Jakob Arjounis Roman ,,Chez Max'':Wie Herr Schwarzwald als Spitzel versagte

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Im Jahr 2064 ist Europa ein faschistisches Disneyland - Arjouni lässt wenig Zweifel daran, dass er die geschilderte Problematik für typisch deutsch hält. Dies einmal erkannt wird der Plot des Romans erwartbar für den Leser.

Kai Wiegandt

Während die Experten den Machteinfluss Europas in den kommenden Dekaden abnehmen sehen, ist unser Kontinent bei Jakob Arjouni das kommende Machtzentrum der Welt. Im Jahr 2064 beherrscht Europa, mit der asiatischen Zone als Partner, den durch eine weltumspannende Mauer abgetrennten Rest der Welt. Die USA spielen keine große Rolle mehr. Sie haben sich im Anti-Terror-Kampf erschöpft, wurden von der europäisch-chinesischen Allianz aufgekauft und sind jetzt Agrikulturzone.

Jakob Arjouni (Foto: Foto: Regine Mosimann, Diogenes Verlag)

Deshalb kann man sich in Europa die Dankbarkeit leisten, die eigene Staatssicherheit - genannt Eurosecurity - nach dem ehemaligen US-Justizminister John Ashcroft zu benennen, der auf die Idee verfiel, Verbrecher bereits dann zu verurteilen, wenn sie ihr Verbrechen erst planten. Politisch agiert man in Europa längst so zynisch wie dereinst in den USA.

Das läppische Verbrechen, Zigaretten zu rauchen

So macht sich die europäische Regierung das Hin und Her zwischen Israelis und Palästinensern zunutze, um die Bevölkerung in einer israelfeindlichen Haltung zu einen. So kanalisiert und entschärft sie Wut über Steuererhöhungen und andere innenpolitische Ärgernisse. Israel ist das Einzige, worüber der europäische Bürger sich ärgern darf, sogar zusammen mit anderen auf der Straße.

Der Erzähler von Jakob Arjounis Roman ,,Chez Max'', Max Schwarzwald, trägt seinen Teil zur präventiven Verbrechensbekämpfung bei. Als Betreiber eines deutschen Restaurants, das seinen Namen trägt, führt er in Paris eine bürgerliche Existenz, arbeitet aber im Geheimen für die Ashcroft-Leute. Der Roman beginnt mit der Verhaftung von Max' Freund Leon, der das läppische Verbrechen begangen hat, Zigaretten zu rauchen. So weit ist es mit Max gekommen. Dass er so schäbig handelt, liegt daran, dass er als Spitzel ansonsten wenig Erfolg hat. Sein Kollege Chen dagegen gilt in der Behörde als Supermann, seine Erfolgsbilanz ist grandios.

Chen macht sich über Max lustig, reibt ihm seine Erfolglosigkeit bei den Frauen unter die Nase und lässt sich keine Chance entgehen, ihn bei den anderen Mitarbeitern als Depp dastehen zu lassen. Verständlich, dass Max ihn hasst. Schon früh ist er, der sonst wenig mitbekommt, auf Chens Angewohnheit aufmerksam geworden, die Zustände in Europa zu kritisieren. Chen verurteilt die Spaltung der Welt in zwei Hälften, die Zustände in den Vorstädten von Paris, die Ausbeutung der Arbeiter in der ,,Zweiten Welt''. Nur aufgrund seiner Erfolge als Fahnder hat man Chen seine Provokationen durchgehen lassen oder sie nicht ernst genommen.

Dann entdeckt Max, dass Chen in einem Haus, das genau auf der Grenze zwischen seinem und Chens Zuständigkeitsbereich liegt, illegale Einwanderer duldet. Max hat e ine Idee: Chen tarnt sich als Ashcroft-Mitarbeiter, unterstützt aber insgeheim Terroristen; er verhaftet die kleinen Gangster, um den großen Verbrechern helfen zu können. Also bespitzelt Max den Kollegen. Doch er findet nichts, und schließlich wird er von Chen entdeckt.

Gewissen ist soziale Angst

,,Chez Max'' ist eine tagesaktuelle Zukunftsvision voll spitzer Kommentare zu politischen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. Wie zuletzt Arjounis ,,Hausaufgaben'' (2004), handelt auch dieser Roman von Heuchelei. War es dort der Lehrer Linde, der nach außen hin moralisierte und zugleich seine eigene Familie verachtete, so spielt sich Max Schwarzwald als ,,guter Europäer'' auf, um seine Mittelmäßigkeit zu kompensieren.

Dass er dabei die Moral eines faschistischen Disneyland-Europa vertritt, ist egal. Gewissen ist soziale Angst, und wenn Schwarzwald eines nicht will, dann negativ auffallen. Natürlich ist der Name Schwarzwald Programm. Arjouni lässt wenig Zweifel daran, dass er die geschilderte Problematik für typisch deutsch hält, dass der zur Schau gestellte Moralismus Folge einer unbewältigten Schuld ist. Es scheint, als mache gerade der Moralismus als Reaktion auf die totalitäre Vergangenheit die Deutschen so empfänglich für den ultrakorrekt daherkommenden Euro-Totalitarismus.

Dass es im Plot des politisch ambitionierten ,,Chez Max'' aber selten so kommt, wie man es nicht erwartet hat, schadet der Spannung und letztlich auch dem literarischen Gesamtbild. Sicherlich hat das Genre mit diesem Problem zu tun - auch Orwell hätte sich schwer getan, ein anderes Ende für ,,Animal Farm'' zu finden, zumal er Überzeugungen hatte. Schwer macht es sich Arjouni, indem er sich auf ein Feld begibt, durch das schon tausend Leitartikler marschiert sind.

Man hätte sich aber auch den Protagonisten vielschichtiger gewünscht. Arjouni macht ihn zum kritiklosen Mitläufer, der nicht weiß, dass er sich in die Tasche lügt. Er will dadurch, dass er gerade diesen pflichtbewussten, beschränkten Bürger enthusiastisch von den repressiven Verhältnissen erzählen lässt, das Schreckliche der europäischen Zukunftsgemeinschaft multiplizieren. Manchmal plappert Max quasi aus Versehen aus, welche unattraktive Rolle ihm Arjouni zugeteilt hat: ,,So lautete die offizielle Formel im Gesetzbuch: 'Angriffe auf die eurasische Wertegemeinschaft'. Darunter konnte vieles fallen, und manchmal dachte sogar ich, ob man den Punkt nicht etwas präziser hätte umschreiben können.''

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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