James Brown (70):Der Maschinist des Sex

Alles war einstudiert, nichts war geprobt: Zum 70. Geburtstag des Funk-Diktators James Brown.

KARL BRUCKMAIER

Die Einsicht, dass das Leben aus einer Zelle kommt und bei Strolchen gelegentlich auch in einer solchen endet, verdanken wir Heinz Erhard. Sein sehr deutscher Reim erinnert mich immer an James Brown: Die Wege des Hirn sind unergründlich. Hit me.

James Brown (70): Als sich die Gefängnistüren zum ersten Mal hinter Brown schlossen, hatte der bereits mehr an Biografie hinter sich, als manch anderer in einem langen Leben ansammeln kann.

Als sich die Gefängnistüren zum ersten Mal hinter Brown schlossen, hatte der bereits mehr an Biografie hinter sich, als manch anderer in einem langen Leben ansammeln kann.

(Foto: / SZ v. 03.05.2003)

1988, im damals mir greisenhaft scheinenden Alter von 55 Jahren, verprügelte James Brown seine Frau, fuchtelte mit einer Waffe herum, schoss gar, lieferte sich mit der Polizei ein kleines Autorennen und wurde schließlich eingebuchtet für sechs Jahre, zwei davon hat er abgesessen. Das muss die im Erhardschen Sinne letzte Zelle gewesen sein, in der zwar Funk sei Dank nicht das Leben, aber die Karriere ihr Ende fand.

Die erste Zelle bezog James Brown als Teenager, nachdem er ein Auto aufgebrochen und einen Mantel daraus geklaut hatte. Die Strafe lautete auf acht bis 15 Jahre. Die Richter hätten vermutlich auch sieben Fantastilliarden Jahre sagen können, so endlos lang, so endlos viel war das für einen Fünfzehnjährigen - schließlich wurden drei Jahre daraus, weil James im Knast im Gospelchor so schön sang und den Bewährungsrichtern versprach, in Zukunft immer ganz brav zu sein. Turn me loose!

Als sich die Gefängnistüren zum ersten Mal hinter Brown schlossen, hatte der bereits mehr an Biografie hinter sich, als manch anderer in einem langen Leben ansammeln kann. Geboren wurde er 1933 in einem Verschlag im Wald nahe Barnwell, South Carolina. Ist vermutlich so abgelegen, wie es klingt. Als er vier war, trennten sich die Eltern, und er war tagsüber sich selbst überlassen. Mit sechs Jahren kam er zu einer Tante in ein Bordell in Georgia. Er tanzte für Kleingeld, er pflückte Baumwolle, er putzte Schuhe und drei Jahrzehnte später bewunderten ihn Amerikas Black-Power-Poeten wie LeRoi Jones oder Larry Neal für Sätze wie: "I come from the ghetto and I still have my shoeshine box in my hands."

Er hing mit einer Kinder-Gang, und natürlich wurde geklaut, was nicht niet- und nagelfest war. "Manchmal werde ich gefragt, ob ich ganz oben angekommen bin. Nun, ich war bereits der Meinung, ganz oben angekommen zu sein, als ich mir ein gutes Paar Schuhe und jeden Tag eine warme Mahlzeit leisten konnte." Die fünfziger Jahre meint er damit, James Brown ist mäßig erfolgreich als Bandleader und Sänger.

So richtig ein Star wird James Brown erst 1963, als er auf eigene Rechnung ein Konzert mitschneiden und veröffentlichen lässt, "Live at the Apollo", Nummer 2 in den Charts, unerhört für die Live-Platte eines schwarzen Entertainers. Aber James Brown war weit mehr als ein Unterhalter: Er war der prototypische Amerikaner schwarzer Hautfarbe, der Trendsetter, die Stimme, der rechte Mann an der richtigen Stelle zu Zeiten von Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg und rassischen Spannungen in den Innenstädten im ganzen Land. Einerseits war James Brown ein Patriarch und Geschäftsmann in der Tradition eines Marcus Garvey, der nur in ökonomischer Autonomie vom weißen Mainstream eine Zukunft für das schwarze Amerika sieht - learn, don't burn -, andererseits ein mäßigend eingreifender, sich nur nach außen radikal gebender Kämpfer, ein Fordernder trotzdem, ein selbstbewusst Auftretender, kein Bittsteller, der verlegen den Hut in Händen dreht und Massa um einen Gefallen bittet.

Man solle sich bloß einmal vorstellen, amüsiert sich LeRoi Jones 1967, der Song "Money Won't Change You" würde laut in einer Bank abgespielt - Gebäude und System müssten allein der inneren Widersprüche wegen kollabieren.

"Black Ceasar" war in der Stadt, halb Gangster, halb Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer, und die Musik, die dieser Sound-Diktator machen ließ, kündete von einer bisher für Vorstadtamerika unsichtbaren Welt, der Welt der farbigen Minderheiten, wo sich Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe frei und ungezwungen bewegen konnten. Jene, die früher nur die Musik spielen durften, schrieb ein Kritiker, tanzten jetzt selbst dazu like a sex machine.

James Brown war das Rollenmodell für die afroamerikanische Jugend der sechziger Jahre, der ultimative Hipster, und zwischen der Ermordung von Malcolm X und den Unruhen in Watts gelang ihm der Durchbruch zum musikalischen Ausdruck seiner Zeit: "Papa's Got a Brand New Bag" war der Mutationssprung vom Rhythm'n'Blues zum Funk, zur neuen schwarzen Musik Amerikas, die auf der Stelle jedermann vom kleinen weißen Vorstadtjungen bis hin zu Miles Davis überzeugte, mitriss, veränderte für immer. On the One. Diese Betonung der Eins im Takt, der Wegfall des sich jazzig gebenden Hi-Hat-Geshuffles, die Überführung des Songs in die Jam, die potentiell endlose Rhythmusorgie, auf deren Basis sich ein James Brown als Zeremonienmeister und Drill-Sergeant seiner Musiker etablieren konnte, die gnadenlose Rhythmisierung sowohl der Gitarre wie der Bläser: Das alles war neu, wild, ungezähmt, die Musik der Zeit. Das alles gilt heute noch als Grundgesetz der schwarzen Musik, auf die jeder Jazzmusiker, jeder Hip-Hop-Produzent vereidigt wird, so wahr mir James helfe.

Funk, das neue Ding, wurde (und wird) mehr noch als jede andere Popmusik vor James Brown über den Körper kommuniziert, mehr als Elvis' Hüftgewirbel, mehr als im Getümmel der Modetänze von Shimmy-She-Wobble bis zu Twist. James Brown konnte seine musikalischen Vorstellungen seinen Musikern nicht diktieren oder plausibel erklären, er konnte sie nur: sein. Oft schrieb er ein paar Textzeilen auf Servietten oder Papiertüten, und dann stellte er sich vor PeeWee Ellis, vor Maceo Parker, vor Bootsy Collins, vor all diese ultra-talentierten Jazz-Freaks, die sich seinem Regime beugten, und verzog sein Gesicht, verrenkte seinen Körper, verdrehte die Augen, bleckte die Zähne, stammelte einzelne Silben, knurrte, schüttelte sich: ließ es alles heraus. Get up, get into it, get involved.

Und seine Musiker nickten, machten sich Notizen, übersetzen den Veitstanz des Chefs in Musik, wie sie noch keiner gehört hat zuvor, spielten sie gleich an diesem Abend, der wie jeder Abend ein Tanz auf dem Seil der Gnade von James Brown war, "Ladies and Gentlemen, Sie kennen die Sieben Weltwunder, nun, hier kommt das Achte Weltwunder, der Schöpfer von ...", der große Zampano, der über die rhythmische Windsbraut Namen rief, Soli forderte, scharfe Breaks, mörderisches Stakkato, alles war einstudiert und nichts war geprobt, und wenn ein Maceo Parker den Einsatz vermasselte, gab's eine Geldstrafe.

Black und proud und vor allem laut donnerte James Brown durch die sechziger und siebziger Jahre - und verlor langsam den Midas-Touch; seine Mitmusiker flohen den Diktator in immer kürzeren Abständen; sein Sohn starb bei einem Autounfall, und seit er sich so explizit politisch geoutet hatte, strafte ihn Mehrheitsamerika ab und kaufte seine Platten erst wieder 1986 für ein letztes Mal in die Pop-Hitparaden, als der bekennende Nixon-Unterstützer und gelegentliche Hurra-Patriot für den Film "Rocky IV" das Leben in Amerika verherrlichte.

Disko kam und ging ohne James Brown. In den frühen achtziger Jahren beeinflusste dafür seine Musik entscheidend die so genannte New und No Wave; in den späten achtziger Jahren gerieten seine Platten zum Materialsteinbruch der aufkommenden Hip-Hop-New-School und der Sample-Manie der neunziger Jahre.

Von P-Funk und George Clinton über Stevie Wonder, von den Rolling Stones und Prince bis Public Enemy und Erik B & Rakim: Kein Ton wäre auf dem anderen ohne die Lebensleistung eines James Brown, die Welt wäre anders, ärmer. Trotz all der entwürdigenden Entgleisungen eines alternden Egomanen, ist Papa zwar ein alter Sack, aber immerhin der Sack, in den alle anderen gesteckt werden.

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