Interview mit Will.i.am:Wen interessieren silberne Plastikscheiben?

Lesezeit: 7 min

Rapper und Produzent Willi.i.am von den Black Eyed Peas spricht im Interview über Zukunftsmusik, die "ultimative Verzahnung von Musik und Mode" - und eine pophistorische Nacht in Las Vegas.

Dirk Peitz

Die "Black Eyed Peas" sind ein Phänomen: Das multi-ethnische Quartett hat mit seinen letzten beiden Alben "Elphunk" und "Monkey Business" das Kunststück geschafft, mit ziemlich bunten Melodien fast 30 Millionen Platten zu verkaufen und trotzdem noch im Hip-Hop ernstgenommen zu werden. Nachdem Sängerin Fergie im vergangenen Jahr ein erstes Soloalbum veröffentlichte, folgt mit "Songs About Girls" Ende September nun das Solodebüt des Hauptrappers und Produzenten der Band, Will.i.am. Zunächst aber stellt der ehemalige Designstudent Ende August bei einer Modemesse in Las Vegas seine neue Modekollektion "i.am Antik" vor. Außerdem arbeitet der 32-Jährige im Moment als Produzent an den drei wohl meisterwarteten Alben der jüngsten Zeit mit: Mariah Careys Folgewerk zu ihrer Comeback-Platte "The Emancipation Of Mimi" und an den Comeback-Platten zweier gefallener Ikonen der achtziger Jahre: Whitney Houston und Michael Jackson.

Rapper und Produzent Will.i.am stellt Ende August seine Modekollektion "i.am Antik" vor. Im Gegensatz zu anderen Stars hat er dieses Handwerk gelernt. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Musik ist heute die wahrscheinlich verletzlichste Kunstform überhaupt - sie ist zu leicht zu kopieren. Gerade erst wurde bekannt, dass der CD-Absatz im letzten Jahr weltweit noch einmal um ein Viertel eingebrochen ist. Macht Ihnen das als Musiker Angst?

Will.i.am: Sehe ich aus, als habe ich Angst? Nein. Die CD war gestern, wir sollten sie schnellstens vergessen. Wen interessieren denn heute noch silberne Plastikscheiben, die nur 72 Minuten Musik enthalten? Selbst die jüngsten Kids laufen heute mit Festplatten herum, die irrsinnig viele Stunden Musik speichern können. Die Zukunft der Musik ist ein Rundum-Erlebnis, kein flacher Tonträger. Die Plattformen, auf denen Musik stattfindet, haben sich durch das Internet einerseits vervielfacht, andererseits sind die klassischen Einkommensquellen Merchandising und Konzerte mittlerweile die allerwichtigsten für uns Musiker.

SZ: Wie rundum kann denn ein Erlebnis im Internet sein?

Will.i.am: Man gibt den Leuten, was sie wirklich wollen, Bonus-Sachen, Extras, Logos, Material zum Remixen, was auch immer. Vor allem aber: echte Interaktivität, eine echte Gemeinschaft. Ich bin da im Netz, ich bin nur einen Klick weit entfernt. Das ist neu.

SZ: Geld verdient man damit nicht.

Will.i.am: Deshalb mag ich zum Beispiel das Radio immer noch so gern. Denn im Gegensatz zur Plattenindustrie ist dessen Geschäftsmodell nicht gescheitert. Das Radio bekommt sein Geld von Werbekunden, und jedes Mal, wenn es einen meiner Songs spielt, bekomme ich mein Geld durch die Verwertung meiner Urheberrechte. Das nenne ich einen fairen Deal.

SZ: Als Musiker muss man heute also vor allem unternehmerisch denken?

Will.i.am: Früher musste man sich als Künstler weniger Gedanken machen. Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, würde ich mich in die achtziger Jahre zurückbeamen. Das war die Zeit, als sehr einfach sehr viel Geld verdient wurde mit Popmusik. Aber, hey, ich bin glücklich heute. Die Situation ist komplexer, aber auch spannend: In diesem Moment findet ein Wettrennen darüber statt, wer Musik im Internetzeitalter definiert und wie das neue Zeitalter aussehen wird. Denn noch hat niemand eine funktionierende Verwertung im Netz erfunden. Die Leute sagen zwar, iTunes sei ein solches Modell, doch das halte ich für eine Fehleinschätzung. Apple bietet mit iTunes nur einen Verkaufskanal. Aber im Endeffekt geht es denen einzig darum, noch mehr iPods zu verkaufen. Tatsächlich muss die Musik im Internetzeitalter über den Inhalt, nicht über die Verbreitungsform definiert werden.

SZ: In der Zwischenzeit scheint es, dass Popstars sich andere Einkommensquellen erschließen. Fast jeder hat seine eigene Klamotten-, Schuh-, Parfüm-Kollektion. Sie starten nun Ihre zweite Modelinie, aber Sie sind als ehemaliger Modestudent des Los Angeles Fashion Institute vermutlich der einzige Musiker, der eine Ausbildung auf diesem Feld hat.

Will.i.am: Wenn ich heute meine ganze Schaffenskraft von Musik auf Mode switchen würde, da bin ich mir ziemlich sicher, hätten Bottega Veneta und Roberto Cavalli ein ernsthaftes Problem. Ich rede also von wirklichem Modedesign. Denn offengestanden mag ich diese typischen Rapper-Kollektionen nicht besonders. Da nicken Stars nur die Entwürfe von anderen ab und lassen dann ihren Namen aufs Etikett nähen. Die Kollektionen sehen entsprechend aus: "Macht alles noch eine Nummer größer, denn Hip-Hop ist immer XXL, und mein Logo druckt ihr noch drei Nummern größer drauf."

SZ: Ihre Kollektion ist anders?

Will.i.am: Ich habe verdammt nochmal Mode studiert, natürlich ist sie anders! Ich entwerfe meine Jeans selbst und ich interessiere mich noch für das kleinste Detail: die Stoffe, die Verarbeitung, die Waschung. Jeans sind nicht einfach Jeans! So eine Hose ist eine hochkomplexe Angelegenheit.

SZ: In den Teilen von "i.am Antik" werden Codes eingenäht sein, mit denen man ein Album im Internet herunterladen kann, das nicht in den Plattenläden erscheinen soll. Ist das die ultimative Verzahnung von Musik und Mode, ist das Ihre Vorstellung von Zukunftsmusik?

Will.i.am: Man bekommt zwei Sachen für einen Preis, eine tolle Jeans und tolle Lieder, ganz einfach. Jeder Song ist mit einem anderen Rapper entstanden, mit Slick Rick, Ice Cube, Snoop Dogg, Busta Rhymes, Kanye West, Common, Q-Tip, Big Daddy Kane ...

SZ: Das ist fast der komplette Hip-Hop-Adel der letzten zwanzig Jahre.

Will.i.am: Korrekt. Und deshalb findet sich auf meinem anderen Album "Songs About Girls", das auf herkömmliche Weise erscheint, keine Zusammenarbeit mit anderen Rappern. Außer einer mit Snoop Dogg. "Songs About Girls" ist mein Beziehungs-Konzeptalbum. Doch ich hatte am Ende der Aufnahmen noch diese puren Hip-Hop-Tracks übrig, die thematisch und stilistisch nicht auf "Songs About Girls" passten. Ich fragte mich also: Sollte ich die auch noch als Platte rausbringen? Oder stattdessen einen anderen Kanal ausprobieren? Aber sie einfach bei iTunes verkaufen? Zu langweilig! Also habe ich mir diese Code-Sache ausgedacht. Und in den Sakkos, die in der Kollektion sind, wird die Musik sogar physisch vorhanden sein: In der Innentasche wird ein USB-Stick eingenäht sein mit den Liedern darauf.

SZ: Aber der Download-Code wird schon im billigsten T-Shirt eingenäht?

Will.i.am: Nein, so billig ist meine Musik dann doch nicht zu haben. Man muss schon ein teureres Teil kaufen. Sonst wäre es ein schlechtes Geschäft.

SZ: Ihre Meinung als Geschäftsmann: Kann das neue Michael-Jackson-Album, bei dem Sie mitarbeiten, ein Erfolg werden? Wird es überhaupt je erscheinen?

Will.i.am: Ich denke schon, dass es erscheinen wird. Aber zu allem anderen: kein Kommentar. Der Deal zwischen Michael Jackson und mir ist ganz einfach: Ich komme zu ihm ins Studio, wenn er mich anruft. Es gibt schon weitere Aufnahmetermine, wir sehen uns im November wieder im Studio. Er ist supercool. Genauso wie Prince.

SZ: Sie haben auch mit Prince gearbeitet? Der Mann hat gerade ein weiteres Mal die Plattenindustrie düpiert, indem er seine neue CD in Großbritannien einfach als Beilage einer Tageszeitung verschenkte.

Will.i.am: Ein Visionär. Ich bin mit ihm aufgetreten. Ich war mit den Black Eyed Peas vor ein paar Monaten in Las Vegas. Da ruft mich Prince an, der in einem Casino spielte: "Hey, willst Du heute mit mir auftreten?" Klar, sage ich, natürlich! Am nächsten Tag rief mich sein Assistent an und sagte: "Prince würde gern wissen, ob Du Lust hättest, heute Abend noch einmal mitzuspielen." Lust? Was gibt es Cooleres als mit Prince aufzutreten? Genau: An zwei Tagen hintereinander mit ihm aufzutreten! Ein paar Minuten später bekomme ich einen weiteren Anruf: "Hey, hier ist Mike, was machst du gerade so?" Mike? Michael Jackson? Wow! Er hatte zu dem Zeitpunkt das Studio gewechselt, von Irland nach Las Vegas. Ich sage also: "Hey, ich trete heute Abend hier mit Prince auf." - "Prince? Das ist toll!" - "Du solltest vorbeikommen!" - "Wirklich? Meinst Du, das wäre cool?" - "Das wäre verdammt cool!" - "Okay, dann komm ich." Das muss man sich mal vorstellen: Ich trete mit Prince auf, und Michael Jackson sitzt im Publikum! Heilige Scheiße! Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mensch innerhalb von zehn Minuten erst einen Anruf von Prince bekommt und dann einen von Michael Jackson?

SZ: Die Wahrscheinlichkeit liegt bei null.

Will.i.am: Richtig. Okay, ich mache mich also am frühen Abend auf den Weg zum Konzert und - bleibe im Verkehr stecken! Fuck, denke ich, gibt es einen schlechteren Zeitpunkt im Stau zu stehen? Ich springe also irgendwann aus dem Auto und renne los. Ich schaffe es in der allerletzten Sekunde in den Club. Alles läuft wunderbar, nach drei Minuten bin ich wieder runter von der Bühne, Prince ruft noch ins Mikrofon "Give it up for Will.i.am!", ich schleiche mich in den Saal und setze mich an den Tisch von - Michael Jackson. Er ist also wirklich gekommen! "Wie fandest Du mich?", frage ich ihn. Er antwortet: "Ich wusste gar nicht, dass du rappst." Wie bitte? Der Mann hat mich für ein paar Aufnahmen ins verdammte Irland einfliegen lassen, und er wusste nicht einmal, dass ich nicht nur Produzent bin, sondern auch Rapper! Ich sage: "Hörst du nie meine Musik, guckst du nie meine Videos? Ich bin verdammt nochmal der Hauptrapper der Black Eyed Peas!" Anyway. Neben Michael Jackson sitzt noch der Schauspieler Chris Tucker, und dann kommt Prince von der Bühne runter auf uns zu ...

SZ: ... und sieht Michael Jackson am Tisch mit Ihnen sitzen?

Will.i.am: Yo. Er hat seinen Bass umgeschnallt und bleibt vor unserem Tisch stehen. Da sitzen wir also: Michael Jackson, Chris Tucker und ich. Prince steht direkt vor Michael Jackson und improvisiert auf seinem Bass: Slap! Sonst macht er - nichts! Sagt - nichts! Spielt einfach. Was für eine Szene! Als Prince wieder zurück auf der Bühne ist, sagt Michael Jackson zu mir: "Prince hat mir mit seinem Bass mitten ins Gesicht gespielt! Was sollte das denn?" Naja, sage ich: "Du bist schließlich inkognito hier! Stell dir doch mal vor, Prince hätte gesagt: 'Ja, und hier sitzt übrigens Michael Jackson.' Die Leute sind ja schon wegen Prince genug ausgerastet, geschweige denn, sie hätten gewusst, dass du auch da bist!" Tja, das war sie dann, die verrückteste Nacht meines Lebens.

SZ: Und wenn Sie die Geschichte erzählen, glaubt Ihnen niemand.

Will.i.am: Ich würde sie ja nicht einmal selbst glauben! Aber was soll ich sagen: Sie ist wahr. Jedes Wort. Am nächsten Morgen habe ich mit Michael Jackson noch gefrühstückt, wir haben ein wenig an Songs gearbeitet - und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.

© SZ vom 20.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: