50 Jahre Helvetica:Superstar und schlichte Type

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Wer hat's erfunden? Die Schweizer: Helvetica, die neutrale Schriftart für Fluglinien, Sehtests und Kebab-Stände wird 50 Jahre alt. Sie trägt das "Parfüm der Straße", ist gleichzeitig trendig, seriös und demokratisch.

Barbara Basting

Die Helvetica kennt, selbst ohne sie benennen zu können, buchstäblich jedes Kind - und das bei weitem nicht nur in der Schweiz. Denn sie ist international (es gibt auch eine kyrillische Variante) die beliebteste Schrift für Autobahnschilder und Subway-Pläne, Sehtests und Kinoleuchtreklamen, für Plakate sowie für Gebots- und Verbotstafeln aller Art.

(Foto: Foto: Abb. aus dem Buch "Helvetica" von Lars Müller)

Microsoft hat, um Lizenzgebühren zu sparen, mit der "Arial" eine Variante ins Word-Programm integriert. Auffallend häufig wird die Helvetica für Namenszüge von Firmen verwendet, die Sicherheit, Solidität und Seriosität ausstrahlen sollen oder wollen. Von Agfa über BMW und Lufthansa bis zu Orange Communications und Parmalat lassen sich etliche Beispiele aufzählen.

Dennoch signalisiert die Schrift je nach Kontext auch Coolness. Design- und Modeproduzenten von Knoll International über Comme des Garçons bis Muji machen sich das zunutze. Und nicht zuletzt ist die Helvetica die Schrift der Kebab-Stände.

Schick und schlicht

Das jedenfalls bemerkte schmunzelnd der Badener Foto- und Architekturbuch-Verleger Lars Müller anlässlich der Europapremiere des Dokumentarfilms "Helvetica", die er nach Zürich geholt hatte. Denn die Schrift trägt, so Müller, das "Parfüm der Straße". Sie ist pflastertauglich und macht selbst dann noch eine gute Figur, wenn Laien sie für ihre selbstgebastelten Schilder verwenden.

Lars Müller zufolge ("Helvetica - Hommage to a Typeface", Baden, 2002), der die Schrift in seinen Büchern häufig verwendet, kommt es auch nicht von ungefähr, dass die Helvetica fünfzig Jahre in einer schnellebigen Welt überdauert habe: Sie habe immer polarisiert. Genau dies habe ihr anhaltendes Interesse und damit den Fortbestand garantiert.

Die Groteskschrift hatte Max Miedinger in Zusammenarbeit mit Eduard Hoffmann 1957 für die Schriftgießerei Haas in Münchenstein bei Basel entwickelt. Ursprünglich sollte die serifen-, also füßchenlose Schrift ganz schlicht Neue Haas Grotesk heißen.

Doch die deutsche Firma Linotype, Besitzerin der Firma Haas, erkannte schnell, dass ein Hauch von Swissness noch nie geschadet hat: Sie schlug 1960 für die neue Type den Namen Helvetica vor. Haas-Direktor Hoffmann fand es - so sah wahre Swissness damals aus - unbescheiden, seine Schrift nach seinem Land zu nennen. Man einigte sich auf Helvetica.

Streng neutral

Dies erwies sich als genialer Marketing-Coup zum richtigen Zeitpunkt. Denn das Schweizer Grafikdesign genoss damals international höchstes Ansehen. Namhafte Künstler und Gestalter sowie ihre Adepten vor allem im Umkreis der angesehenen Zürcher Schule für Gestaltung hatten das Erbe der konstruktivistischen Avantgarde und des Bauhaus zum Teil durch die Kriegsjahre hindurch gerettet und weiterentwickelt. Max Bill und Richard Paul Lohse, Josef Müller-Brockmann, Johann Itten, Max Huber und andere arbeiteten daran, ihren gesellschaftspolitischen Idealen ein schnörkelloses Gesicht zu geben.

Dass die Helvetica genau in den Jahren des Wirtschaftswunders ihren Siegeszug antrat, verdankt sie keineswegs nur der geschickten Namenswahl. Mit ihrer formalen Ausgewogenheit, Sachlichkeit, Strenge und Bodenständigkeit sowie ihrer scheinbaren "Neutralität", die damals ziemlich naiv mit ihr wie mit der Schweiz assoziiert wurde, fegte sie wie eine erfrischende Kaltfront durch den Wildwuchs aus Fantasiebuchstaben, der in der Werbung der fünfziger Jahre wucherte.

Die Helvetica markiert somit nicht weniger als eine kleine Revolution in der visuellen Gestaltung unserer Welt. Sicher, gemessen an wirklich alten Schriften, etwa der über 500-jährigen Garamond, sind fünfzig Jahre nichts. Für eine moderne Kreation hingegen ist es aber eine lange Zeitspanne. Denn gerade heute gibt es immer mehr Angebote in einem florierenden Supermarkt der digitalisierten "Fonts".

Jeder kann per Internet für wenige Euro einen Font kaufen und auf dem eigenen Computer installieren. Fortgeschrittene basteln sich gleich ihre eigene Schrift, oft zum berechtigten Schrecken der typografischen Ordnungshüter. Sogar die Corporate Communication manches Multis beruht inzwischen auf einer eigenen Schrift: das ist günstiger als Lizenzen, garantiert Exklusivität und im Idealfall ein unverwechselbares Image. Deswegen ist es spannend zu fragen, warum die Helvetica weiterhin nicht nur allgegenwärtig, sondern so unverwüstlich ist, wie Klassiker das eben sind.

Die Frage stellt auch der Amerikaner Gary Hustwit, bisher vor allem als Produzent von Musikfilmen hervorgetreten, in einem überaus kurzweiligen 80-minütigen Dokumentarfilm zum Jubiläum der Helvetica. Auf der Suche nach Antworten hat er drei Generationen international renommierter Schrift- und Grafikdesigner aufgesucht.

Alte und neue Meister

Darunter sind Altmeister wie Massimo Vignelli, der das Leitsystem für die New Yorker Subway schuf oder der Niederländer Wim Crouwel. Daneben kommen auch die mittlerweile berühmten Neuerer der siebziger und achtziger Jahre zu Wort: etwa Neville Brody und David Carson.

Außerdem hat sich Hustwit den im Punk verwurzelten Österreicher Stefan Sagmeister (bekannt etwa für die CD-Covers von Lou Reed) vorgenommen - oder das Zürcher Grafikerduo Norm (Manuel Krebs, Dimitri Bruni), das mit neomodernistischen Schriften wie der "Simple" für Aufmerksamkeit sorgte. Sie alle hat Hustwit ausgiebig über ihre Helvetica-Liebe oder eben auch wohlbegründete Abneigung befragt.

Das ist schon allein deswegen spannend, weil sich durch die geschickte Montage der Interviewsequenzen eine kleine Geschichte der Ideologien und Moden in der visuellen Gestaltung und Kommunikation der letzten Jahrzehnte ergibt. So hielten im "battle of helvetica", von dem Neville Brody spricht, manche Grafikdesigner die Helvetica für "übernutzt".

In Krieg und Frieden

"Die dumpfe Decke des Immergleichen legte sich über alles", erinnert sich Paula Scher im Film. Das weckte bei Ihresgleichen den Geist der Rebellion. Anfang der siebziger Jahre entstand parallel zu Punk eine subjektivistische Bewegung gegen das modernistische Grafikdesign. Die Frage, an der sich die Geister und damit auch die Helvetica-Liebhaber und -kritiker schieden, heißt bis heute immer wieder: Geht es um Lesbarkeit (pro Helvetica) - oder geht es mehr um die atmosphärischen Valeurs visueller Kommunikation, um subjektive Setzungen?

Rasch wird klar, dass die Helvetica auf ästhetisch vermintes Terrain lockt. Klar wird aber auch, dass sie ein Chamäleon ist: eine demokratische Schrift einerseits, aber andererseits auch die Schrift der großen Konzerne. Paula Scher geht sogar so weit, sie als Schrift der Macht zur Zeit des Vietnam- und heute des Irak-Krieges zu bezeichnen.

Wie generell hinter jedem Oberflächendesign verbirgt sich hinter der schlichten Type viel mehr Politik, als man ohnehin befürchtet hatte. Auch das Revival einer qualitätvollen, inzwischen freilich weniger neutral als prägnant originellen Schweizer Grafik in den letzten Jahren hat im übrigen viel mit einer Tradition zu tun, in der auch die Helvetica entstehen konnte.

Da geht es um Präzision, handwerkliches Protzertum - und starke Vorbilder, an denen man sich reiben kann. Bei aller Dissidenz ist man sich immer auch seiner Wurzeln bewusst und pflegt sie. Und vielleicht auch eine Kundschaft, die den Wert von qualitativ hochwertigem Grafikdesign, von gelungener visueller Kommunikation kennt, schätzt und schließlich bezahlt.

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