betrachtete die Autorin. Sie erinnerte mich an diese Deutschlehrerin, wegen der ich damals sitzengeblieben war: Auch sie trug ein damenhaftes Kostüm mit einer hochgeschlossenen weißen Bluse, auch sie wirkte etwas altjüngferlich, süffisant und verkniffen zugleich. Catherine Millet, eine hochgebildete Kunstexpertin, Kuratorin allerlei bedeutender Biennalen, Chefredakteurin einer renommierten Kunstzeitschrift und Ikone der französischen Kultur, war aber nicht wegen der schönen Künste ins Literaturhaus eingeladen worden, sondern wegen ihres Bestsellers "Das sexuelle Leben der Catherine M."

Ich staunte. War das wirklich die Frau, die nachts ins Bois de Boulogne fuhr, um im VW Bus auf einer Matratze anonymen Sex zu haben? Die es angeblich mit über tausend Menschen und in allen Variationen getrieben hatte? Sie beschrieb es wie Fließbandarbeit. Nüchtern. Ganz und gar freudlos. Sozusagen jede Menge Fremdenverkehr, kostenlos. Nicht sinnlich, nicht spielerisch, kein bisschen erotisch. "Ihr Buch hat mich traurig gemacht", sagte ich Madame Millet an diesem frostigen Abend im Februar 2002. Wir blickten einander verständnislos an.

Fabienne Pakleppa, Schriftstellerin

Außenansicht des Münchner Literaturhauses am Salvatorplatz. Drinnen liest an diesem Montag Karl Schlögel aus "American Matrix". (Foto: Catherina Hess)

Der Heiratsantrag

"Wie, Du warst noch nicht oben?!" Als sei mir am letzten Tag meiner Praktikantenzeit im Sommer 2016 doch noch ein kapitaler Fehler unterlaufen, hallen die Worte in meinen Ohren. "Das müssen wir ändern!" beschließen Marion Bösker und Katrin Lange, beide langjährige Mitarbeiterinnen des Literaturhauses. Einen halben Augenblick später steigen wir zu dritt die Wendeltreppe zur Dachterrasse empor. Oben angekommen, weiß ich: Das ist es! Es besteht kein Zweifel mehr: Hier werde ich meiner Freundin den sehnlich erwarteten Heiratsantrag machen. Ein paar Gespräche und wochenlange Planung später ist es dann soweit. Über den Dächern von München, an einem wundervoll gedeckten Tisch, feiere ich mit meiner Freundin ihren anstehenden Geburtstag (so zumindest der Vorwand). An dem warmen Sommertag genießen wir - ganz unter uns, aber bei vorzüglicher Bewirtung - den Sonnenuntergang. Es hat alles etwas Märchenhaftes, so untermalen die Klänge eines Freiluftkonzerts unsere Gespräche, und ein spektakuläres Feuerwerk beschließt den dritten Gang. Es gäbe noch viel von diesem unvergesslichen Abend zu erzählen. Meine Freundin und ich jedenfalls besuchen immer noch häufig das Literaturhaus und erinnern uns gerne an diese magischen Momente - von diesem Herbst an als Mann und Frau.

Jascha Schulz, Volontär in PR-Agentur

Der Trutzbär

In meinem ersten Roman sollte unbedingt noch ein Tier vorkommen. Es spielte nämlich bisher nur ein Paprikahendl darin eine tragende Rolle, das kam mir nicht ausreichend vor. Nur was noch? Eines Tages wanderte ich durchs Literaturhaus und am Ende der erschöpfenden Treppe wartet da der Hausbär von Thomas Mann in einer Vitrine. Von diesem Bären hatte ich schon viel gelesen, er war bei der Familie Mann angeblich für das Einsammeln der Visitenkarten zuständig. Das erschien mir, bei allem Grauen vor ausgestopften Tieren, doch immerhin recht nützlich. Ich hatte ihn mir allerdings viel größer vorgestellt, der alte Bär hinter Glas im Literaturhaus war klein, trotzig und ziemlich einsam. Dann soll er wenigstens in meiner Geschichte vorkommen, dachte ich. Und ein bisschen Thomas Mann schadet ja keinem Roman. Der Bär wanderte also ins Manuskript, daraus wurde tatsächlich ein Buch und ein Jahr später stand ich damit wieder vor dem kleinen Trutzbären, denn es sollte eine Lesung geben. Ich gab ihm meine Visitenkarte. Und dann las ich natürlich die Szene, in der er vorkommt.

Max Scharnigg, Schriftstellerund SZ-Redakteur

Liebe auf den ersten Blick

Meine erste Lesung im Literaturhaus. Ich betrete den Saal mit seinen beeindruckenden weißen Bücherregalen. Die Musikerinnen sind schon da und scherzen, vor allem eine fällt mir ins Auge, auch ihr Lachen besticht, es ist so unbeschwert. Wir sprechen über den Ablauf. Bald sind alle Plätze durch das Publikum besetzt. Die vier Musikerinnen gehen mit mir auf die Bühne, wir wechseln uns ab, ich lese eine Passage, dann spielen sie ein Stück. Immer wieder sehe ich zur jungen Frau hinüber. Sie scheint nicht aufgeregt zu sein, sie singt, spielt Blockflöte und Percussion-Instrumente. Fällt den Zuschauern auf, dass ich mich verliebt habe?

Sie anzusprechen, wage ich nicht. Später erfahre ich, dass sie noch tagelang mein Foto auf dem Buchrücken betrachtet und wehmütig gedacht hat: Den sehe ich nie wieder.

Über ihre Dozentin am Konservatorium finde ich ihren Namen heraus. Ich lebe 500 Kilometer von München entfernt, trotzdem schreiben wir uns Mails, verabreden uns. Ich ziehe ihretwegen nach München. Heute sind wir verheiratet und haben zwei wundervolle, wilde Jungs. Dem Literaturhaus verdanke ich die Frau fürs Leben. Den ersten Hochzeitstag haben wir natürlich dort gefeiert, in der Brasserie OskarMaria. Titus Müller, Schriftsteller

Redaktionelle Mitarbeit: aw, blö, clu

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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