Jahresrückblicke der TV-Sender:Häng, häng, häng!

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Jahrmarkt 2008: Das absurde Fernseh-Rückblick-Duell von RTL und ZDF. Wofür zahlen wir eigentlich noch Gebühren?

Evelyn Roll

Warum machen die so was? Warum veranstalten ZDF und RTL zur gleichen Sendezeit diese sehr langen, sehr langweiligen und sehr ärgerlichen Aneinanderreihungen von volksverdummenden Zirkusnummern, die sie - keiner weiß wieso - auch noch Jahresrückblick nennen? Und warum geben sich zwei journalistisch profilierte und zu Recht beliebte Fernsehprofis für so etwas her?

Wer bleibt (wo) länger hängen? Die Frage des vergangenen Sonntagabends, an dem die Jahresrückblicke von ZDF und RTL zeitgleich liefen. (Foto: Foto: ddp)

Kein Fernsehforscher kann für einen Laien verständlich und plausibel erklären, wie man Marktanteile und Zielgruppenquote vergleichend misst, wenn der gelangweilte Zuschauer ständig hin und her und wieder zurück schaltet zwischen RTL, ZDF und, aus Verzweiflung schließlich, auch noch rüber zum Tatort der ARD mit dem großartig gealterten Martin Wuttke.

Rausgefunden haben sie jedenfalls, dass die Zuschauerzahlen in diesem seltsamen Jahresrückblick-Duell von ZDF (im Schnitt 5,1 Millionen) und RTL (5,74 Millionen) hier wie dort gut waren. Die Marktanteile auch. Beide Sender haben selbstbewusst die ohnehin quälende Sendezeit überzogen. Und Günther Jauch hat nach Zahlen knapp gewonnen vor Johannes B. Kerner. Herzlichen Glückwunsch. Die verantwortlichen Damen und Herren Oberzyniker können sich also gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Das war 2008?

Zurück bleibt der ratlos gelangweilte und um den Geisteszustand seines Landes möglicherweise beunruhigte Zuschauer: Das soll das Jahr 2008 gewesen sein? Dieser Seichtquark? Eine Nummernrevue aus Menschen, Sensationen, Monstrositäten und Beliebigkeiten? Alles ist gleich laut und gleich wichtig? Nur der Sport ist noch etwas wichtiger?

Und die Weltwirtschaftskrise? Die Wahl in Amerika? Politik kommt in diesen traurigen Formaten nur noch vor als tapfere Verlierer- und wahnsinnig lustige Versprechernummer (Beck und Ypsilanti), der größte Börsencrash seit 1929 als verkrampftes Satirchen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Kerner und Jauch haben das gut gemacht. Das muss man erst einmal können, vier Stunden live. Technisch war alles in Ordnung. Einige der Gäste waren auch respektabel, berühmt, interessant, unterhaltend oder wenigstens gut angezogen.

Die ersten Sendeminuten auf beiden Sendern waren dramaturgisch geschickt und vielversprechend: Beim ZDF der Beinahe-Crash der Lufthansa-Maschine LH 044 auf dem Flughafen von Hamburg am 1. März; und der Flugkapitän, der im richtigen Moment "go around" gerufen hat. Bei RTL live am Reck der bewundernswürdige Fabian Hambüchen mit seiner Olympiaglanznummer; diesmal ohne Patzer, dafür mit Freundin, die im Publikum murmelte: "Häng, häng, häng!" Und: "Steh!"

Zurecht in einem Sack

Dann aber machte sich das System Jahrmarktsattraktion auf beiden Kanälen selbstständig: Hier der altersexhibitionistisch kurzbehoste sechundneunzigjährige Sportsmann, der seinen Spagat noch kann und die Beinhebe an der Wand noch länger als Günther Jauch. Dort Oma Gertrud vom Panoramabad Neustadt, die es noch mal wissen wollte, und mit zweiundachtzig Jahren den Salto rückwärts springt vom Dreimeterbrett. Dann die Krankenschwester, die eine Gabel verschluckt. Der Mann, dem zwei Arme angenäht wurden. Der umoperierte Herr, der schon wieder ein Kind bekommt.

Kein Kalb mit drei Köpfen. Keine Dame ohne Unterleib. Dafür Sarah Connors Mama, die zwar über fünfzig, aber schon wieder schwanger ist, weil: "Das ist, was ich wirklich gut kann, Kinder ausbrüten". Während im ZDF die fabelhaft gekleideten Herren Kahn, Lehmann und Schweinsteiger genötigt werden, gefühlte 20 Minuten lang dem schlechtesten Fußballverein Deutschlands zuschauen zu müssen beim schlecht Fußballspielen. Weil es so lustig ist.

Ist das nötig? Ist das interessant? Ist das unterhaltsam? Warum stemmen sie sich zwei einflussreiche, mit journalistischem Verstand und Profil ausgestattete Ankerleute wie Kerner und Jauch nicht mit der Macht, die sie in ihren Sendern doch ohne Zweifel haben, gegen den Verfall, den Niedergang, die Beliebigkeit?

Warum nötigen sie ihre Redaktionen nicht, sich Welt- und Ideenbild anderswo zusammen zu setzen, als bei Bild und Bunte? Warum ermuntern sie sich selbst nicht zu ein bisschen journalistischer Einordnung und Verantwortung?

Eine Frage der Daseinsberechtigung

Ja, doch, es ist gerecht, beide Jahresrückblicke in einen Sack zu stecken und draufzuhauen. Man trifft in jedem Fall den richtigen. Das ist es ja gerade. Offenbar merken die Programmverantwortlichen vom ZDF nicht einmal, wie gefährlich es ist, durch so eine Parallelübertragung das Dilemma des öffentlich-rechtlichen Fernsehen derartig auszustellen.

Wenn es das Ziel war, in der gegenwärtigen Mediendebatte und während das Internet das Fernsehen als Leitmedium ablöst, vorzuführen, dass gebührenfinanziertes Fernsehen es jederzeit schafft, noch unter das Niveau von Privatsendern zu gehen: Das ist gelungen.

Eine Frage der Daseinsberechtigung. Wer beim Hin-und-Herswitchen an dem einen oder anderen RTL-Werbeblock hängen geblieben ist, fragt sich möglicherweise, wo eigentlich der Unterschied zwischen werbefinanziertem privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen geblieben ist und warum er einen davon mit seinen Gebühren finanzieren soll.

Dann schon lieber den Tatort im Ersten.

© SZ vom 09.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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