Interview mit ZDF-Intendant Schächter:"Die Möglichkeiten werden maßlos überschätzt"

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Der ZDF-Intendant über Zeitgrenzen im Internet und zugespitzte Ängste.

Christopher Keil

Was ARD und ZDF künftig im Internet einstellen dürfen und für wie lange, soll der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag regeln. Ende vergangener Woche haben die Ministerpräsidenten der Länder dazu einen Arbeitsentwurf verabschiedet, der in den kommenden drei Monaten mit der Wettbewerbskommission der EU diskutiert wird. Die EU hat zur Bedingung gemacht, dass die gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten kommerzielle Wettbewerber des Medienmarktes nicht diskriminieren dürfen. Kernstück des neuen Rundfunkgesetzes werden deshalb inhaltliche und zeitliche Beschränkungen für öffentlich-rechtliche Internetangebote sein.

Der Intendant des ZDF Markus Schächter. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Schächter, welche Konsequenzen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ziehen Sie aus dem "Arbeitsentwurf" der Ministerpräsidenten für den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag?

Markus Schächter: Es gibt jetzt eine gemeinsame Position der 16 Länder. Aber es bleiben Probleme, erhebliche, über die wir weiter reden werden. Hessens Ministerpräsident Koch hat Gespräche angekündigt, mit Brüssel und mit uns. Da werden wir unsere Position einbringen. Positiv sehe ich, dass wir nicht mehr ausschließlich als Rundfunksender, sondern als ein öffentlich-rechtliches Medienhaus betrachtet werden - das ist eine Annäherung an die Wirklichkeit.

"Die Bürokratie nimmt zu und der Nutzer hat das Nachsehen"

SZ: Für die Sieben-Tage-Abruf-Mediathek soll künftig "sendungsbezogen" als Kriterium für alle Inhalte, die ARD oder ZDF einstellen, Ultima Ratio sein.

Schächter: Mit kleinteiligen Beschränkungen und Restriktionen wird man der Funktion des Netzes und dem Interesse der Nutzer nicht gerecht. Aktualität und Vielfalt machen das Internet aus, dazu gehören auch zeitunabhängige Hintergrundinformationen. Die angekündigten Restriktionen sind in Europa einzigartig. Das ist schon ein deutscher Sonderweg. Auch wenn ich berücksichtige, dass wir über den Drei-Stufen-Test das eine oder andere neu akzentuieren können.

SZ: Hinter "sendungsbezogen" können sich doch Vielfalt und Hintergründe verbergen.

Schächter: Nehmen Sie das aktuelle Beispiel aus der Familienpolitik. Da gab es eine monatelange Diskussion, die zu mehr Familiengeld geführt hat. Diese Debatte, ihre Hintergründe und Zusammenhänge, sind doch wichtig für die Meinungsbildung. Die sieben Tage sind eine künstliche und keine logische Zeitgrenze.

SZ: Aber ARD und ZDF können - über den Umweg eines Telemedienkonzeptes und dessen Anerkennung durch ihre Rundfunk- und Fernsehräte - fast alles längerfristig anbieten.

Schächter: Da sind erhebliche Hürden aufgebaut. Noch weiß keiner so recht, wie das verfahrenstechnisch umgesetzt werden soll. Meine Befürchtung ist, die Bürokratie nimmt zu und der Nutzer wird in vielen Fällen das Nachsehen haben. Um die Konkretisierungen wird es in den nächsten Monaten gehen. Nehmen Sie nur den Sport. Manche Sportarten dürfen wir 24 Stunden lang im Netz anbieten, andere länger. Den 100-Meter-Lauf von Peking will man doch auch vier oder fünf Tage später nochmal sehen oder das Spiel Deutschland gegen Polen als Schlüsselspiel für das Spiel Deutschland gegen Österreich. Das ist schwer nachzuvollziehen: Diese großen Sportereignisse werden von der Politik als so wichtig und relevant angesehen, dass ihre Ausstrahlung im Free-TV gesetzlich festgeschrieben ist. Und genau diese Ereignisse sollen jetzt, selbst wenn wir die Rechte dafür gekauft haben, schnell wieder aus dem Netz genommen werden.

Auf der nächsten Seite erfahren Sie von Markus Schächter, warum sich die Auseinandersetzung mit den privaten Rundfunkveranstaltern zugespitzt hat.

SZ: Dass EU-Politiker sich um ARD und ZDF kümmern, liegt daran, dass die Wettbewerbskommissare die Rundfunkgebühr als unzulässige staatliche Beihilfe gewertet und deshalb die Erfüllung bestimmter Kriterien gefordert haben.

Schächter: Der Entwurf für den neuen Staatsvertrag enthält mehr als Brüssel fordert. Brüssel fordert Transparenz und Marktkonformität, sowie eine Auftragsdefinition für die digitalen Zusatzkanäle und die Online-Angebote. Weder hat Brüssel gefordert, dass es keine Unterhaltung geben darf, noch dass es einen Sendungsbezug geben muss oder eine Sieben-Tage-Frist. Das Thema Unterhaltung im Netz darf nicht unterschätzt werden. Gerade für den Zugang zu den jungen Menschen ist es existentiell.

SZ: Wollen Sie mit ARD-Kollegen bei der Wettbewerbskommission vorsprechen?

Schächter: Die vier Länder, die im Beihilfe-Streit die Bundesrepublik Deutschland vertreten haben, werden sich darum kümmern, also Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Sie haben mein Vertrauen, dass sie in der Kommunikation mit Brüssel sorgfältig agieren.

SZ: Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen behaupten, dass 60 Jahre nach Einführung des gebührengestützten Systems in einer grenzenlosen Medienwelt kein Bedarf mehr herrsche an Regulierungen. Verlegerverbände und der Verband der privaten Rundfunkveranstalter, die mit eigenfinanzierten Online-Portalen Erlöse suchen, traten so aggressiv wie nie zuvor auf. Es gehe um ihren Fortbestand. Verstehen Sie das?

"In dieser hitzigen Phase haben wir die falschen Türen bewacht."

Schächter: Diese zugespitzte Angst hängt damit zusammen, dass man die Möglichkeiten der Öffentlich-Rechtlichen im Internet maßlos überschätzt. Man ist immer von diesen sieben Milliarden Euro ausgegangen...

SZ: ... so viel bekommen ARD und ZDF jährlich ungefähr über die Rundfunkgebühr.

Schächter: Und dafür machen wir Fernsehen: jetzt und in Zukunft. Das ist unser Hauptgeschäft, und die Finanzmittel dafür sind genau festgelegt. Hier ist ein Popanz aufgebaut worden, der dann mit allen Mitteln bekämpft wird. Ich hoffe aber, dass wir jetzt wieder zu einer vernünftigen Form der Auseinandersetzung finden werden. Wir brauchen keine Konflikte, sondern Kooperation. Wir werden bald schon merken, dass wir in dieser hitzigen Phase die falschen Türen bewacht haben. Den Druck werden andere machen. Google bewirbt sich um die Rechte für die Olympischen Spiele 2016.

SZ: Was sollen den Gebührenzahler die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF eigentlich kosten? Die Sorge vor großen Gebührenerhöhungen ist doch berechtigt?

Schächter: Ich hatte vorgeschlagen, die Internetausgaben finanziell zu begrenzen und dafür auf die kleinteiligen Einschränkungen zu verzichten. Von 2009 an bis 2012 sind jährlich zwölf Millionen Euro geplant - eine von der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Anstalten) vorgegebene und von ihr auch kontrollierte Größenordnung. Die BBC setzt drei bis vier Prozent ihres Etats im Internet ein, das ist erheblich mehr.

SZ: Kann aus "sendungsbezogen" am Ende noch "sendungs-/programmbegleitend" werden?

Schächter: Ich hoffe, dass es Regelungen geben wird, die nutzer- und jugendfreundlich sind.

© SZ vom 16.06.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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