Interview:"Schweißnass auf der Oberlippe"

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Er duzt Boris Becker, raucht mit Helmut Schmidt Zigarette und bleibt vor Harald Schmidt angezogen. Im SZ-Interview spricht der Moderator Reinhold Beckmann über Talkshows, Stilfragen und den Wettkampf mit "Kerner".

Interview: Christopher Keil

SZ: Herr Beckmann, Frank Plasberg bekommt für sein Streitgespräch Hart, aber fair den Grimmepreis. Hat seit Michel Friedman das Streitgespräch als Talkshow gefehlt?

Vom Hobbyfilmer zum Talkshow-Moderator - Reinhold Beckmann. (Foto: Foto: AP)

Reinhold Beckmann: Eigentlich ja. Die klassische Auseinandersetzung als Stilform finde ich gut. Ich habe mich immer gewundert, warum Politiker das Prinzip Friedman nie durchbrochen haben, in dem sie es umkehren. Ich hätte Friedman befragt und das Körperliche, das Anfassen, das Tief-in-die-Augen-Gucken thematisiert.

Er hat sich im Laufe der Zeit immer weniger für die Antworten, sondern vorwiegend für die Fragen interessiert. Das war Teil seiner Haltung, eine konsequente Ignoranz. Immerhin bekamen die Gespräche dadurch Tempo. Ich war oft überrascht, wie die Politiker bei ihm in den Seilen hingen, schweißnass auf der Oberlippe.

SZ: Plasberg dagegen?

Beckmann: Frank Plasberg ist hartnäckig, aber im Wesen warmherzig. Er wird nie abschätzig, deshalb macht er eine erfolgreiche Sendung. Er ist ein richtig guter Gastgeber.

SZ: Wie bereiten Sie sich auf Ihre Studio-Gäste vor?

Beckmann: Sehr sorgfältig: Recherche im Archiv, Recherche im Umfeld des Gastes, Gespräche mit Kollegen, die den Gast kennen, ein direktes Vorgespräch meiner Redaktion. Der Gast soll merken, dass wir uns für ihn interessieren.

SZ: Merkt er das nicht schon daran, dass er eingeladen wird?

Beckmann: Viele Gäste kommen zu uns, die nicht medienerfahren sind. Denen möchte ich vorher die Schüchternheit nehmen. Ich will ja keine bloßen Plaudereien, sondern Verdichtung. Dafür muss der Gast frei sein.

SZ: Täuschen Talkshows nicht eine Intimität vor, die sie gar nicht haben?

Beckmann: Wir täuschen weder vor noch an, sondern sprechen mit Menschen über Themen. Wir sind die Talkshow mit den längsten Gesprächen, mit der größten Konzentration, Nähe und Intensität. Wir haben kein Publikum.

Das heißt, unsere Gäste können nicht über eine Pointe flüchten und mit dem Publikum fraternisieren. Wenn das Publikum klatscht und lacht, ist Nachfragen oft kaum noch möglich. Das Nachfragen wird zum Bohren, und Bohren ist schlecht.

SZ: Sie bohren doch auch.

Beckmann: Nein, ich frage dann nach, wenn es mir um die Sache geht und wenn ich das Gefühl habe, dass die Antwort nicht umfassend war.

SZ: Neulich haben Sie mit Helmut Schmidt eine Zigarette geraucht. Ist das nicht fraternisieren?

Beckmann: Warum so freudlos? Es war so etwas wie eine Dankes-Zigarette nach 75 Minuten Einzelgespräch mit dem Altkanzler. Das sollte erlaubt sein.

Besser als Bill Clinton: Topmodel Heidi Klum. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Weshalb haben Sie sich dem Altkanzler gegenüber so unbedarft gegeben?

Beckmann: Weil ich vermeiden wollte, mit Helmut Schmidt in einen Wettbewerb einzutreten nach dem Motto: "Ich erkläre Ihnen jetzt mal die Welt." So kann man mit ihm nicht reden, das geht nach hinten los. Da wird er bockig, das haben einige Kollegen erleben dürfen.

SZ: Bisher sagten Sie immer, Willy Brandt sei zu bewundern, der habe Sie auch politisiert.

Beckmann: Das stimmt. Und der Kanzler Schmidt war eher ein Politiker mit einem etwas kühlen Image. Heute kennt man ihn besser. Ich hab Schmidt wie viele andere im deutschen Herbst 1977 anders beurteilt als heute.

SZ: Warum lehnen Sie sich nie entspannt zurück während der Sendung?

Beckmann: Jetzt kommt also die Haltungsdebatte?

SZ: Ein bisschen.

Beckmann: Bei uns herrscht Waffengleichheit. Der Gast und ich sind auf Augenhöhe. Wie man sitzt, ist auch eine Frage des Stils. Haben Sie Larry King in seinen Stuhl zurückgelehnt erlebt?

SZ: Nachdem er die Werbepausen angekündigt hat?

Beckmann: Yes. We are right back after this.

SZ: Sie sind ja ein Mann der Konzepte. Hören Sie die Zwischentöne noch, die einen anderen Gesprächsverlauf fordern?

Beckmann: Ich will nicht behaupten, dass mir das immer gelingt, aber nach mehr als sechs Jahren höre ich bestimmte Signale. Und wenn es spannend wird, gilt nur noch: zuhören, zuhören. Weg mit dem, was auf dem Tisch liegt. Das lässt einen fliegen und gibt ein gutes Gefühl.

SZ: Warum fliegen Sie nicht öfter?

Beckmann: Gespräche lassen sich nicht konfektionieren. Mit Maximilian Schell haben wir 'mal verabredet, ohne Konzept, ganz assoziativ, völlig frei zu sprechen. Beim ersten Mal war es brillant, beim zweiten Mal wirkte es eher gewollt. Aber wenn man das hinkriegt, ist es ein bisschen wie spontan verliebt sein.

SZ: Es fällt auf, dass Gäste in Talkshows selten auf Fragen antworten und Moderatoren sich zufrieden geben, wenn die Frage am Rande beantwortet wird.

Beckmann: Das ist doch wohl eher das Prinzip des Polit-Talks.

SZ: Arbeiten Sie nicht gerne mit Suggestivfragen?

Beckmann: Ein schönes Klischee. Wer das behauptet, hört nicht richtig hin.

SZ: Ihr psychologisierender Stil polarisiert schon sehr.

Beckmann: Ich polarisiere und halte das in vielen Situationen für einen großen Vorteil. Es gibt Menschen, die grundsätzlich eine intensivere Art des Gesprächs nicht ertragen können. Meistens sind es Männer und gerne auch Medienjournalisten. Gerade für Berufsskeptiker ist zu viel Nähe mitunter befremdlich.

SZ: Deshalb haben Sie mehr als 60 Prozent weibliche Zuschauer?

Beckmann: Das ist bei allen Talkshows ähnlich. Aber laut einer neuen Umfrage fühlen sich Frauen bei mir besonders gut aufgehoben.

SZ: Sind sie als Moderator eher Handwerker oder Künstler?

Beckmann: Vieles ist bei mir Handwerk. Ursprünglich wollte ich nicht vor der Kamera stehen. Ich war glücklich als Filmemacher und Dokumentarist, unter anderem beim WDR. Dann kam die Ursünde: Ein Redakteur der Aktuellen Stunde quälte mich liebevoll drei Monate, bis ich einwilligte, mal zu moderieren.

SZ: Und wurden sofort süchtig?

Beckmann: Die Wirkung des süßen Giftes hielt sich zunächst in Grenzen. Ein bisschen Unsicherheit und Schüchternheit habe ich nach wie vor. Es gibt Augenblicke, da stünde ich lieber hinter der Kamera. Ich bin zum Beispiel kein Typ, der gerne auf große Veranstaltungen geht.

SZ: Sie sind schüchtern?

Beckmann: Nicht auf der Bühne, da fühle ich mich wohl, da bin ich allein und sicher. Hier kann ich den Leuten etwas vermitteln. Deshalb liegt mir auch das Kammerspiel von Beckmann. Im Kleinen etwas herzustellen, das kann ich, glaube ich, ganz gut.

SZ: Würden Sie Ihr Kammerspiel gerne mehrmals in der Woche aufführen?

Beckmann: Ich bin jetzt mal nicht schüchtern: Montag ist Spiegel-Tag, und Montag ist Beckmann-Tag. Das ist sehr exklusiv, und wir machen eine Sendung, die inhaltsaufwändiger ist und eine längere Vorbereitung braucht.

SZ: ...als die des Kollegen Kerner?

Beckmann: Nein, aber ich gebe zu, dass ich vor zwei Jahren dachte, eine Sendung mehr in der Woche wäre schön.

SZ: Würden Sie sich ausziehen für Harald Schmidt, was Johannes B. Kerner ja möglicherweise noch muss?

Beckmann: Nee. Harald war bei mir, und ich hab's angezogen überstanden.

SZ: Was fällt Ihnen zum Thema Kampfprogrammierung ein?

Beckmann: Johannes möchte acht Tage in der Woche moderieren. Ich habe gelesen, dass er Erster werden will. Schön, dass er uns überholen möchte. Das ist ein feines Kompliment.

SZ: Von Kerner zu lernen, heißt?

Beckmann: Immer den Wettbewerb suchen.

SZ: Sie nehmen das sportlich mit ihm, weil er Ihnen Bill Clinton wegschnappte, den Sie angekündigt hatten?

Beckmann: Ach so. Aber Heidi Klum war doch der bessere Gast. Nein im Ernst, das ist mal so, mal anders. Ich lebe ja doch ein wenig von dem Staub, den er aufwirbelt.

SZ: Hätten Sie den Wettbetrugs-Schiedsrichter Hoyzer eingeladen?

Beckmann: Nein, weil man außer Quote nichts bekommen hätte, keine zusätzlichen Informationen. Dieses Gespräch hat nur zur Imageaufbesserung Hoyzers geführt. Das lag nicht an der Gesprächsführung von Johannes. Der hat das gut gemacht.

Das lag an einem anderen Phänomen: Hoyzer sieht einfach zu gut aus und hat diesen melancholischen Blick. Dieser Mann wirkt wie ein Mitleidsbeschleuniger. Manche haben da plötzlich so ein Herz für diesen Hoyzer entwickelt.

SZ: Was bekommen denn Ihre Gäste?

Beckmann: Bei Johannes bekommen die Gäste, wie ich in der SZ gelesen habe, 500 Euro. Und wenn er das sagt, dann glaube ich ihm das. Wir bezahlen übrigens auch schon mal 1000 Euro für einen besonders interessanten Gast.

© SZ vom 11.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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