Johnny Depp in "Fluch der Karibik 3":Der erste Hippie

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Schwerelosigkeit umgibt ihn: Johnny Depp, der den Piraten Jack Sparrow so unnachahmlich spielt, ist eine besondere Art von Freibeuter. Über das Elend der globalen Piratlosigkeit.

Thomas Steinfeld

Jack Sparrow, der Kapitän ohne Schiff, mag Pirat in einem phantastischen Film sein, der nur höchst ungefähr in der Karibik des späten siebzehnten oder frühen achtzehnten Jahrhunderts und tatsächlich in einer Traumzeit spielt. Er mag segeln, sich an den Mast binden und von Kraken verspeisen lassen oder von den Toten auferstehen. In Wirklichkeit aber ist er eine historische Figur aus Zeiten, die weitaus weniger weit zurückliegen als die Kämpfe absolutistischer europäischer Großmächte um die Herrschaft über das Meer vor Mittelamerika.

Die zutiefst fahrlässige Art seines Auftretens: Johnny Depp als Jack Sparrow. (Foto: Foto: AP)

Denn Jack Sparrow - oder Johnny Depp, der diesen Piraten so unnachahmlich spielt - ist eine besondere Art von Freibeuter: Er ist ein Hippie. Wie dieser steht er an einem Schnittpunkt der historischen und der biographischen Zeit, die sich für ein Mal zu Freiheit und Glück verdichten. Schwerelosigkeit umgibt ihn, wenn er seine Abenteuer mehr durchtanzt als übersteht. Er mag noch so geschickt mit Waffen umgehen können: Sein Schalk sitzt in den Augenwinkeln eines Zivilisten, und alles Soldatische geht ihm ab.

Dass es sich bei diesem Piraten um einen Hippie handelt, ist leicht zu erkennen: nicht nur an seinen langen Haarflechten (die er mit manchem Autonomen teilen muss), an den Perlen und Tüchern, an den weichen Stulpenstiefeln, an den vielen Ringen, doppelten Gürteln und am geflochtenen Ziegenbart. Sondern vor allem an der zutiefst fahrlässigen Art seines Auftretens.

Jeder kecke Blick, jedes freie Schlendern, jede matte Handbewegung, die ganze Neigung zum Karikieren, die nicht in einer Karikatur aufgeht - und vor allem: der unerschütterliche Optimismus - bedeuten hier, allgemein verständlich: "Ich werde auch noch morgen tun, was ich will." Jack Sparrow muss nur seinen Mund auftun und die Sicht auf seine schwarzen Zähne freigeben, und jeder versteht: Diese Gestalt lebt von ihrem anarchischen Impuls. Warum wird eine solche Figur des Unernstes und der Disziplinlosigkeit gerade heute auf die Bühne getrieben, mag man sich da fragen, in einer Welt, in der jeder an jedem beliebigen Tag mindestens einmal an den 11. September denkt, an Terrorismus und Fundamentalismus, an den Krieg im Irak und den in Afghanistan?

Weil auch der 11. September, auch der Terrorismus, auch der Krieg nicht jeden Winkel des Bewusstseins beherrschen, muss die Antwort lauten, und weil es gerade in solchen Zeiten ein Bedürfnis gibt, sich gegen die Allmacht des Politischen zu wehren.

Die Verwandtschaft des Hippies mit dem Piraten reicht tief. Beide leben in Räumen jenseits der Rechtsordnung. Der Karibik des siebzehnten Jahrhunderts, in dem die Spanier die Kontrolle über die allzu vielen Inseln verlieren oder aufgeben, und die Piraten, oft ausgestattet mit Kaperbriefen der Franzosen oder der Briten, in das Vakuum der tausend unbekannten kleinen Eilande vordrangen, steht die bürgerliche Gesellschaft der sechziger und frühen siebziger Jahre gegenüber, eine Gesellschaft, die ebenso repressiv zu sein scheint wie das Regime der Spanier auf Hispaniola (die Insel, auf der heute Haiti und die Dominikanische Republik liegen) und ebenso unfähig, eine zunehmend individualistisch verfasste Lebenswelt zu regieren und zu ordnen.

Und in beiden Fällen waren die ganz oder auch nur ein bisschen Gesetzlosen in ihrer anarchischen Ekstase die beschwingten Vorboten einer neuen Zeit -und im Zweifelsfall stets auch, ein jeder mit seinen Mitteln: Agenten einer Globalisierung, von der sie selbst glauben, ihr nach Kräften zu widerstehen, ja sich ihr sogar zu widersetzen.

Und noch etwas verbindet den Piraten und den Hippie: die gute Laune. Diese gute Laune ist zutiefst unpolitisch, ja anti-politisch. Sie schert sich nicht um den Iran und den Irak, nicht um die Erwärmung der Erde, nicht um Selbstmordattentäter. Sie liest aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung nur diesen einen Satz heraus: "the pursuit of happiness".

Mit diesem Programm ist kein Staat zu machen, auch kein demokratischer. Und das heißt umgekehrt: In einem Land, in dem die Figur des Freibeuters einen Triumph nach dem anderen feiert, muss es nicht nur eine große Sehnsucht nach dem Ende des Ernstfalls geben, sondern auch nach einem Außenseitertum, das sich seiner devoten Haltung gegenüber dem gesellschaftspolitischen Sachzwang entledigt und kühn auftritt - verwegen genug, um dem Publikum wenigstens für einen Augenblick ein bewunderndes Stöhnen zu entreißen.

Wobei, und das ist nicht zu verhehlen, der gutgelaunte Hippie eben nur als Kunstfigur auf einer Leinwand herumspringt. Denn in der Wirklichkeit gibt es ihn nicht mehr. Er hat sich verflüchtigt in eine selige Erinnerung, und wenn auch der Autonome ein paar Details des Kostüms mit ihm teilt, so sind sich diese beiden doch im Innersten fremd.

Kein Land in Sicht

Der Hippie und seine Kopie, nämlich der Pirat, haben Grund für ihre gute Laune. So wie sie dastehen, der eine als Figur einer kriegerischen Freiheit in einem Vakuum der Macht zwischen den Großmächten seiner Zeit, der andere als zotteliger Repräsentant einer anderen, von ihm selbst kultivierten und gesellschaftlich geduldeten Lebensform, beide theoretisch eher unterbelichtet und ohne rechten Begriff von der Welt, in der sie leben - so wie sie dastehen, können sie nicht wissen, dass die Geschichte ihnen Recht geben wird, aber sie ahnen doch, dass der weitere Verlauf der Dinge sie mitsamt ihren Anliegen befördern wird, in den Dienst der britischen Krone, in die besseren Positionen eines reformierten, zunehmend individualistisch gesinnten Gemeinwesens oder wohin auch immer.

Aber wie gesagt - so etwas lässt sich eher fühlen als kennen, denn der Freibeuter meint ja (und in gewissem Sinne tut er es) den Zeitläuften enthoben zu sein, den eigenen, biographischen wie den politischen und sozialen, und er tut nicht wenig dafür, damit diese Enthobenheit erkennbar wird: Die Piraten der Karibik kehren immerzu von den Toten wieder, und die Hippies richten sich mitunter in den Ritualen des Auenlands ein.

Den Freibeuter gibt es möglicherweise noch immer. Aber man sieht ihn nicht mehr. Vielleicht tummelt er sich in den rechtsfreien Räumen der Datennetze, und von dort dringt sein keckes Lachen nicht heraus. Der Autonome jedenfalls gehört, den Rastalocken und dem gelebten Widerspruch zur Polizei zum Trotz, nicht zu den Piraten. Er sucht ja die Konkurrenz der Gewalt zum Staat. Es fehlt ihm die gute Laune, denn er hat keinen Grund dafür: So, wie er dasteht, als reine Empörung, als Erbitterung und letzter Ernst, kann er nur verlieren. Und weil er das weiß, schaut er die Welt mit den Augen einer Johanna von Orléans an, wie sie die Welt zugrundegehen sieht.

Die gewesenen Hippies, die Freibeuter von gestern, seine Eltern, können ihm dabei nicht helfen. Denn je häufiger sie sagen, sie hätten das alles schon erlebt, desto mehr heißt das auch: Unbekannte Inseln werden die Nachfolgenden nicht mehr finden. Und selbst wenn sie, durch Zufall, ein solches Eiland fänden: Sie würden es nicht bemerken.

Bilder von Johnny Depp in "Pirates of the Caribbean 3"

© SZ v. 2./3.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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