Interview mit Michel Gondry:Im freien Fall der Träume

Lesezeit: 4 min

Michel Gondry über die Realität der Liebe, die Angst vor Kontrolle und die Macht der Beatles.

Anke Sterneborg

Er ist der Meister der Musikclips, von den Stones bis Björk. Und hat zwei Filme gedreht, "Human Nature" und "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", die Clips in Spielfilmlänge sind, nicht nur durch ihre verspielte Technik, sondern in der Art, wie sie das Leben und seine Erinnerungen durcheinanderwirbeln.

Im Pool der Erinnerungen: "The Science of Sleep" (Foto: Foto: Prokino)

SZ: Sie haben zwei Filme gemacht, in denen sich die Helden zwischen Traum und Wirklichkeit verlieren ... Michel Gondry: Manchmal ist das schon ein bisschen verwirrend. Meine große Angst ist, dass ich mal im Traum aus dem Fenster springe - und dann merke ich plötzlich, das ist kein Traum, das ist die Wirklichkeit ...

SZ: Und sind Ihre persönlichen Träume denn die Basis Ihrer Drehbücher? Gondry: Ich habe etwa 150 oder 100 meiner Träume aufgeschrieben, und manche davon haben wirklich den Charakter eines Drehbuchentwurfs ... Und es gibt andere, die ich direkt für den Film schreibe. Ein Kritiker meinte, dass dieser Film den Zustand der lebensuntüchtigen Dreißigjährigen wiedergebe, die sich weigern, die Realität anzunehmen. Vielleicht stimmt das, vielleicht sind die Leute heute stärker introspektiv. Doch ich habe immer an meine Fähigkeit geglaubt, eine Welt zu erschaffen. In der Musik waren mir die Beatles immer lieber als die Rolling Stones - weil die Beatles dafür standen, dass jeder seine eigene Welt erschaffen kann und sich durch diese Welt definiert. Die Stones, das war immer nur diese Antihaltung, diese Provokationen.

SZ: Wie groß ist der Unterschied, ob Sie mit einem Popstar oder einem Schauspieler arbeiten? Gondry: Der Unterschied besteht gar nicht zwischen Musiker und Schauspieler, sondern immer darin, ob jemand einfach oder schwierig ist. Der große Vorteil beim Film besteht darin, dass man ein Drehbuch hat, mit einem Charakter, an dem man sich festhalten, auf den man sich verlassen kann. Bei Videos hat man oft einfach zu wenig Zeit, um herauszufinden, wer dieser Typ wirklich ist. Bei den Videos, mit denen ich gescheitert bin, lag es immer daran, dass ich den Typ nicht gut genug kennengelernt und falsch eingeschätzt habe.

SZ: Hinter all diesen irrwitzigen Phantasien geht es also um Wahrhaftigkeit? Gondry: Ja, genau, in "Science of Sleep" wollte ich herausfinden, ob dieses Mädchen Stéphanie, in das ich verliebt war, mich mochte oder nicht, und ich habe herausgefunden, dass sie es nicht tat, was sehr schmerzlich war. Ich habe die Leute gefragt, ob sie glauben, dass sie ihn liebt oder nicht. Was denken Sie?

SZ: Im Film? Nun, ich denke schon. Obwohl beide in ihren Welten gefangen sind, gibt es doch Berührungspunkte ... Gondry: Denken Sie, die beiden könnten ein Paar sein?

SZ: Ja, ich denke, es gibt eine Magie zwischen ihnen. Gondry: Ah, dann gibt es ja doch noch Hoffnung ...

SZ: Sie bezweifeln das wirklich? Das sind doch Ihre Schöpfungen! Gondry: Ich wollte es über diesen Film selbst herausfinden. Ich habe zu Charlotte Gainsbourg gesagt, dass ich nicht sicher bin, ob sie sich zu dem Jungen hingezogen fühlt oder nicht, und dass sie das selbst herausfinden und mir dann sagen sollte. Ich glaube, dass es die Liebe, die auf der kreativen und auf der physischen Ebene zugleich funktioniert, gibt - auch wenn ich sie leider noch nicht gefunden habe ...

SZ: Bei "Eternal Sunshine of the Spotless Mind" haben Sie Jim Carreys Selbstbewusstsein sabotiert - das war bei Gael García Bernal sicher einfacher? Gondry: Männer tendieren generell dazu, sich stärker auf die Kamera zu konzentrieren, Frauen sind da viel lockerer. Carrey ist ein Komiker, der immer wissen will, wo die Kamera steht, und das habe ich ihm so schwer wie möglich gemacht. Es war schon erstaunlich, wie leicht man ihn verunsichern konnte. Ich ringe immer darum, das Chaos zu organisieren, damit nicht die Falschen das Steuer übernehmen. Es ist aber auch sehr wichtig, dass nicht alles organisiert ist, sonst verliert man die Lebendigkeit, die aus dem Chaos entsteht. Mir ist viel lieber, wenn die Schauspieler sich gar nicht so sicher sind, ob gerade gedreht wird!

SZ: War das dann schwierig, eine so gradlinige Dokumentation über "David Chappelle's Block Party", die vor kurzem ins Kino kam, zu drehen, oder war es womöglich eine Erholung vom Chaos? Gondry: Nun, ich liebe es, in die Köpfe meiner Helden zu kriechen, aber bei rund fünfzig Leuten ist das ja gar nicht möglich! Entscheidend ist, dass ich den Film an vier Tagen konzentriert gedreht habe. Natürlich arbeitete ich da nicht mit der Hingabe wie bei einer Geschichte, an der ich vier Jahre schreibe und zwei Jahre drehe und schneide. Ich finde es schon erstaunlich, dass daraus ein richtiger Film geworden ist, der auf der Leinwand gezeigt wird, auf Festivals und im Kino, nachdem ich nur gebeten wurde, dieses Ereignis zu dokumentieren.

SZ: Man merkt, mit welchem Vergnügen Sie an handgemachten, altmodischen Tricks und Effekten basteln. Gondry: Ich arbeite schon ganz gern mit Computern, aber ich finde das Ergebnis nicht so attraktiv, und es gefällt mir auch nicht, dass andere Firmen das machen, die unabhängig arbeiten, abseits vom Dreh. Dadurch entsteht eine Distanz zum Film. Ich habe es immer geliebt, durch ein Glasstückchen zu filmen, mit Reflexionen zu arbeiten. Das ist doch magisch, wenn man eine Nacht lang ein Stück Pappe herumschiebt - und das Ergebnis erst später zu sehen. In gewisser Weise erschaffen wir da Leben ...

SZ: Gibt es irgendwelche Tatsachen, die Sie nicht infrage stellen? Gondry: Die Tatsache, dass eine Liebe nicht erwidert wird. Das musste ich als Realität akzeptieren. Die Person, die mich zu Charlottes Figur inspiriert hat, hat diese Vögel gebastelt, die man im Film sieht, und ich wollte einen Weg finden, dass sich dieser Vogel selbstständig bewegen kann. Ich wollte ihr zeigen, dass ich ihren Traum erfüllen kann. Im Kino.

© SZ vom 28.09.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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