Jennifer Lopez in "Genug":Street Fighting Woman

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Exploitationkino in höchster Vollendung - Jennifer Lopez in "Genug" von Michael Apted

FRITZ GÖTTLER

Die Mutter weiß sofort Bescheid. Ach herrje, sagt sie, wann hat er dir denn das verpasst. Die Schwiegertochter hat, als sie an diesem Morgen zu Besuch kommt, noch hinter dem Lenkrad der Limousine sitzend, die große Sonnenbrille abgenommen und ihr blaues Auge entblößt. So knapp und lakonisch ist schon lang keine Mutter-Sohn-Beziehung mehr präsentiert und auf den Punkt gebracht worden - seit Hitchcock womöglich und seinen Geschichten um die gestörten Muttersöhnchen von Amerika.

(Foto: SZ v. 18.09.2002)

Das musst du einfach so akzeptieren", hatte der Sohn seiner jungen Frau erklärt, "ich schaffe das Geld heran und sorge, dass du ein angenehmes Leben hast, also setze ich auch die Regeln fest." Als die Frau schwanger war, ist er deshalb eben auf andere ausgewichen - und denkt nun, als junger Vater, natürlich nicht daran, diese Praxis wieder aufzugeben. An der Art, wie da soziales Gefälle ins Spiel kommt, merkt man, dass der Regisseur Michael Apted sich immer noch dem Dokumentarischen verpflichtet fühlt. Daran, wie er das Dokumentarische dramatisch nutzt, merkt man, dass er die Regeln des Genrekinos sehr gut kennt und akzeptiert. Was diese Regeln verlangen, sind unter anderem drastische Kürze, exemplarische Knappheit - bis ins Groteske. Das macht vielen Kritikern einiges Kopfzerbrechen, also legen sie ihre hohen psychologischen und ästhetischen Standards an und denunzieren den Film im Namen einer verqueren Logik. Man fragt sich, was sie eigentlich von einer Geschichte erwarten, in der in den ersten zehn Minuten ein smarter amerikanischer Traumprinz (Billy Campbell) ein Cafeteria-Cinderella (Jennifer Lopez) von seinem Arbeitsplatz wegheiratet.

Eine Rose aber, suggeriert der Film ziemlich bald, ist eine Rose ist eine Rose ... er stellt sich wie ein Sozialmärchen vor, das heißt er arbeitet von Anfang an mit den Techniken der Verdichtung. "Was lesen Sie denn gerade für ein Buch", wird Slim gleich in der ersten Szene von einem jungen Gast des Red Car Diner gefragt, der eine langstielige Rose vor sich auf dem Tisch liegen hat und keine Sekunde kaschiert, dass diese Anmache eine Anmache ist. "Finnegans Wake", erwidert Slim - denn das sei so ziemlich das schwerste Buch, das man sich vornehmen könnte, und wer das einmal geschafft hat .. . Das ist natürlich geflunkert, sie versucht einfach das Spiel mitzuspielen, aber es zeigt auch, wie virulent der Gedanke des Überlebenstrainings ist, der in ihrem Kopf herumspukt.

Slim zieht erst mal den Kürzeren, sie fällt einer mickrigen Männerintrige zum Opfer, die für sie zu Heirat und sozialem Aufstieg führt und plötzlich in einen grausamen Alptraum. Die Regeln des Mannes besagen, dass er die Liebe zur Frau, die Ideen von Treue und Beständigkeit durchaus zusammenbringen kann mit anderen Frauen und wechselnden Beziehungen. Der amerikanische Mann ist das oszillierende Wesen - da unterscheiden die Söhne sich nicht von den Vätern, wie Slim von ihrem himmlischen Erzeuger wohl weiß.

Was Mitch für sein Leben will, das kriegt er, und überraschend ist eigentlich nur die Geschwindigkeit dabei. Das Haus zum Beispiel, an dem er in einem prächtigen Vorort von L.A. vorbeifährt und das seiner Frau gefallen könnte, hat er in Nullkommanichts dem überrumpelten Besitzer abgekauft: "Sehen Sie, die Kinder sind weg, und für Sie und Ihre Frau allein ist das Haus doch viel zu groß ... und das Angebot, das ich Ihnen machen werde, ist so gut, dass Sie es einfach nicht ablehnen können." Das ist amerikanischer Professionalismus in Reinkultur, der - wir wissen es aus dem Kino von Howard Hawks - immer herzlose Manipulation bedeutet und gern in die Nähe gerät zum grausamen Herrenmenschentum.

Aber Liebe bleibt - unberechenbar, egoistisch, unbezwingbar - immer im Spiel bei allem, was Mitch tut: For mine ether duck I thee drake. And by my wildgeeze I thee gander ... Grausam setzt er Frau und Tochter unter Druck, unerbittlich zieht er die Schraube an, eine Mechanik des Liebesterrors - bis Slim nur noch die Flucht bleibt, das Untertauchen, ein anderer Name, eine neue Existenz - am besten in Emerald City, der Smaragdstadt, die man kennt aus dem "Wizard of Oz". Am Ende, nach vergeblichen Versuchen, sich ein privates, unversehrtes Leben zu bewahren, bleibt nur der physische Kampf - die Frau schult sich in der Kampfsportart Krav Maga und tritt an zum letzten Kampf gegen den Mann.

Die moderne amerikanische Gesellschaft wird von Apted gefilmt wie eine Primatenwelt, verteufelt nah am aggressiven Naturzustand - das kennt man schon aus Filmen wie "Gorillas im Nebel" oder "Nell", oder aus seinem Bondfilm, "Die Welt ist nicht genug". Und gerade die Frauen haben für ihn schon immer einen Willen gehabt, natürlich zu reagieren auf den Terror der Männerwelt - von Jodie Foster bis Madeleine Stowe. Der Drehbuchautor Nicholas Kazan hat unter anderem die Scripts zu "Patty Hearst" und "Frances" geschrieben, und manchmal spürt man auch eine emotionale Intensität in diesem Film wie in "Endstation Sehnsucht", einem der großen Filme seines Vaters Elia. Jennifer Lopez führt in "Genug" gewissermaßen aus, was Apted Sophie Marceau versagte als große Gegenspielerin von James Bond - da waren die Regeln des Genres übermächtig. "Er ist ein Mann", lernt sie als ultimative Regel, "und weil er ein Mann ist, wird er dich treten, wenn du am Boden liegst ..."

"Genug" ist - man kommt um den Begriff nicht herum - ein großartiger Exploitationfilm, und er hat als solcher mit einem sozialkritischen Beziehungsdrama um Ehestress und Scheidungskalamitäten nichts zu tun. Nicht um Beziehungen zwischen den Geschlechtern geht es, eher um Generationsprobleme. Der allwissenden Mutter korrespondiert ein windiger Vater - der von Slim, der auf den kuriosen Namen Jupiter hört und von Fred Ward mit göttlichem Charme verkörpert wird.

Ein Liebesfilm also, radikaler amour fou. Die schönste Szene ist, gegen Ende, nur ein paar Sekunden lang. Slim hat sich nachts eingeschlichen in Mitchs neues Haus, hat beobachtet, wie er morgens die Frau dieser Nacht wegschickte, sich selber dann auf den Weg macht. Sie hat sich herunter geschwungen aus ihrem Versteck und die Kaffemaschine ausgemacht, will nun die Wohnung präparieren für den Showdown, da kommt er nochmal zurück, sie duckt sich hinter einen Schrank. Ein atemloses Warten, er blickt herum, sie hält den Atem an in ihrem Versteck ... Das war schon immer so, erinnert sie sich, dass er vergessen hat, die Kaffemaschine auszumachen. Ein Moment der höchsten Spannung zwischen zwei Menschen, der intensiven Kommunikation.

ENOUGH, USA 2002 - Regie: Michael Apted. Buch: Nicholas Kazan. Kamera: Rogier Stoffers. Musik: David Arnold. Schnitt: Rick Shaine. Mit: Jennifer Lopez, Billy Campbell, Tessa Allen, Juliette Lewis, Dan Futterman, Fred Ward, Bill Cobbs, Chris Maher, Bruce A. Young. Columbia TriStar, 114 Minuten.

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