Jack Nicholson wird 70:Ich mach mich gerade erst warm

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Der Mann mit dem bestialisch-genialischen Grinsen feiert seinen siebzigsten Geburtstag. Zeit für einen Rückblick auf unzählige Charakterrollen, drei Oscars und die Lakers.

Tobias Kniebe

Allein die Vorstellung, dass er einmal nicht mehr da sein könnte, reißt in Gedanken einen Abgrund der Leere auf. Welches herzliche Lachen sollten die Oscar-Kameras dann noch einblenden? Wer würde, nachdem Brando und Beatty weg sind, noch auf dem einsamen Bergrücken am Mulholland Drive hausen, hoch über den Niederungen und Intrigen Hollywoods? Und wer könnte seinen Ehrenplatz am Spielfeldrand der L.A. Lakers füllen, der seit Jahrzehnten bei keinem Heimspiel leer bleibt?

Mit jedem Jahr, mit dem Jack Nicholson sein Leben lebt, seinen Gewohnheiten treu bleibt, grinst und er selbst ist, wächst die Verantwortung, die ihm zufällt. Schon sein purer Anblick spendet inzwischen Trost.

Er ist die lebende Erinnerung an bessere Zeiten; dass es für einen kurzen Augenblick möglich war, sich der Vergeblichkeit des Seins entgegenzustemmen; dass ein freier Geist die Welt verändern, Bäume aus dem Boden reißen konnte - oder, nun ja, wenigstens dieses schwere Waschbecken hier. Klingt unmöglich? Mal sehen. Wetten werden ab sofort angenommen.

Zwölfmal war er für den Oscar nominiert, öfter als jeder andere männliche Darsteller, dreimal hat er gewonnen. Viele seiner Filme, von "Easy Rider" über "Chinatown" und "Einer flog über das Kuckucksnest" bis zu "Shining", sind längst in das Pantheon der Klassiker aufgenommen. Kluge Geschäftsentscheidungen, darunter seine legendäre 60-Millionen-Dollar-Gewinnbeteiligung am Comic-Blockbuster "Batman", haben ihn zu einem der reichsten Schauspieler Hollywoods gemacht.

Trotzdem gelingt es ihm immer wieder, seine längst überlebensgroße Persona in ernsthaften Charakterstudien zum Verschwinden zu bringen, zuletzt als verlorener Witwer in Alexander Paynes "About Schmidt" (2002). Dazu kommen fünf Kinder von vier Frauen, ohne bleibende Feindschaften - das klingt eigentlich nach einem gelungenen Leben, nach einer umfassenden Definition für Erfolg. Und doch steht Jack Nicholson dafür gerade nicht. Wenn Tom Cruise darauf wetten würde, dass er ein Waschbecken aus dem Boden reißen kann, wäre der Ausgang klar. Von Nicholson brauchen wir etwas anderes.

Er spielt dasselbe Spiel wie wir alle

Nicholson stellte immer alle Regeln in Frage, das bedeutet aber auch, dass für ihn eben meist nicht die Regeln des Kinos gelten, sondern die Regeln der wirklichen Welt. Er spielt dasselbe Spiel wie wir alle, mit demselben Risiko, und kein gütiger Drehbuchgott wartete nur darauf, ihn aus den selbstangerichteten Schlamasseln herauszuholen. Man muss nur sehen, wie er in "Five Easy Pieces - Ein Mann sucht sich selbst" (1970) versucht, einen Toast zu bestellen, der nicht auf der Speisekarte steht, und an der verbitterten Kellnerin scheitert.

Eine Niederlage, aber allein der Charme, die Unverschämtheit und Gerissenheit, mit der Nicholson in den Kampf um seinen Toast zieht, wirken ansteckend. Da wird gerade ein Star geboren. Zwei Anhalterinnen schauen zu und sind begeistert, sie repräsentieren bereits sein künftiges Millionenpublikum, das in der Tat später keinen Schauspieler mehr lieben, keinem mehr verzeihen wird als ihm.

"Gibst du auf?", lautet die naheliegende Frage nun oft, und in der Waschbeckenszene im "Kuckucksnest" antwortet er: "Ich mach mich doch gerade erst warm." Heute hat Nicholson einen Picasso auf dem Klo hängen - aber seinen Toast hat er, bildlich gesprochen, immer noch nicht.

Er wuchs in Neptune City, New Jersey, auf, als Sohn eines irischstämmigen Showgirls, das bei seiner Geburt erst siebzehn war und mit Hilfe der Großmutter bis zum Tod die Legende aufrecht erhielt, seine ältere Schwester zu sein. Seinen Vater hat er nie gekannt. Ein geheimes Grundgefühl, dass die Frauen möglicherweise nicht ganz fair spielen, scheint in seinen Rollen und in seinem Leben präsent zu sein, und Frauen, sofern sie sich mit Moral, Vernunft oder Konvention im Bund wussten, sollten seine formidabelsten Gegner auf der Leinwand werden.

Andere schwelgten im Drogenrausch, er drehte vierzehn Filme

Seine Karriere begann er noch als Schüler, als Botenjunge für MGM, eine frühe Liebe zum europäischen Autorenfilm weitete seinen Horizont, Monte Hellmann, Roger Corman und andere Pioniere des Independentfilms lehrten ihn Drehbuchschreiben und Regieführen.

Bald wusste er zu verschleiern, wie hart er eigentlich arbeitete. Allein in den sechs Jahren nach dem Durchbruch mit "Easy Rider" (1969), als der Rest seiner Generation noch fröhlich im Drogenrausch schwelgte, drehte er vierzehn Filme. Und wie er es bis heute schafft, Autoren und Regisseuren Paraderollen zu entlocken, die eigentlich nur er spielen kann, ist sein bestgehütetes Geheimnis.

Schwere Waschbecken kann er trotz allem nicht aus dem Boden reißen. Und das ist auch gut so. Am Sonntag, wenn er in seinem Haus auf den Hügeln seinen siebzigsten Geburtstag feiert, wird er das nicht groß bedauern. Er hat es wenigstens versucht. Das zählt. Besser noch: Er hat es sogar geschafft, andere dazu zu inspirieren.

© SZ vom 21.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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