Interview mit Barbara Meier und Harald Lesch:"Frau Meier könnte ein Brikett sein"

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Zum Jahr der Mathematik: "Germany's Next Topmodel"-Siegerin Barbara Meier und Astrophysiker Harald Lesch sprechen über die Faszination der Zahlen, den Wahnsinn des Fernsehens und die Unlogik der Liebe. Mit Videos.

Julia Bönisch und Christian Kortmann

Halb zehn in München. Frühstückszeit in der SZ-Kantine über den Dächern der Stadt, mit Blick auf die Türme der Frauenkirche. Barbara Meier, Siegerin der zweiten Staffel von Heidi Klums Castingshow "Germany's Next Topmodel", 22, aus Amberg in Bayern, macht einen Zwischenstopp auf dem Weg zum Flughafen; ihren schweren Rollkoffer zieht sie selbst. Die Mathematikstudentin ist offizielle Botschafterin für das Jahr der Mathematik. Im Lauf dieses Jahres besucht sie Schulen und Universitäten. Sie weigert sich, dem Interviewer, ja, dem Interviewer, der sich eigens rote Pumps gekauft hat, für die sueddeutsche.de-Kameras Catwalk-gemäßes Laufen beizubringen, weil sie "ihren Beruf nicht lächerlich machen will". Harald Lesch, 47, kennt solche Zurückhaltung bei Experimenten nicht: Der Astrophysiker und Communicator-Preisträger von der Ludwig-Maximilians-Universität München machte 1998 den Schritt ins Fernsehen, wo er in seiner Sendung "Alpha Centauri" (Bayern Alpha) eine treue Fangemeinde für mathematisch-physikalische Phänomene begeistert. Im Herbst übernimmt der nebenberufliche Kabarettist die Nachfolge von Joachim Bublath in dessen ZDF-Wissenschaftsmagazin, dem einstigen "Abenteuer Forschung".

Mathe-Fans: Barbara Meier und Astrophysiker Harald Lesch. (Foto: Foto: Kammermayer)

sueddeutsche.de: Frau Meier, Sie arbeiten als Model, Herr Lesch, Sie sind Astrophysiker. Mindestens drei Gemeinsamkeiten sind dabei festzustellen: Sie beschäftigen sich mit Mathematik, arbeiten im Fernsehen und wollen ihr Publikum unterhalten.

Harald Lesch: Mathematik im Fernsehen? Sobald man das hört, schaltet mindestens die Hälfte der Zuhörer in den Stand-by-Modus - als würde man unbekannte Hieroglyphen zeigen. Weil Mathematik eine Sprache ist, die man nicht übersetzen kann, kommt sie in den Medien nicht vor.

sueddeutsche.de: Trotzdem versuchen Sie, Mathematik zu popularisieren. Barbara Meier ist als Botschafterin für das Jahr der Mathematik unterwegs.

Barbara Meier: Ich bin noch gar nicht so lange mit der Schule fertig. Ich hatte immer Spaß an Mathe, wollte mehr lernen und mehr wissen - und war damit immer einsam. Deshalb will ich die Freude am mathematischen Denken an sich vermitteln.

sueddeutsche.de: Wie veranschaulichen Sie das? Wie "verkaufen" Sie Mathematik?

Meier: Am besten vermittelt man die Freude, indem man gemeinsam Aufgaben löst.

Lesch: Am interessantesten sind Aufgaben, die man sich selber stellt. Ich möchte irgendetwas wissen, zum Beispiel: Ist die Welt gekrümmt? Und dann überlege ich, wie ich das herausfinden kann: Muss ich die ablatschen? Richtig klasse wird es, wenn man mit hochpubertären Übercoolen arbeitet. Ich war mal morgens in der U-Bahn auf dem Weg zu einer Schule, da unterhalten sich zwei 17-Jährige, die Hosen kurz überm Hintern: 'Ich hab überhaupt keinen Bock, scheiß Physik.' Und dann habe ich ausgerechnet in ihrer Klasse einen Vortrag über die Wissenschaft in Science-Fiction-Filmen gehalten. Diese beiden Typen haben super mitgemacht und wollten wirklich wissen, was es mit dem Beamen auf sich hat. Dann haben wir ausgerechnet, auf welche Temperatur man Atome wirklich aufheizen muss, um sie aufzulösen. Am Schluss hieß es: 'Boa, is ja irre.'

sueddeutsche.de: Wie war der Mathematik-Unterricht in Ihrer Schulzeit? "Irre" oder langweilig?

Meier: Mir hat Mathe immer Spaß gemacht. Ich habe auch anderen Schülern viel Nachhilfe gegeben. Herauszufinden, wo ihre Lücken sind, das war für mich das Spannendste - denn dann verbessern sie sich schlagartig. Ich unterhalte mich gerade mit vielen Schülern: Alle, die keinen Spaß an Mathe haben, hatten einen Lehrer, der ihnen das Fach verdorben hat.

Lesch: In meiner Schulzeit sammelten sich gerade in der Mathematik Typen mit einem leichten Hang zum Sadismus an. Die mussten die Schüler immer triezen, während es in den anderen Fächern menschlicher zuging. Mit dem Deutschlehrer konnte man über die Interpretation verhandeln, bei Mathe war das nicht so. Das merke ich ja auch. 'Was machen Sie, Physik?' Und dann gehen die Leute 20 Kilometer zurück: 'Ist der völlig Banane, wie kann der das machen?'

sueddeutsche.de: Es sind immer die Lehrer, die einem das Fach verleiden, und Mathe ist offenbar ein Sammelbecken für seltsame Typen: Haben die Naturwissenschaften ein Image-Problem?

Lesch: Ja klar.

Meier: An meiner Fachhochschule haben wir irgendwann festgestellt, dass jeder von uns vor dem Studium dachte, er würde nur mit Menschen mit dicken Hornbrillen zusammensein. Jeder nahm an, er wäre der einzig Normale. Man denkt vielleicht, Frauen, die Mathe studieren, sind ungepflegt und tragen schlampige Klamotten. Aber das ist überhaupt nicht so.

sueddeutsche.de: Ihr Berufswunsch lautete früher Programmiererin. Wollen Sie das immer noch werden?

Meier: Nein, das ist nicht mein Ziel. Ich habe studiert aus Interesse an der Mathematik selbst.

sueddeutsche.de: Und Sie wollen weiter studieren? Oder doch lieber als Model arbeiten?

Meier: Das nächste Jahr werde ich dafür voraussichtlich keine Zeit dafür haben. Aber ich habe so viele Warte- und Reisezeiten - ich versuche, sie sinnvoll zu nutzen und zu lernen.

sueddeutsche.de: Aber es werden wohl nicht viele Models mit Mathe-Büchern hinter der Bühne sitzen, oder?

Meier: Das sind auch Vorurteile. Als ich neulich mein Mathe-Buch ausgepackt habe, stellte sich heraus, dass ein Mädchen Medizin studiert, die andere Jura. Das sind Vorurteile, dass Models alle dumm sind.

sueddeutsche.de: Sehen Sie denn Ihren Beruf eher in der Mathematik oder als Model?

Meier: Momentan bin ich Model. Aber natürlich weiß ich nicht, was in einigen Jahren sein wird. Die Branche unterliegt Trends. Oder ich verletze mir meine Beine und kann aus körperlichen Gründen nicht mehr weitermachen. Es immer gut, etwas zu haben, auf das man zurückgreifen kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Mathematiker eigentlich den ganzen Tag lang machen.

sueddeutsche.de: Aber ist dies nicht genau das Problem - viele wissen überhaupt nicht, was man als Mathematiker machen kann?

Lesch: Ein Bäcker backt Brot oder Brötchen. Bei Mathematik ist das nicht so einfach. Dabei ist das genau wie Jura - da lernst du auch nix anderes als Gesetze, die angewandt werden. Nehmen wir etwa den Klimawandel. Dazu steht irgendeine These in der Zeitung, die will ich überprüfen. Und da steckt dann Mathematik darin: Wenn A gilt, dann gilt B. Mathematik ist mehr als eine Jobmaschine, sie gehört zu unserem grundsätzlichen Erkenntnisapparat.

Meier: Das ist das Schöne an der Mathematik. Da weiß man, woran man ist. Es gibt in unserer Welt nicht mehr besonders viele Dinge, auf die man sich verlassen kann.

sueddeutsche.de: Aber es gibt so viele unlogische Dinge auf der Welt. Das kann einen doch verrückt machen.

Lesch: Wieso verrückt? Es gibt nichts Schlimmeres als Berechenbarkeit. Der Charme der Mathematik ist ihr Inselcharakter: Dort kannst du dich hinsetzen und weißt, eins und eins sind nicht 2,1 oder 1,9, sondern definitiv zwei. Das haben wir jetzt schon mal. Das ist ein Plätzchen, wo man sich sehr wohl fühlen kann.

sueddeutsche.de: Die reine Weltflucht.

Lesch: Nicht notwendigerweise. Aber man kann sagen, hier bin ich - nicht Mensch, aber Mathematiker, hier darf ich sein. Und von dort kann ich kleine Schritte in die Zukunft wagen, ein infinitesimal kleines Schrittchen. So kann ich in die Zukunft schauen, indem ich aus der Vergangenheit ableite. Frau Meier etwa bleibt als Struktur erhalten, in der ganzen Zeit, in der sie hier sitzt. Das bedeutet, in ihr müssen sich ständig Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge so abspielen, dass sie strukturell erhalten bleibt. Sie könnte ja auch einfach, Entschuldigung, ein Stück Brikett sein. Und die Anzahl der Kohlenstoffatome würde dann zusammenbrechen, zack, weg, aus. Wenn alles völlig ungeordnet wäre, hätte man keinen Ausgangspunkt.

sueddeutsche.de: Ist das Sich-Hineinkauzen in mathematische Probleme immer eine Lust oder beizeiten eine Last?

Lesch: Wenn ich in einer Aufgabe drin bin, dann kann links und rechts sonst etwas passieren. Ich fahre morgens in mein Institut und fange an, über Neutronensterne nachzudenken, hole mir einen Kaffee, zünde eine Pfeife an und stelle das Telefon aufs Archiv um - 6032, da geht nie jemand ran, wunderbar. Den Computer werfe ich erst gar nicht an, nur ein Blatt Papier vor mir. Da ist eine Differentialgleichung drauf, und die muss gelöst werden, links und rechts die Bücher - sonst will ich auch gar nichts mitkriegen in meinem Problemgarten.

sueddeutsche.de: Frau Meier, schlendern Sie auch gerne in Problemgärten?

Meier: Wenn man etwas verstehen will, sitzt man eben lange da. Ich finde das schön. Mittlerweile ist mein Leben von Hektik bestimmt, alles muss schnell gehen. Wenn ich mich in aller Ruhe auf ein einziges Problem konzentrieren kann, ist das eine Form von Erholung.

sueddeutsche.de: Sie beschreiben Mathematik als etwas Schönes. Ein Schüler von Vivienne Westwood hat für Barbara Meier ein Kleid aus Möbiusbändern geschneidert. Wenn Sie, Herr Lesch, nun Barbara Meier in diesem Kleid treffen würden, welches Kompliment würden Sie ihr machen, um zu glänzen - auch als Mathematiker?

Lesch (lacht laut): Ich würde sagen: 'Möbiusbänder sind ein Maß der Unendlichkeit, aber die Schönheit einer Frau ist mehr als unendlich.' Davon möchte ich übrigens unbedingt ein Foto haben!

sueddeutsche.de: Was ist für Sie die Schönheit der Mathematik?

Lesch: Es gibt kaum etwas Schöneres als die Wellenlösungen der chladnischen Klangfiguren,....

sueddeutsche.de: ...äh...

Lesch: ...das sind Muster auf einer mit Sand bestreuten dünnen Platte, die in Schwingungen versetzt wird. Und Musik, natürlich Musik - Mathematik in ihrer wunderbarsten Form. "Die ganze Welt ist Musik', sagte schon Pythagoras: Dieses tiefe Gefühl, das nicht nur im Ohr klingt, sondern auch in uns etwas zum Klingen bringt.

sueddeutsche.de: Frau Meier, müssen Dinge, die Sie schön finden, auch mathematisch perfekt sein? Gibt es eine Mathematik der Schönheit?

Meier: Ich schaue Menschen immer in die Augen. Im zwischenmenschlichen Bereich gibt es mehr Dinge, als man mathematisch-logisch erklären kann.

Lesch: Es gibt Menschen, die studieren und sind dann vom mathematischen Denken durchsetzt. Diese Leute behandeln selbst ihre Beziehungskrisen mathematisch: 'Liebelein, wir sind jetzt in einer Krise. Aber ich weiß, wenn wir erst mal diesen Punkt erreicht haben, koppelt das auf uns zurück.' Und man hört schon, wie sie geht und die Tür zuschlägt. Die Mathematik ist ein wunderbares Schatzkästlein, aber im Leben braucht man öfter den Werkzeugkasten: mit Hammer, Bohrer, einem Engländer und einer guten Hilti. Ich kann die größten mathematischen Probleme lösen und weiß trotzdem nicht, was der Sinn des Lebens ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer der bessere Model-Coach ist: Heidi Klum oder Bruce Darnell?

sueddeutsche.de: Sie benutzen beide das Fernsehen als Verstärker, um Mathematik zu popularisieren. Frau Meier, Sie haben ja die zweite Staffel von "Germany's Next Topmodel" gewonnen und sich jeglichem Zickenkrieg enthalten. Kam ihnen Heidi Klums Welt nicht völlig verrückt vor?

Meier: Ich kenne das noch von meiner Mädchen-Realschule. Oft, wenn man viele Frauen auf einem Haufen hat, ist Action angesagt. Davon abgesehen muss man sich bewusst machen, dass in der Fernsehwelt andere Gesetze gelten.

sueddeutsche.de: Eine recht reife, distanzierte Einstellung für eine damals 20-Jährige: Haben Sie völlig illusionslos teilgenommen?

Meier: Nicht illusionslos. Es war ja das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie Fernsehen entsteht. Dass für zwei Stunden Sendung fünf Tage gedreht wird. Fernsehen ist harte Arbeit und nicht nur heile Welt, Glitzer und Glamour.

sueddeutsche.de: Aber Klums Jury trifft ja keine logischen Entscheidungen. Und Bruce Darnell hat mit seiner Exzentrik eine neue Art von Wahnsinn ins deutsche Fernsehen eingeführt.

Meier: Für mich waren das alles neue Erfahrungen, weil ich vorher auch nicht vor Emotionen gesprüht habe. Ich kannte das gar nicht, dass jemand wie Bruce so viele Gefühle zeigt, auch Fremden gegenüber. Ich habe in den drei Monaten bei Next Topmodel sehr viel über mich gelernt.

sueddeutsche.de: Was war die wichtigste Lektion von Bruce?

Meier: Er hat wahnsinnig viel Respekt vor Menschen. Egal, welchen Job sie haben, und egal, ob die Kamera eingeschaltet ist. Das hat mir sehr imponiert.

sueddeutsche.de: Ist Bruce ein besserer Lehrer als Heidi Klum?

Meier: Beide sind gut. Von Heidi habe ich Tipps bekommen, die einem als Model in der Realität weiterhelfen.

sueddeutsche.de: Wussten die beiden von Ihrer Mathematik-Leidenschaft?

Meier: Ja, sie haben die Mathematik als Ursache dafür ausgemacht, dass ich nicht aus mir herausgehe. Sie sagten, ich solle die Mathematik dort lassen, wo sie hingehört, und nicht versuchen, alles zu erklären. Es nützt ja auch nichts, über die Ursachen von Emotionen nachzudenken, die sind einfach da.

sueddeutsche.de: Herr Lesch, es gibt ja nicht viele Physiker, die wie Sie in der Öffentlichkeit stehen. Finden das eigentlich alle Kollegen toll, was Sie machen?

Lesch: Es hat mir noch keiner ins Gesicht gesagt: "Was du machst, ist - !" Bis jetzt erlebe ich nur Schulterklopfen. Meine These: Naturwissenschaft wird interessant, wenn man versteht, warum jemand etwas erforscht. Der Gegenstand selbst ist oft langweilig.

sueddeutsche.de: Der Standardvorwurf würde lauten, Sie betrieben Populärwissenschaft.

Lesch: Mein Anspruch ist, korrekt zu bleiben, egal wie hoch oder niedrig das Niveau der Erklärung ist. Ich versuche immer, Dinge so rüberzubringen, dass sich jemand daran erinnert.

sueddeutsche.de: Sie haben noch einen Beruf: Sie sind Kabarettist.

Lesch: Ich habe einmal in der VHS-Theatergruppe meiner Frau einen Massenmörder gespielt, und schon war ich verloren. Kabarett und Wissenschaft kann ich nicht mehr trennen: Eine große Vorlesung, Jaaa!, was für eine Bühne. Das liebe ich sehr. Ich würde nicht sagen, dass ich Exhibitionist bin - aber eine Rampensau, das ja.

sueddeutsche.de: Sie wechseln jetzt zum ZDF. Wird Ihre Sendung dort so schlicht bleiben wie bisher? Eine Tafel, kein Skript? Oder wird man Ihnen Teleprompter und High-Tech-Studio aufzwingen?

Lesch: Ich übernehme ja das einstige "Abenteuer Forschung" von Joachim Bublath, und da wird es natürlich Einspieler geben. Und ich muss mal sehen, wie ich...

sueddeutsche.de: ...dem ZDF Purismus beibringe...

Lesch: ...ja, genau, wir arbeiten daran. Das wird gut. Am 3. September läuft die erste Folge.

sueddeutsche.de: Sie werden doch Ihre Fans nicht enttäuschen und Ihre Sendungen in Bayern Alpha aufgeben?

Lesch: Ich würde gerne weitermachen mit "Alpha Centauri": In der alten Sternwarte sitzen, über String-Theorie oder anderes abgedrehtes Zeug reden. "Vom Urknall zum Gehirn" und so weiter.

Meier: Schade, dass ich das interessante Gespräch nun nicht weiterführen kann und ich die mathematische Insel nun leider verpassen muss. Mein nächster Job wartet bereits auf mich...

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