Interview: Hollywoodstar Tim Robbins:"Schweigen? Ich würde mir wie ein feiges Arschloch vorkommen."

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Tim Robbins, erfolgreicher Schauspieler und Regisseur, hat gerade mit Clint Eastwood "Mystic River" gedreht. Das Interview nutzt er, um ein paar kritische Bemerkungen über das politische Klima in seinem Land zu machen.

Er weiß, wie das ist, wenn man die Seiten wechselt, sich vor der Kamera als Schauspieler betätigt und hinter der Kamera als Regisseur. Seine Filme "Bob Roberts" und "Dead Man Walking" sind großartige Beispiele für engagiertes Hollywoodkino. Nun hat Tim Robbins erstmals mit einer Legende gearbeitet und hat mit Clint Eastwood "Mystic River" gedreht.

Eine Atmosphäre der Unterdrückung herrscht vor, grundlegende Rechte wurden abgeschafft, niemand traut sich mehr, den Mund aufzumachen gegen die Politik der Regierung, gegen den Krieg. (Foto: Foto: AP)

SZ: In "Mystic River" schultern Sie eine schwere Last: Sie spielen den Mann im Zentrum der Geschichte, der als Kind vergewaltigt wurde, dessen Schicksal wie ein Fluch über dem Working-Class-Viertel in Boston hängt . . .

Tim Robbins: Ja, es war ein dunkler Ort, an den ich mich begeben musste. Die Gefühle, die ich dort fand, waren nicht leicht zu ertragen. Andererseits aber muss ich sagen: Welche Chance für einen Schauspieler! Hier ist ein Mann, der innerlich zerstört ist, schon in der Körperhaltung und in der Sprache konnte ich das ausdrücken. Sein Schicksal wurde verschwiegen und ignoriert, er hatte keine Chance, es zu verarbeiten oder damit umzugehen. Nun ist er wie ein Dampfkessel, in dem es nach all den Jahren noch immer kocht, Druck und Wut und Hass haben sich aufgebaut und müssen irgendwann explodieren. Und trotzdem kann er nicht darüber sprechen. Oder die, die ihm zuhören sollten, verstehen ihn nicht.

SZ: War es schwierig, diese Tragödie im Studiosystem unterzubringen?

Robbins: Wenn es jemanden gibt, der das heutzutage hinkriegt, ist es natürlich Clint Eastwood. Er hat die Statur, wirklich erwachsenes Kino zu machen - und er hatte diesen faszinierenden Roman, in dem es sechs große, gleichwertige Rollen gibt. Dadurch war es möglich, gute Schauspieler zu kommen. Sean Penn, mit dem ich als Regisseur schon gearbeitet habe, halte ich für den Besten seiner Generation.

SZ: Wie haben Sie Eastwoods sprichwörtliche Effizienz erlebt?

RobbinsAls großes Geschenk. Man kommt in eine Familie von Menschen, die schon ewig miteinander arbeiten, voller Selbstvertrauen, Kreativität und Respekt. Es gibt null Ego an einem Eastwood-Set, null Gebrüll, null Verschwendung. Man weiß, dass man perfekt vorbereitet sein muss, weil alle anderen es auch sind. Man spürt Konzentration und trotzdem Lässigkeit. Dann dreht Clint ein, zwei Takes, im Höchstfall vielleicht sechs - und das war's. Du musst nichts aufsparen, du kannst von Anfang an alles geben, weil du weißt: Du wirst diese Szene nicht den ganzen Tag spielen. Das Gefühl der Befreiung, das ein Schauspieler dadurch empfindet, ist enorm.

SZ: Liefert der Film auch eine Metapher für Amerika?

RobbinsJa, betrachten Sie nur den Zustand meines Landes. Ich gehörte zu denen, die nach dem 11. September kurz dachten, vielleicht könnte etwas Gutes aus dieser Tragödie entstehen - mehr Zusammenhalt, weniger Kämpfe zwischen Reich und Arm, Schwarz und Weiß, Rechts und Links. Das Gegenteil ist passiert: Eine Atmosphäre der Unterdrückung herrscht vor, grundlegende Rechte wurden abgeschafft, niemand traut sich mehr, den Mund aufzumachen gegen die Politik der Regierung, gegen den Krieg. Unsere kriegerischen Operationen drohen sich ins Endlose auszudehnen. Und als die ersten Schauspieler etwas dagegen sagten, spielten die rechten Medien verrückt.

SZ: Was Sie aber nicht abgehalten hat. Sie und Ihre Frau Susan Sarandon gelten als liberale Vorkämpfer in Hollywood.

RobbinsJa, aber nur, weil es so wenige von uns gibt, die noch Position beziehen. Eine Minderheit von rechten Hetzpropagandisten, die viele Medien kontrollieren, erzeugt diese Stimmung. Wenn ich ein Statement abgebe, dann weiß ich genau, was passieren wird - manchmal sind diese Reaktionen einfach nur ermüdend. Aber dann denke ich mir, was es bedeuten würde zu schweigen. Ich würde mir wie ein feiges Arschloch vorkommen. Und damit kann ich, so blöd das vielleicht klingt, nicht leben.

© Interview: Tobias Kniebe / SZ v. 27.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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