Interview:"Ich bin ja gar kein Girlie mehr"

Lesezeit: 5 min

Jessica Schwarz, Ex-Viva-Moderatorin und Schauspielerin, über Lampenfieber, fehlende Schneidezähne und Verliebtsein.

Von Sven Siedenberg

Sommerregen in Berlin. Wir sitzen unter der Markise der "Bar Gagarin". Sie trägt weiß-rote Turnschuhe und eine verwaschene Jeans. Immer wieder kommen Freunde vorbei, werden gegrüßt und in einen kurzen Plausch verwickelt. Immer wieder klingelt das Handy, weil es viel zu bequatschen und zu verabreden gibt. Mal sehen, ob wir es schaffen, kein einziges Wort über den Schauspieler und Lebensgefährten Daniel Brühl zu verlieren, die beiden sind ja das Traumpaar des deutschen Films...

Möchte "das Aufgeregtsein zu 100 Prozent fühlen": Jessica Schwarz. (Foto: Foto: AP)

SZ: Wie fühlen Sie sich gerade?

Jessica Schwarz: Gut, wieso?

SZ: Keine schwitzenden Hände?

Schwarz: Nein.

SZ: Kein schlotterndes Knie?

Schwarz: Nee.

SZ: Kein rasendes Herz?

Schwarz: Auch nicht.

SZ: Sie sind also total entspannt...

Schwarz: Ja.

SZ:Schön. Dafür bin ich gerade ziemlich aufgeregt.

Schwarz: So? Merkt man gar nicht.

SZ: Wegen des Aufnahmegerätes. Es ist neu und kommt heute das erste Mal zum Einsatz. Könnte sein, dass es gar nicht funktioniert...

Schwarz: Ich habe mal ein Radio-Interview gegeben, drei Stunden hat das gedauert. Am Ende stellte sich heraus: Das Gerät hat überhaupt nichts aufgenommen.

SZ: Ich sag's doch! Das ist der Horror eines jeden Journalisten!

Schwarz: Ich wollt' Sie jetzt nicht beunruhigen.

SZ: Schon gut. Ist Lampenfieber eigentlich ansteckend?

Schwarz: Ich glaube schon. Die ganze Anspannung, die vor einem Auftritt in einem steckt, überträgt sich auf die Tontechniker, auf die Kameraleute, auf die Aufnahmeleiter. Je näher der Moment des Auftritts heranrückt, desto schlimmer wird's.

SZ: Egal, wie gut man sich vorbereitet hat...

Schwarz: Man ist immer aufgeregt vor einem Auftritt, auch wenn man gut vorbereitet ist. Andererseits sind Proben schon sehr hilfreich. Komplett ins kalte Wasser geworfen zu werden, ist brutal.

SZ: Gibt es einen Unterschied zwischen Schauspieler-Lampenfieber und Moderatoren-Lampenfieber?

Schwarz: Ich glaube nicht.

SZ: Ist das Lampenfieber bei Live-Auftritten nicht am schlimmsten?

Schwarz: Nicht unbedingt. Auch bei einer Filmaufnahme will man ja keine Fehler machen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Leute da sind, desto mehr Lampenfieber hab ich. Und wenn Leute im Publikum sind, die mir nahe stehen: Da werde ich total nervös.

SZ: Schon mal einen Blackout gehabt?

Schwarz: Bei der letzten Berlinale hatte ich einen kompletten Aussetzer. Alles verschwamm vor meinen Augen und ich dachte, ich fall' jetzt gleich in Ohnmacht. Ich musste dann auf meine Notizen gucken, um zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Sowas passiert aber meistens nur bei kurzen Auftritten. Steht man länger auf der Bühne oder vor der Kamera, fängt man meistens an, sich wohlzufühlen.

SZ: Ist ein guter Regisseur einer, der Ihnen die Nervosität nimmt?

Schwarz: Ja.

SZ: Ist Dominik Graf ein guter Regisseur?

Schwarz: Absolut.

SZ: Lampenfieber, sagen die Psychologen, ist ein biologisches Warnsystem: es schützt vor hoffnungsloser Überforderung.

Schwarz: Ja, es schützt einen vor sich selbst.

SZ: Otto Sander bekämpft sein Lampenfieber mit 20 Minuten Tiefschlaf. Meret Becker braucht Champagner vor dem Auftritt. Der Tenor Caruso roch stets an einem Fläschchen mit Orangenessenzen. Was machen Sie?

Schwarz: Ich fange an, schwer zu atmen und fluche vor mich hin. Manchmal sage ich auch meine Texte nochmal laut auf. Dann wird jeder, der gerade in meiner Nähe steht, einfach zugeschwallt von mir.

SZ: Helfen Baldriantropfen?

Schwarz: Keine Ahnung. Nehme ich nicht.

SZ: Helfen die Fünf Tibeter?

Schwarz: Wer?

SZ: Das ist so eine asiatische Jetzt-komm-mal-wieder-auf-den-Boden-Kunst.

Schwarz: Interessant.

SZ: Hilft Yoga?

Schwarz: Vielleicht würde mich eine solche Entspannungstechnik tatsächlich ruhiger machen. Weil ich aber eine eher impulsive Person bin, würde mich das womöglich auch verfälschen. Das will ich aber nicht. Ich möchte das Aufgeregtsein zu 100 Prozent fühlen.

SZ: Wirkt Lampenfieber stimulierend?

Schwarz: Absolut. Es ist wie eine Droge. Ich glaube auch, dass Moderatoren, die auf die Bühne rausgehen und kein Lampenfieber haben, das Publikum nicht mitreißen können.

SZ: Dann stimmt, was Mario Adorf sagt. Er sagt, dass er ohne Lampenfieber nur halb so gut wäre.

Schwarz: So ist es, ja.

SZ: Nimmt die Aufregung im Lauf der Jahre ab?

Schwarz: Sie nimmt komischerweise zu. Sie scheint eine unheilbare Berufskrankheit zu sein.

SZ: Was ist eigentlich so toll daran, im Rampenlicht zu stehen?

Schwarz: Manchmal ist es gar nicht so toll. Ich stand halt schon als Kind auf der Bühne, habe Karnevalsballett gemacht, dann rhythmische Sportgymnastik. Man muss ein Typ dafür sein. Man muss es mögen, sich zu zeigen.

SZ: Für unsere älteren Leser: Was ist ein Girlie?

Schwarz: Ein Mädchen, das auffallen will, gerne im Mittelpunkt steht, verspielt und albern ist.

SZ: Gehört Coolsein dazu?

Schwarz: Schon auch, klar.

SZ: Coolsein ist das Gegenteil von Lampenfieber.

Schwarz: Seit ich nicht mehr für Viva moderiere, bin ich ja gar kein Girlie mehr. Bin auch ganz froh darüber. Ich fühle mich wieder freier.

SZ: Lacht es sich mit falschen Schneidezähnen leichter oder schwerer?

Schwarz: Ich habe mindestens zwei Jahre lang nur mit vorgehaltener Hand gelacht. Das war echt übel. Zumal die beiden ersten künstlichen Zähne so schlecht gemacht waren, dass ständig einer rausfiel oder stecken blieb. Besonders schlimm war es bei meinem Urlaub auf Bali: Da habe ich einen Zahn beim Baden verloren. Ich lief dann tagelang mit nur einem Schneidezahn herum. Inzwischen lacht es sich wieder sehr gut.

SZ: Warum sind die eigentlich nicht mehr echt?

Schwarz: Es ist eigentlich viel zu peinlich, um es zu erzählen. ... Okay. Als Schulmädchen wollte ich gucken, was passiert, wenn ich beim Fahrradfahren meinen Fuß vorne in die Speichen stecke.

SZ: Ein klarer Fall von Übermut.

Schwarz: Ich bin oft übermütig.

SZ: Sind Sie gar nicht ängstlich?

Schwarz: Irgendwie nicht.

SZ: Höhenangst?

Schwarz: Nein.

SZ: Bindungsangst?

Schwarz: Überhaupt nicht. Ich klammer' eher.

SZ: Aber Prüfungsangst, oder?

Schwarz: Gewaltig sogar. In der Schule konnte ich teilweise nicht mehr atmen. Echt schlimm. Und vor engen Wendeltreppen fürchte ich mich.

SZ: Wir machen jetzt ein kleines Spiel. Sie kennen das aus Ihrer Viva-Zeit. Sie können Punkte vergeben auf einer Skala von eins bis zehn. Eins ist wenig Lampenfieber, zehn ist viel Lampenfieber. Ich nenne die Stichwörter, Sie vergeben die Punkte. Sind Sie bereit?

Schwarz: Ja.

SZ: Der erste Sprung vom Drei-Meter-Brett?

Schwarz: Bin da, wie immer, einfach drauflos gelaufen. Drei Punkte.

SZ: Der erste Kuss?

Schwarz: Kam nicht von mir aus, kam total überraschend. Null Punkte.

SZ: Die erste Zigarette?

Schwarz: War verboten, weil noch viel zu jung. Versteckt hinter einem Busch, und dann trotzdem erwischt worden. Sieben Punkte.

SZ: Der erste Ausflug in die Großstadt?

Schwarz: Sehr aufregend. Bin das erste Mal U-Bahn gefahren, ganz alleine. Acht Punkte.

SZ: Der erste Engtanz?

Schwarz: Nervös, weil verliebt. Sechs Punkte.

SZ: Der erste Joint?

Schwarz: War reine Neugier. Null Punkte.

SZ: Die erste Autofahrt?

Schwarz: Da hatte ich echt Schiss. Ich habe mich nicht einmal getraut, das Radio anzustellen. Acht Punkte.

SZ: Die erste eigene Wohnung?

Schwarz: War eine Modell-WG. Endlich Freiheit. Zehn Punkte.

SZ: Das erste Shooting als Modell?

Schwarz: Hatte mich vorher verfahren und kam viel zu spät. Neun Punkte.

SZ: Das erste Interview?

Schwarz: Habe fast kein Wort rausgebracht. Acht Punkte.

SZ: Die erste Verlobung?

Schwarz: War so aufgeregt, dass ich erst am nächsten Tag, als alles vorbei war, richtig weinen konnte. Zehn Punkte.

SZ: Fühlt sich Verliebtsein so an wie Lampenfieber?

Schwarz: Nein. Es ist viel schöner. Verliebtsein ist Glück, Lampenfieber ist Angst.

SZ: Ich mach dann mal das Gerät aus, okay?

Schwarz:Hat es denn aufgenommen?

Jessica Schwarz wurde am 5. Mai 1977 in Michelstadt/Odenwald geboren. Mit 16 gewinnt sie die Wahl des Bravo-Girls, ein Jahr später beginnt sie eine Modellkarriere. Im Februar 2000 moderiert sie erstmals für Viva die Sendung "Interaktiv", später auch das Kinoformat "Film ab". Im selben Jahr wird sie von Benjamin Quabeck für seinen Spielfilm "Nichts bereuen" engagiert. Seit 2002 macht Jessica Schwarz nur noch Gast-Moderationen ("Wetten, daß... Online", Verleihung des Deutschen Filmpreises, First Steps Award) und konzentriert sich auf die Schauspielerei. Ende dieses Monats beginnen die Dreharbeiten zu Dominik Grafs neuen Kinofilm "Roter Kakadu", in dem sie die weibliche Hauptrolle "Luise" spielt, eine junge Prosaschreiberin in der DDR, die im Jahr 1961 vor die Wahl gestellt wird, in den Westen zu gehen oder zu bleiben

© SZ vom 10.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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