Interview zur Zukunft des Journalismus (4):"Journalisten sollen wieder an ihren Beruf glauben"

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Die Professionalität der Nachrichtenaufbereitung ist gefährdet, sagt US-Journalist Bill Kovach - und erklärt, wie er die Seriösität des Journalismus retten will.

Leif Kramp und Stephan Weichert

"Zeitenwechsel" - eine neue Serie zur Zukunft des Journalismus geht Trends in der Presse und im Internet nach. Zusammen mit dem Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik bereitet sueddeutsche.de dabei in den nächsten Wochen Interviews mit namhaften Experten auf. Alle Interviews sind unter sueddeutsche.de/zeitenwechsel abrufbar.

Bill Kovachs Buch "Elements of Journalism" gilt als Standardlektüre an amerikanischen Journalistenschulen. (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Mr. Kovach, warum machen Sie sich Sorgen um den amerikanischen Journalismus?

Bill Kovach: Meine größte Sorge und die meiner Kollegen, die das "Committee of Concerned Journalists" (CCJ) mit aufgebaut haben, gilt der Art von Journalismus, der eine demokratische Selbstverwaltung garantiert. Wir suchen nach Wegen und Mitteln, damit dieser Journalismus in der Konkurrenz-Atmosphäre, die die rasante Revolution der Kommunikationstechnologien und die profitorientierten Strukturen des Journalismus geschaffen haben, überleben kann.

sueddeutsche.de: Seit Anfang Juli vergangenen Jahres leiten Sie das CCJ. Welche Idee verbirgt sich hinter diesem Kürzel, wer finanziert das Netzwerk?

Kovach: Unsere Ziele sind: Journalisten sollen wieder neu an ihren Beruf, seine Prinzipien und seine Funktion glauben können. Dazu gehört auch, dass die Öffentlichkeit besser versteht, worum es sich bei diesen Prinzipien überhaupt handelt. Und letztlich müssen auch Medien-Eigner und Management begreifen, wie wichtig sie sind und welcher finanzielle und soziale Wert mit ihnen verbunden ist. Zurzeit werden wir von der Knight Foundation und der Journalism School der Universität von Missiouri finanziert. Meine Führungsrolle im CCJ ist jedoch nur vorübergehend - wir brauchen einen Leiter, der sich dem Amt rund um die Uhr widmet.

sueddeutsche.de: Auf Ihrer Website ist zu lesen, "dass sich Journalisten aller Medien, Herkünfte, Positionen und Generationen klar darüber werden müssen, wie sich unser Beruf von anderen unterscheidet". Das klingt sehr pathetisch...

Kovach: ...dieses Problem liegt mir schon lange am Herzen, deshalb sind wir es auch schon vor Jahren angegangen. Wir haben im ganzen Land 14 Foren initiiert, auf denen über 4.000 Journalisten und Laien über die Rolle des Journalismus in demokratischen Gesellschaften diskutieren und darüber, warum es uns nicht egal sein darf, ob er überlebt oder nicht. Tom Rosenstiel, der kürzlich noch den CCJ-Vizevorsitz innehatte, und ich haben die Diskussionen später aufgezeichnet und mit unseren eigenen Erfahrungen und Schlaglichtern aus der Geschichte des westlichen Journalismus kombiniert. Daraus ist im Jahr 2000 das Buch "The Elements of Journalism: What Journalists Should Know and the Public Should Expect" entstanden, das zur Standardlektüre an allen Journalistenschulen Amerikas wurde und mittlerweile in 23 Sprachen übersetzt wurde - leider noch nicht in Deutsch. Das Material aus dem Buch haben wir dann wiederum zu einem eigenen Ausbildungsplan umgearbeitet, mit dem wir in den USA von Zeitungsredaktion zu Zeitungsredaktion gezogen sind, um Journalisten ein klareres, kritischeres und effizienteres Bild von ihrer Arbeit und den Pflichten gegenüber ihren Lesern zu vermitteln. Bis heute haben wir fast 5.000 Journalisten von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern und Online-Redaktionen mit dem "CCJ Travelling Curriculum" weitergebildet.

sueddeutsche.de: Journalisten von der gerechten Sache zu überzeugen, das steht auf einem Blatt. Aber werden die hehren Leitsätze des CCJ inzwischen nicht ständig durch das Engagement von Medienmoguln und Finanzspekulanten durchkreuzt?

Kovach: Die Konzentration der Besitzstrukturen im Mediengeschäft ist eines der Hauptprobleme, das ist richtig. Konzentration von Macht - und Kommunikation bedeutet Macht - ist gefährlich. Innerhalb der Medien bewirkt Konzentration, dass die Presse zum Teil der herrschenden Elite wird. Ihre eigentliche Bestimmung, ein "Watchdog" und neutraler Beobachter sozialer, politischer und wirtschaftlicher Macht zu sein, wird dadurch erheblich geschwächt.

sueddeutsche.de: Um auf den Titel Ihres Buches zurückzukommen: Welche "Elemente des Journalismus" sehen Sie in der digitalen Ära denn besonders bedroht?

Kovach: Zu den am meisten gefährdeten Elementen gehören die professionelle Überprüfung von Nachrichten auf ihre Richtigkeit und Relevanz. Die schier grenzenlosen, dauerpräsenten Informationskanäle von heute suggerieren seriöse, richtige Information. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Kanäle der Fehlinformationen, Täuschung und Propaganda. Es wird für die Öffentlichkeit täglich schwieriger, Dichtung und Wahrheit auseinander zu halten. Gleichzeitig erleben wir eine Flut an neuen Informationsangeboten, die das Publikum ablenken und es immer tiefer in eine Scheinwelt des "Feel good" und der Genusssucht hineinsaugen. Beide Trends vergiften unsere Demokratie, die mehr als zuvor auf mündige Bürger angewiesen ist.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, wie Prestige-Blätter wie die "New York Times" den Zeitenwechsel überleben können.

sueddeutsche.de: Sie arbeiten seit fast 50 Jahren als Journalist. Muss sich der Journalismus allmählich an die neue Web 2.0-Umgebung aus Blogs, Videoportalen und Social Networks gewöhnen?

Kovach: Natürlich, trotzdem darf der Journalismus in seinen Grundfesten nicht erschüttert werden. Dazu müssen wir die neuen Vertriebswege erschließen und sauber recherchierten Journalismus in anderen Kanälen verfügbar machen. Wieso sollten nicht auch Nachrichtenunternehmen eine Social Community wie Facebook aufbauen können, in der sich die Mitglieder untereinander vernetzen und mit den wichtigsten News des Tages versorgt werden? Nachrichten könnten in diesen virtuellen Räumen so präsentiert werden, dass sich Rezipienten durch die Interaktivität dazu ermuntert fühlen, sich intensiver mit dem unmittelbaren politischen Tagesgeschehen zu befassen. Eine simple Idee besteht etwa darin, Bürger die Budgetverteilung ihrer Gemeinden mitbestimmen zu lassen, damit sie besser verstehen, welche Zielkonflikte und Hürden sich dabei ergeben. Unter Verwendung von Spieltechnologien könnten solche Aufgaben bedeutende Themen in der Öffentlichkeit kenntlicher machen und die Bürger für das Wesen von Regierungen und deren Entscheidungsfindungsprozesse sensibilisieren.

sueddeutsche.de: Heißt das, die klassische Zeitung auf Papier wird schon bald nicht mehr gebraucht?

Kovach: Soweit würde ich nicht gehen. Aber wir müssen hart daran arbeiten, unsere wirtschaftliche Basis zu erhalten, die es uns weiterhin ermöglicht, Nachrichten über wichtige Menschen, Themen und Ereignisse zu erkennen, zu überprüfen und einzuordnen. Um dieses Fundament zu stärken, müssen sich Zeitungsunternehmen dem Wettbewerb in der neuen Informationsumgebung stellen, indem sie Web-Communities aufbauen, die wirtschaftlich autark sind. Ich gebe Ihnen noch ein anderes Beispiel: Was wäre, wenn eine Lokalzeitung ihren Internetauftritt dazu benutzen würde, eine Community für Jugendsportler aufzubauen? Diese Website würde nicht nur die tollsten Presseberichte über die Mannschaften, Organigramme ihrer Mitglieder sowie Spielpläne anbieten, sondern auch einen Online-Shop integrieren, über den die Teams ihre Sportkleidung und Ausrüstung, Jahrbücher mit den größten Erfolgen, Fotos von einzelnen Spielern und so weiter beziehen. Anders gesagt: Hier könnte auf Basis eines glaubwürdigen und engagierten journalistischen Angebots eine Gemeinschaft entstehen, die von der finanziellen Unterstützung derer lebt, die dieses Angebot konsumieren. Und das ist nur einen winzigen Schritt weitergedacht als das, was die New York Times schon jetzt mit ihrem Online-Shop tut, wenn sie Produkte wie Aufmacherseiten aus ihren Archiven verkauft.

sueddeutsche.de: Das genannte Beispiel trifft doch aber nur für Lokalzeitungen zu. Wie können große Qualitätszeitungen wie die New York Times bestehen?

Kovach: Die New York Times und andere überregionale Blätter sind von solchen Innovationen keineswegs ausgeschlossen: Auch sie können sich die neuen Technologien zunutze machen, indem sie Gemeinschaften bilden und damit neue Formen der Leserbindung kreieren.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von Initiativen wie dem unabhängigen Redaktionsbüro Pro Publica in New York, das seit Januar 2008 unter der Leitung von Paul Steiger investigativen Journalismus ausschließlich mithilfe von Privatspenden betreibt? Sind solche Stiftungsmodelle oder gar staatliche Subventionen nötig, um Zeitungen vor dem drohenden Untergang zu bewahren?

Kovach: Meiner Meinung nach sind Stiftungen wie Pro Publica unverzichtbar, um zwischen dem alten und neuen investigativen Journalismus eine Brücke zu schlagen - vorübergehend, wohlgemerkt! Denn schauen Sie sich US-Magazine wie Vanity Fair, The New Yorker oder The Atlantic Monthly an: Das sind allesamt Prestige-Magazine, die bis heute die uneingeschränkte Loyalität ihrer Leser und Werbekunden genießen. Das Interessante an der Karriere solcher Blätter ist: Im Amerika des 19. Jahrhundert haben neue Technologien - also drahtlose Kommunikation, Telefonie, schnellere Druckverfahren und die Urbanisierung - schon einmal eine Krise der Zeitungslandschaft ausgelöst. Während die Tageszeitungen damals zunächst unter heftigen Auflageneinbrüchen litten, wurde der investigative Journalismus der renommierten Magazinen wie McClure's oder Saturday Evening Post veredelt und gestärkt - bis die Besitzer der Tageszeitungen endlich einen neuen Weg fanden, sich den veränderten Produktionsbedingungen anzupassen. Ich glaube, dasselbe passiert heute wieder.

Bill Kovach ist Gründungsvorsitzender des "Committee of Concerend Journalists", einem von der Knight Foundation und der Journalism School der Universität von Missiouri finanzierten Netzwerk aus Reportern, Verlegern, Redakteuren, Medienproduzenten und Wissenschaftlern, die sich mit Fragen zur Zukunft des Qualitätsjournalismus befassen. Seit rund 50 Jahren arbeitet er als Journalist und Autor, unter anderem war er Leiter des Washingtoner Büros der "New York Times" und Chefredakteur der Tageszeitung "Atlanta Journal-Constitution" sowie Kurator des Nieman Fellowships an der Harvard University. Er lehrt an der University of Missouri und an der Middle Tennessee State University. Gemeinsam mit Tom Rosenstiel verfasste er das mehrfach ausgezeichnete Buch "The Elements of Journalism: What Journalist Should Know and the Public Should Expect" (2001) sowie "Warp Speed: America in the Age of Mixed Media" (1999). Kovach engagiert sich seit Jahren für Qualität im Journalismus und wurde für seinen Einsatz mit zahlreichen nationalen und internationalen Ehrungen bedacht, zuletzt im Jahr 2007 mit der Ehrendoktorwürde der Boston University.

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