Journalismus in der Krise:Ganz exklusiv

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"Würden Sie bitte mit sofortiger Wirkung mein Abo kündigen?": Der Verlag der notleidenden L.A. Times hintergeht seine Redaktion mit einer als Artikel getarnten Anzeige.

Willi Winkler

Im Film zumindest gibt es keinen heroischeren Kämpfer als den amerikanischen Journalisten: Wenn er einer Geschichte auf der Spur ist, gibt er alles für die Wahrheit. Dann kennt er keine Rücksichten mehr, trotzt Wind, Wetter und dem Chefredakteur und wird am Ende mit dem Pulitzer-Preis und der schönsten Frau im Newsroom belohnt. Im wirklichen Leben ist es wie im wirklichen Leben: das Eigenheim nicht abbezahlt, die Schule für die Kinder schon wieder teurer geworden, und lange macht die Frau das nicht mehr mit, dass der überarbeitete Reporter erst lang nach Mitternacht nach Hause kommt. Und dann kann es natürlich sein, dass es die Zeitung mit dem journalistischen Ehrenkodex nicht ganz so streng sieht wie es seinerzeit in den Unbestechlichen gezeigt wurde.

Seine Idee war es nicht: Russ Stanton, Chefredakteur der "L.A. Times". (Foto: Foto: ap)

Die Los Angeles Times brachte am vergangenen Donnerstag auf ihrer Titelseite eine Anzeige, die auf den ersten Blick keine sein sollte. Unter der Überschrift "Southland's Rookie Hero" (Der neue Held in Southland) erfuhr der Leser, dass die Fernsehgesellschaft NBC eine neue Serie mit dem Titel Southland senden werde. Diese wertvolle Information war im Layout kaum von einem redaktionellen Beitrag zu unterscheiden und deshalb unter PR-Gesichtspunkten ein großer Erfolg. Die Zeitung tat ihre (vermutlich gutbezahlte) Pflicht und druckte. Zwar war der Artikel als "Werbung" ausgewiesen und mit den NBC-Logo gekennzeichnet, doch sollte der Leser bewusst getäuscht werden: Werbung, getarnt als redaktioneller Beitrag. Oder wie es NBC so schön formulierte: "Am besten daran war, dass wir damit gewissermaßen den ,redaktionellen Segen' erhielten."

Von Karl Kraus ist zwar die niederschmetternde Bemerkung überliefert, Journalismus sei das, was zwischen den Anzeigen stattfinde, aber zum journalistischen Selbstverständnis gehört zumindest in der westlichen Welt die klare Trennung zwischen redaktionellem und Anzeigenteil. Der Journalist ist (theoretisch) frei, das zu schreiben, was seine Meinung ist, während der Verlag für die wirtschaftlichen Belange zuständig ist, also für die finanzielle Basis, auf der die Freiheit des Journalisten manchmal recht unsicher ruht. Im Idealfall recherchiert der Journalist auch gegen ein Unternehmen, das seiner Zeitung als Anzeigenkunde lieb und teuer ist.

"Innovative Ansätze"

Den Idealfall, das hat sich herumgesprochen, gibt es vielleicht auf der Journalistenschule, aber nicht in der Praxis. Eine Zeitung wie die chronisch defizitäre Welt ist deshalb bereit, die Titelseite blau einzufärben, wenn es der Anzeigenkunde so wünscht. Nicht ganz zufällig wurde auch die Redaktion der Bild-Zeitung mit einem dubiosen Preis ausgerechnet dafür ausgezeichnet, dass sie im vergangenen Herbst über die Finanzkrise "verantwortungsvoll" berichtet hat.

Aber so ist die Welt: Die wirtschaftliche Lage schlägt längst auf die Zeitungen durch, wobei bisher die amerikanische Presse wesentlich härter getroffen wird als die deutsche.

Zur Ehre der L.A. Times, der zusammen mit ihrem Besitzer, der Tribune Holding, der Konkurs droht, muss allerdings gesagt werden, dass bei diesem Anzeigenkunststück der Verlag die Redaktion übergangen hat. Es war auch gar nicht der Fernsehsender NBC, der auf die neue Form von Schleichwerbung verfiel, sondern wiederum der Verlag. Man habe, so berichtet die ebenfalls arg bedrängte New York Times, "innovative Ansätze" ausprobieren wollen. "Dazu gehört die Schaffung exklusiver Vermarktungsmöglichkeiten für unsere Anzeigenkunden." Die NBC-Anzeige sei in der Absicht entstanden, "die traditionellen Grenzen zu erweitern". In einem ganz anderen gesellschaftlichen Sektor, zu dem der Journalismus manchmal überraschende Parallelen aufweist, heißt so etwas Prostitution.

Der große, inzwischen 77-jährige Reporter Gay Talese, einer der Mit-Erfinder des "Neuen Journalismus", hat gerade in einem Interview im Freitag den Mangel an Skepsis in seinem Beruf beklagt: "Es gibt zwischen den Medien und der Macht heute eine Verwandtschaft, die es früher nicht gab. (. . .) Wir können unsere Arbeit so nicht mehr machen."

Wie das aussieht, wenn die traditionellen Grenzen erweitert werden, hat der Leser Michael Bruce Abelson aus Pasadena verstanden, der sich mit einem kurzen Brief bei seiner Zeitung abmeldete: "Es ist vorbei. Würden Sie bitte mit sofortiger Wirkung mein Abo kündigen?" Die L.A. Times hat diesen Leserbrief in ihrer gestrigen Ausgabe zusammen mit mehreren anderen im gleichen Tenor gedruckt. So lange es noch solche Leser gibt, ist der Journalismus nicht vollständig verloren.

© SZ vom 14.4.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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