Irak-Museum:Nur die Mongolen waren schlimmer

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In Bagdad wurde das Irak-Museum geplündert - von dem einzigartigen Kulturerbe bleiben womöglich nur noch Bilder.

Es kam schlimmer als gedacht, und vor allem kam es schneller. Nach den Plünderungen des irakischen Nationalmuseums spricht der Präsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege von einem "Verbrechen an der Menschheit", während der stellvertretende Generaldirektor der Unesco, Mounir Bouchenaki, eine Polizeigruppe fordert, um die Kulturgüter zu schützen - finanziert von der internationalen Gemeinschaft. Doch für das Irak-Museum in Bagdad, einem Haus, das dem Pergamonmuseum oder dem Louvre vergleichbar ist, kommt diese Hilfe zu spät. Beispielsweise sei der Kopf einer ägyptischen Sphinx mit Goldspuren verschwunden, so US News and World Report in einer ersten Schadensbilanz, dazu ein fein geschnitzter Stoßzahn mit assyrischen und phoenizischen Mustern und ein mit Tierzeichnungen geschmückter Kosmetikbehälter aus Nimrod. Hierzulande fiebern die Experten näheren Angaben entgegen. Und fürchten das Schlimmste.

Sitzbild des Gudea von Lagasch mit gefalteten Händen. Spätsumerisch, um 2130 v. Chr., aus Tello (Girsu) (Foto: SZ v. 15.04.2003)

Walter Sommerfeld, Professor für Altorientalistik an der Universität Marburg:

Die Plünderung des Irak-Museums könnten sich als die schlimmste Verwüstung seit dem Mongolensturm erweisen. Noch ist das Ausmaß der Zerstörung kaum abzuschätzen. Das Telefonnetz in Bagdad ist zusammengebrochen, irakische Kollegen sind nicht zu erreichen. Die Leitung des Nationalmuseums in Bagdad hat sich offenbar längst abgesetzt: Der Direktor stammt aus dem Clan Saddam Husseins, der oberste Antikenverwalter und die Generaldirektoren treten nicht in Erscheinung. Eines der wichtigsten Museen der Welt ist den Plünderern schutzlos ausgeliefert. Zwar hatten Mitarbeiter die US-Truppen gebeten, das Haus vor dem Schlimmsten zu bewahren und wenigstens einen Panzer zu schicken. Doch das ist offenbar nicht oder zu spät geschehen.

Dennoch sind die unersetzlichen Kostbarkeiten wie der Frauenkopf aus Uruk oder der assyrische Goldschatz von den Plünderungen wahrscheinlich nicht betroffen. Sie waren im Museum schon seit Jahren nicht zu sehen; an ihrer Stelle standen Nachbildungen oder Pappschilder in den Vitrinen. Denn aufgrund des Embargos durften die Iraker in ihrem Museum weder eine Alarmanlage einbauen noch eine Klimaanlage. Derartige Anlagen, so hieß es, seien auch militärisch nutzbar. So waren die Objekte im Bagdader Museum über Jahre Temperaturschwankungen von fast 50 Grad ausgesetzt. Die Schäden durch die unsachgemäße Lagerung waren gigantisch: Texte erodierten, Metalle verwitterten, Kalkstatuetten wurden unkenntlich. Dieses Risiko wollte man für die wertvollsten Stücke nicht eingehen. Sie wurden in den Tresor der Zentralbank ausgelagert. Dort ruhen sie offenbar heute noch und werden von den Amerikanern geschützt.

Was aber ist mit dem Rest? Schon im Januar, als ich das Museum zuletzt besuchte, bereiteten sich die Mitarbeiter auf den Krieg vor und einiges ist wohl in der Tat ausgelagert worden. Aber wie viel? Nach den Fernsehbildern zu urteilen, den umgestürzten Statuen und zerschlagenen Vitrinen, haben die Plünderer offenbar noch reiche Beute gefunden. Ein fast noch größerer Verlust aber wäre es, wenn die Plünderer bis zu den Tresoren der Magazine vorgedrungen wären. Die Tresor- und Magazinräume sind nicht leicht zu finden, man erreicht sie nur über einen Fahrstuhl. Ohne die Hilfe willfähriger Angestellter hätten die Plünderer bis hierher kaum vordringen können. Die Magazine enthalten alles, was in den vergangenen siebzig Jahren im Irak gefunden wurde. Von den 80 000 Tontafeln etwa wurden ja nur ungefähr 50 gezeigt, der Rest blieb im Tresor, wo der wissenschaftliche Schatz des Museums ruhte. Sollte dieser tatsächlich zerstört worden sein, dann ist das kulturelle Gedächtnis des Irak vernichtet.

Michael Roaf, Leiter des Instituts für Vorderasiatische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München:

Vor zwei Jahren habe ich zuletzt den Irak besucht. Ich sah das Irak- Museum in Bagdad, aber auch archäologische Stätten wie Uruk. Von Stätten wie Jokha und Umm Al-Aquarib ("Mutter der Skorpione") sah ich Fotografien. Sie sahen so zerstört aus, als hätten hier Bulldozer gewütet. Erst vor sechs, sieben Jahren hat der Irak diese Stätten wieder bewachen lassen, jeweils von einem Dutzend Bewaffneter. Als nach dem vorigen Golfkrieg 1991 im Süden und Norden Iraks die Rebellion losbrach, wurde dort heftig geplündert - und mein Eindruck ist, dass damals auch Interessen westlicher Kunsthändler mitspielten. Schon vor dem Golfkrieg 1991 wurden eine Reihe bedeutender Exponate vom Irak aus auf verschiedene Provinzmuseen verteilt, die anschließend ebenfalls Opfer von organisierten Plünderungen wurden.

Die Art und Weise dieses Kunstraubes ist mit dem jetzigen durchaus vergleichbar. Wenn die Zahl von 170000 entwendeten Kunstschätzen stimmt, kann es sich bei den Plünderungen heute nicht nur um gewöhnlichen Vandalismus handeln, um eine Form zivilen Ungehorsams, sondern um organisierte kriminelle Handlungen, wahrscheinlich unterstützt von westlichen Kunsthändlern. Ob auch US-Archäologen von diesen Plünderungen profitieren, kann ich nicht beurteilen. Das Problem ist, dass es keinen Bestandskatalog des Irak-Museums gibt, sondern nur ein handgeschriebenes Register. Immerhin hat man begonnen, ein digitales Archiv anzulegen, aber die Computer sind ebenfalls fort. Es gibt allerdings verschiedene andere Kataloge, in denen die Sammlung ausschnitthaft präsentiert wird. Fest steht, dass bewegliche, also leichtere Teile des Irak-Museums vor den Plünderungen in die Depots gebracht wurden. Nun ist die Frage, ob sich die Plünderer Zugang zu diesen Depots verschaffen konnten. Der Hammurabi-Codex, die tönernen Gesetzestafeln des berühmten Herrschers, waren nur Fragmente, ausgeliehen aus Paris. Ich fürchte außerdem besonders um die Statuen aus Hatra aus dem 2. Jahrhundert vor Christus und den Schmuck des Königsgrabes von Ur (um 2500 vor Christus), zwei der bedeutendsten Kunstschätze des Museums.

Ricardo Eichmann, Leiter der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, Berlin:

Das Nationalmuseum in Bagdad ist eines der bedeutendsten Museen der Welt für die Kulturen des vorderen Orients von der frühesten Geschichte bis zur islamischen Zeit. Bei meinem Besuch im Jahr 2001 konnte ich feststellen, dass die jungen Kollegen dort mit viel Engagement und Liebe trotz aller Widrigkeiten des Embargos eine sehenswerte Schausammlung neu aufgebaut haben.

Bei den zerschlagenen Statuen, die Sie im Fernsehen gesehen haben, könnte es sich um Herrscherbildnisse aus der Königsstadt Hatra handeln, der einzigen Weltkulturerbestätte des Irak. Sollten tatsächlich die Depots gestürmt worden sein, dann könnten auch die Ergebnisse unserer Grabungen, etwa in Uruk, betroffen sein, die dort lagerten. Sollten wissenschaftlich noch nicht ausgewertete Fundkomplexe betroffen sein, sind wichtige historische Informationen für immer verloren.

Sobald es die Situation erlaubt, wird Margarete von Ess, die Leiterin unserer Außenstelle in Bagdad, mit einem Expertenteam aufbrechen, um den Kollegen vor Ort zu helfen, etwa bei der Bestandsaufnahme. Die geraubten Schätze wiederzufinden dürfte schwierig sein. Sie landen vermutlich in irgendeinem Tresor eines Privatmannes. Was wir leisten können, ist die Identifikation von Funden aus unseren Grabungen, sollten sie in einem ausländischen Auktionshaus oder beim Zoll auftauchen. Wir haben sämtliche Funde fotografisch dokumentiert. In den nächsten Tagen und Wochen werden die Forschungsinstitute der Vorderasiatischen Archäologie versuchen, Hilfsangebote zu koordinieren.

Protokoll: Holger Liebs, Ira Mazzoni, Sonja Zekri

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