Interview mit Keanu Reeves:"War ein guter Tag"

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Ein Reisender in der Wachowski-Welt - Gespräch mit dem "Matrix"-Hauptdarsteller über meditative Action und die Arbeit der Hände.

Interview: Patrick Roth

Nicht wirklich von dieser Welt, so kommt er in den "Matrix"-Filmen daher, der gefallene Engel unter den jungen Hollywoodstars. Ein Engel mit Geschäftssinn - durch seine Beteiligung am "Matrix"-Einspiel ist er Millionär geworden.

Sechs Wochen im Regen: Die Dreharbeiten der feucht-grimmigen Kampfszenen hätten etwas Meditatives gehabt. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Heute morgen hieß es im Radio, Sie hätten jedem Ihrer Stuntleute zum Abschluss der "Matrix"-Dreharbeiten eine Harley geschenkt.

Keanu Reeves: Wir hatten damals einen dieser Mammut-Kämpfe zwischen Neo und Agent Smith in "Reloaded" gedreht. Ein Dutzend Stuntleute mussten zwölf Stunden täglich Dresche von mir beziehen - auf meine Schläge reagieren und dabei komplizierte Kamerabewegungen berücksichtigen.

Die Jungs ließen sich auf Kommando in den Boden rammen, gegen die Wand schleudern, himmelwärts katapultieren. Arbeiteten ohne Jammern. Mit unglaublichem Eifer. "Nochmal, Keanu?" Mehr hab ich nie von denen gehört.

Eines Abends ließ ich einen Laster vor unserer Halle abladen. Hab's spannend gemacht, 'ne kleine Rede gehalten. Ich sagte: "It was a good day." Ein guter Tag. Dann rollten die Harleys die Rampe herab.

SZ: Zwölf Stunden wiederholte Action, das hört sich letztlich sehr öde an.

Reeves: Ist es nicht. Es hat eher was Meditatives. In "Revolutions" zum Beispiel haben Hugo (Weaving) und ich sechs Wochen lang im Regen gekämpft. Kaum hatten die Wachowskis den Straßen-Set einleuchten lassen, den Regen aufgedreht, die Blitze gezündet, wurde mir klar, dass ich Hugo bei diesem Kampf nicht sehen konnte.

Der Regen verbarg ihn. Aber wir hatten schon so oft miteinander gekämpft, dass es auch "blind" ging. Ziemlich cool, so eine Erfahrung.

SZ: Haben Sie sich, neben solcher Meditation, manchmal auch Gedanken über die Aussage der Trilogie selbst gemacht?

Reeves: Ich finde ihre Schönheit ziemlich überwältigend. Haben Sie sowas schon mal gesehen? Es ist schwer für mich, über die Trilogie "von außen" zu reden. Ich spiele Neo. Ich spiele Thomas A. Anderson, eine von den Wachowski-Brüdern erfundene Gestalt. Ich habe mir das "A.", den abgekürzten Mittelnamen,übrigens immer als "Adam" erklärt.

Aber man kann diese Filme unter allen möglichen Aspekten betrachten. Sie triefen vor Mythologie - westlicher und östlicher. Nur kann ich die nicht "spielen" - obwohl es Spaß macht, dass die Rolle solche Fragen herausreizt.

Ich würde sie offen lassen. Ich stelle weder Christus noch König Arthur dar, bin nur ein Reisender in der Welt der Wachowski-Brüder . . . Neo ist zu Beginn der Einzelgänger, diese klassisch isolierte Figur, die selbst zum Mythos wird. Dazwischen steht die Reise . . . eine Selbstfindung.

Im dritten Film fragt ihn Morpheus einmal: "Hat dir das Orakel so prophezeit?" Und Neo sagt: "Nein." Das heißt: Er handelt frei. Er verlässt sich auf keine Autorität mehr.

Andererseits ist er die einzige Figur, die mit allen anderen Bewusstseinsträgern in Verbindung steht: mit Machine City, mit den Programmen, mit Zion und mit der Matrix. Er - als einziger, glaube ich - erkennt am Ende die schiere energieerfüllte Schönheit all dieser Bewusstseinsträger. Erkennt ihr Recht auf Leben.

Es ist diese goldglühende Farbe, die er in allem erkennt. Ich verstand, dass er "compassion through experience" erreicht hat.

SZ: Die Matrix-Trilogie, das waren fünf Jahre Arbeit, wenn man die Vorbereitungsphasen mitrechnet. Welche Auswirkungen hatte das auf Ihr Privatleben?

Reeves: Na, in der Zeit hätte ich meinen Schulabschluss nachholen können (lacht). Im Ernst. Heute fragt mich doch jemand, ob ich nicht nochmal zur Schule gehen wolle, ich hätte doch keinen High School-Abschluss. "Nein", sage ich, "brauch' ich nicht. Hab doch das Examen in ,Matrix'!"

Ansonsten . . . bin ich noch immer der einsame Typ, den die Freunde manchmal bemitleiden, weil er keine Zeit hat, mit ihnen rumzuhängen. Ich suche - wie Neo. Nur glaube ich, Neo hat den besseren Charakter.

SZ: Vor kurzem hieß es in der Zeitung, Sie hätten sich - mit 39 Jahren - zum ersten Mal ein Haus gekauft.

Reeves: Anfangs fühlte sich's fremd an . . . Ich wachte in diesem fremden Haus auf: Was mach ich hier? Kochen? Muss ich kochen? Kann ich kochen? Wie . . . macht man das? Ich wollte sofort wieder ins Hotel zurück.

SZ: Da kam dann rettend das nächste Filmprojekt.

Reeves: Richtig. "Thumbsucker" und "Something's Gotta Give" mit Jack Nicholson. Die sind schon abgedreht.Zur Zeit arbeite ich an "Constantine", einem SF-Thriller, der auf einem DC-Comic basiert. Spielt in der Welt der "Engel und Dämonen" unterhalb von Los Angeles.

SZ: Ich hätte gedacht, dass Sie sich nach der Trilogie jetzt erst mal kleinere Independent-Filme raussuchen würden. Warum diese riesigen Studiofilme?

Reeves: Ganz einfach: Mir gefielen die Drehbücher. Ich gebe zu, dass europäische Filme auf mich oft stärker wirken als amerikanische. Ihrer Intimität wegen.

Maßlose Unterstreichung

Oder wenn ich daran denke, wie die ersten Satyajit-Ray-Filme, die ich sah, bei mir nachwirkten! Diese Einfachheit, an die wir im Westen nicht rankommen. In amerikanischen Filme muss immer was explodieren - oder jemand stirbt oder erblindet, um eine Plotwendung zu bezeichnen oder eine Aussage zu unterstreichen.

Überhaupt wird immer maßlos unterstrichen. In Europa weiß man noch, was eine Hand wert ist, da gibt es noch Großaufnahmen von Händen: Wie eine die andere fasst. Und jeder versteht, was gemeint ist - und doch unausgesprochen bleibt.

Scorsese konnte früher noch so erzählen, so persönlich, ohne die Größe seines Sujets aus den Augen zu verlieren. Ich glaube, danach sehne ich mich.

© SZ vom 5.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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