Jubiläum:Im freien Zeilenfall

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Fast fünf Jahrzehnte ist es her, dass ein junger Kritiker die Lobredner des Günter Grass attackierte, weil ihm deren Schriftstellerbild elitär und antiquiert erschien. Heute wird er, der Lyriker und Radio-Redakteur Peter Hamm, achtzig Jahre alt.

Von Thomas Steinfeld

Im Herbst 1968, am Ende eines Jahres, in dem kein neues Buch von Günter Grass erschienen war, rezensierte Peter Hamm im Spiegel das Buch, das dann doch veröffentlicht wurde - nicht von, doch über Günter Grass. In diesem Werk waren vor allem Lobreden auf den berühmten Mann und dessen Werk abgedruckt, und Peter Hamm legte, sich auf Walter Benjamin berufend, Einspruch ein gegen diese Sammlung. Einem ebenso "elitären wie antiquierten" Bild eines Schriftstellers werde da gehuldigt, dem der Mann selber gern und plump auf den Leim gehe - ein Mann zudem, der in seinem "kleinbürgerlichen" Insistieren auf Sinnlichkeit völlig unsinnlich sei und stattdessen jede Menge Ideologie produziere. Selbstverständlich geht es in dieser Kritik der Kritik auch gegen die lobenden Rezensenten: gegen Hans Magnus Enzensberger, Joachim Kaiser oder Heinrich Vormweg. Der junge Kritiker, etwa zehn Jahre jünger als die Kollegen, die er allesamt zu Opportunisten erklärte, hatte sich also einiges vorgenommen.

Fast fünfzig Jahre sind vergangen, seitdem Peter Hamm behauptete, es komme auch in der Literatur nicht darauf an, "ein Genie zu sein, sondern im Gegenteil darauf, die Herrschaft jener zu brechen, die nur dem Genie freie Entfaltung erlauben". In der Zwischenzeit wurde aus diesem zornigen jungen Mann, der eine abenteuerliche Jugend hinter sich und mit der Germanistik nur von außen Berührung gehabt hatte, ein Redakteur beim Bayerischen Rundfunk (über vierzig Jahre hinweg, welch lange Zeit), ein bekannter Kritiker, ein Vizepräsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und ein Mitglied etlicher Jurys. Ein Lyriker war er schon vor dieser Karriere gewesen, bald wurde er auch Drehbuchautor für Volker Schlöndorff, Essayist und Autor von Fernsehfilmen, die dem Pianisten Alfred Brendel oder einem seiner Lieblingsdichter galten, Ingeborg Bachmann, Fernando Pessoa oder Peter Handke. Möglichkeiten der Entfaltung scheint es in diesem Leben viele gegeben zu haben. Und wenn er heute auf das Voralpenland hinunterschaut aus seinem Bücherhaus am Starnberger See, dann wird er sich sagen müssen, dass auch ein wenig Freiheit dabei herauskam.

Das Sonderbare an Peter Hamm aber ist, dass er nie nur war, was er zu sein schien. Stets war (und ist) er auch etwas anderes, schwierig zu Greifendes. So war es im Gesellschaftlichen: Noch immer lebt in ihm, den man nun ohne zu zögern als älteren Herrn bezeichnen kann, ein junger Mann fort, mit zuweilen sogar schwärmerischen Attitüden. So war es im Beruflichen: Denn da mag es den Redakteur gegeben haben, mit einer Verantwortung für Sendungen, für Inhalte, für Mitarbeiter und Budgets. Doch zugleich war da auch der Lyriker, der gar nichts zu verantworten hatte, was über den Zeilenfall hinausging. Im Zweifelsfall (das heißt: wenn es wirklich um etwas Programmatisches ging) übernahm dann der Lyriker der Regie.

Aber er tat es nie ohne Zweifel, nie ohne ein Wissen um das Prekäre einer solchen doppelt oder dreifach codierten Situation. Dieses Wissen schlug sich auch in den Gedichten Peter Hamms nieder, die oft zum Aphorismus neigen und die Pointe nicht verschmähen: "Sähest du mich/mit meinen Augen,/ du sähest mich / nicht", lautet ein solches Gedicht. Alles andere als hermetisch sind diese Verse, eine Kippfigur zwischen dem Wunsch, hervorzutreten, und der Einsicht, dass nichts dabei herauskommen wird. Wobei man mit dieser Einsicht dann auch wieder hervortreten kann.

Als der Reporter und Schriftsteller Jörg Fauser, der ähnlich an München gebunden war, wie es Peter Hamm nach wie vor ist, in den frühen Achtzigerjahren einmal einer Lyriksendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beiwohnte ("Verdummungsorgie") und dieser daraufhin die Privatisierung an den Hals wünschte, fiel ihm Peter Hamm auf. Einen "Robert Redford der deutschen Poesie" nannte er ihn. Das klingt frech, ist aber ein verdecktes Kompliment. Denn Robert Redford war, ob unabhängig von seinem guten Aussehen oder nicht, stets ein guter Schauspieler, Regisseur und Produzent (der Vergleich trifft auch wegen der Vielfalt der Tätigkeiten) und vor allem ein Hoffender, in welcher Brechung auch immer.

Und ein treu Hoffender ist auch Peter Hamm, was man am deutlichsten wohl in seinen Dokumentationen für das Fernsehen sieht. Hatte er nicht Peter Handke zuerst verhöhnt, dessen "Innerlichkeit" wegen? Später wurden die beiden Freunde, und der Freundschaft verdankt sich einer der besten Filme, die je über einen deutschsprachigen Dichter gedreht wurde: "Der schwermütige Spieler" aus dem Jahr 2002. Denn Peter Hamm lässt Peter Handke sein, was er ist. Und was manchmal als Begeisterung des Filmemachers erscheint, ist die andere Seite eines Versuchs, am Freund das Beste zu erkennen. Und das ist aller Ehren wert. An diesem Montag wird Peter Hamm, der Dichter und Vermittler, achtzig Jahre alt.

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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