Interview mit Hilary Swank:Die Kunst, Leute anzustarren

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In "Freedom Writers" spielt Hilary Swank, die für "Million Dollar Baby" einen Oscar erhielt, wieder eine starke Charakterrolle. Im Interview spricht sie übers Boxen, Fluchten in Bücher und ihre Anfänge als Schauspielerin.

Anke Sterneborg

Als Teenager war sie in TV-Serien vielbeschäftigt, mit einem ihrer ersten Filme hat sie, 1999, einen Oscar gewonnen, "Boys Don"t Cry", in dem sie ein Mädchen spielt, das unbedingt Junge sein will, im Mittelwesten, dem Kernland des amerikanischen Machismo. Für die Boxerin in Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" gab es, fünf Jahre später, einen zweiten Oscar. Zwischen diesen beiden Meilensteinen sind ihre Rollen in kleinen Genrefilmen ein wenig verblasst, von "Insomnia" bis "The Black Dahlia".

Die vielseitige Hilary Swank. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Anfang der Dreißiger und bereits zwei Oscars - wie sieht man da seine berufliche Zukunft? Gibt es Momente, wo Se sich schon ein wenig alt fühlen?

Hilary Swank: Nein, gar nicht. Es gibt noch so unglaublich viel, was ich spielen möchte. Die Leute sagen immer: "Wow! Zwei Oscars: Da kannst du dich ja zur Ruhe setzen!" Ich finde das toll, diese Anerkennung, die in diesen beiden Auszeichnungen zum Ausdruck kommt, von Leuten, die mich stark inspirierten - aber mir ging es doch nie darum, mit dieser Arbeit Preise zu gewinnen.

SZ: Was liegt Ihnen mehr, die sehr physische Rolle als junge Boxerin in "Million Dollar Baby" oder nun der eher intellektuelle Touch, als Lehrerin in "Freedom Writers"?

Swank: Da mache ich keinen Unterschied. Mir geht es einfach nur darum, tolle Geschichten zu erzählen, über ganz verschiedene Menschen, mit ganz verschiedenen Lebensläufen.

SZ: Die echte Erin Gruwell, die Lehrerin der "Freedom Writers", hat Sie persönlich als Darstellerin ausgewählt . . . hat sie Ihnen erzählt, warum?

Swank: Sie hat "Boys Don"t Cry" gesehen - und danach war das klar für sie, dass ich das machen sollte. Wahrscheinlich, weil auch das eine reale Geschichte ist - und weil sie auf eine sehr harte, ganz ungeschönte Weise erzählt wurde. Erin wollte keinen Hollywood-Kitsch, und ich fand das ganz wunderbar, dass sie mir das zutraute.

SZ: Sie haben unglaublich früh angefangen als Schauspielerin zu arbeiten - wann hat es da zum ersten mal gefunkt?

Swank: Ich war neun, wir sollten in der Schule einen Sketch schreiben und ihn dann vor der Klasse spielen. Irgendwie hat das etwas ausgelöst in mir, ich wusste plötzlich, was ich machen wollte. Mit fünfzehn habe ich dann angefangen zu spielen, ohne Schauspielschule - ich habe im Grund meine ganze Ausbildung vor der Kamera absolviert. Allein beim Beobachten von Menschen lerne ich ungeheuer viel. Ich erinnere mich noch, wie meine Mutter immer geschimpft hat, als ich fünf war: "Hör auf, die Leute anzustarren!"

SZ: Worum geht es Ihnen beim Spielen, wollen Sie fremde Leben ausprobieren, wollen Sie dadurch mehr über sich selber herauszufinden?

Swank: Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Immer wenn ich es mit einer neuen Figur zu tun bekomme, einer anderen Art, die Welt zu sehen, werde auch ich offener. Als Schauspielerin hat man die Chance, das Leben ungemein vielseitig wahrzunehmen. Wo sonst würde man Boxen lernen! Oder erleben, wie das ist, acht Wochen lang als Transsexueller zu leben, zu fühlen, zu denken! Das ist viel intensiver, viel tiefgründiger, als wenn man ein Buch liest oder einen Film sieht.

SZ: Viele Ihrer Filme haben durchaus heiße Themen - das Recht auf selbst bestimmtes Sterben in "Million Dollar Baby", oder Ghetto-Gewalt und Rassenunruhen in "Freedom Writers". Wie politisch ist für Sie das Filmemachen?

Swank: Ich sehe Filme natürlich nicht unbedingt als Propaganda. Ich nicht darauf aus, Botschaften in die Welt zu senden. Mir geht es darum, Geschichten zu erzählen, herauszubringen, was diese Menschen motiviert. Und damit auch in mir selbst etwas wachzurufen, das mir gar nicht bewusst geworden wäre, wenn ich die Figur nicht gespielt hätte. .

SZ: Wie stark hat sich da, bei der Rollenwahl, beim Spielen, Ihre eigene schwierige Kindheit ausgewirkt?

Swank: Nun, Bücher und Filme waren für mich immer Zufluchtsorte, und ich habe mich dort besser verstanden gefühlt als in der Wirklichkeit. Das ist ein komplexer Reflektionsprozess,die Kunst spiegelt das Leben und umgekehrt. Maggie in "Million Dollar Baby" war mir sehr nahe, weil sie einen Traum hatte. Weil sie alles daran setzte, ihn zu verwirklichen. Erin Gruwell ist eine Naturgewalt, sie glaubt an sich und an andere Menschen. Und schafft so Veränderung.

SZ: Welchen Unterschied macht es für Sie, ob Sie mit einem so erfahrenen Mann wie Clint Eastwood arbeiten oder mit diesen Freedom-Writers-Kids?

Swank:Seltsamerweise habe ich von den Kids genauso viel gelernt wie von einem Meister wie Clint. Diese Jugendlichen erinnerten mich daran, wie es ist, eins zu eins zu spielen. Sie hatten keine Erwartungen an mich, weil viele von ihnen gar keine Schauspieler waren, sie gingen ganz unmittelbar im Moment auf, ohne eine Vorstellung, wie es am Ende aussehen sollte. Das hat mich auf das zurückgeführt, was das Schauspielen und auch das Leben bedeutet, ich wurde selbst intuitiver und spontaner.

SZ: Haben Sie nicht auch ein Verlangen, mal etwas Leichteres zu spielen?

Swank: Nun, ich liebe alle Genres. Ich mag romantische Komödien, ich mag Horror. Aber es ist einfach sehr viel schwerer, eine gute Komödie zu schreiben als ein knallhartes Drama. Ich habe eben zum ersten Mal in einer Komödie gespielt, "P. S., I Love You", und danach in einem Horrorfilm, "The Reaping". Am liebsten mische ich alles durcheinander, wenn es gutes Material gibt.

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