Interview David Fincher:Und nirgendwo ist Licht

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David Fincher über Computertechnik, den unsichtbaren Dritten und seinen Film "Panic Room"

Interview: Anke Sterneborg

(SZ vom 18.04.2002)- Nach "Alien 3", "Se7en", "The Game" und "Fight Club" ist auch David Finchers neuer Film "Panic Room" eine tour de force für Helden, Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen. Anlässlich der Deutschland-Premiere war der interviewscheue Regisseur in Berlin.

Regisseur David Fincher. (Foto: N/A)

SZ: Sie haben mal gesagt, dass Sie nach "Jaws" nie mehr im Meer baden würden. So gesehen gibt es nicht viele Orte, an die sich inzwischen Ihre Zuschauer noch wagen könnten.

Fincher: Ganz so ernst habe ich das nicht gemeint, es gefiel mir einfach, dass ein Film eine so starke Reaktion auslösen kann. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ins Kino gehen, um sich besser zu fühlen und die wirkliche Welt zu vergessen. Ich werde gerne von Regisseuren wie Scorcese oder Tarantino gefordert.

SZ: Ihre Filme erzählen sehr finstere Geschichten. Gibt es etwas, was Sie dabei selbst herausfinden wollen?

Fincher: Ich will nicht vor Millionen von Zuschauern eine Therapiesitzung absolvieren. Andererseits stillt man natürlich immer die eigene Wissbegierde. "Se7en" wollte ich beispielsweise machen, weil ich die meisten Serienkillerfilme nicht angemessen grauenvoll fand.

SZ: Können Sie sich vorstellen, sich von einer Geschichte auch mal ins Licht locken zu lassen?

Fincher: Ich hatte lange Zeit vor, einen Film über den Zweiten Weltkrieg machen ...

SZ: ... das klingt nicht nach Licht ...

Fincher: ...aber es ist auch nicht so düster wie meine anderen Filme. Es wäre eine sehr geradlinige Geschichte geworden, über einen Mann, der eine Guerillaarmee aufstellen will. Im letzten Jahr wollte ich dann eine romantische Komödie machen - nun, vielleicht nicht romantisch, aber eine Sex-Komödie, die den Produzenten mit 60 Millionen Dollar dann zu teuer war.

SZ: Sie sind bekannt dafür, ein Kontroll-Freak zu sein, machen aber Filme über Leute, die die Kontrolle verlieren.

Fincher: Alle Dramen handeln vom Kontrollverlust und vom Versuch, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Als Regisseur versuche ich, das Maß an Dingen, die falsch laufen können, so stark wie möglich zu begrenzen - was unmöglich ist, wie dieser Film bewiesen hat.

SZ: Wird die Arbeit durch Computertechnik - da gleitet die Kamera sogar durch ein Schlüsselloch und den Griff einer Kaffeekanne - eigentlich leichter?

Fincher: Nein, im Gegenteil. Die Szene über die Sie sprechen, dauert im Film zweieinhalb Minuten. Normalerweise dreht man soviel in zwei Tagen. Wir haben in sieben Tagen neun unterschiedliche Kamerapositionen und etwa 2000 Einzelbilder gedreht, davor zwei Monate Planung gebraucht, und danach neun Monate, um das zusammenzusetzen: Nein, daran ist nichts leicht, und diese zweieinhalb Minuten haben alles in allem, mit Dreh und Postproduction, etwa eineinhalb Millionen Dollar gekostet. Aber man darf sich nicht beschränken. In der Realität wäre diese Fahrt eben gar nicht möglich gewesen.

SZ: Es gibt zur Zeit eine Menge Regisseure, die mit ihren kleinen Digitalkameras in die Welt gehen, um rohe Gefühle einzufangen: Könnte Sie das reizen?

Fincher: Vielleicht, ich habe die Rechte an einer Geschichte, bei der ich so etwas im Kopf habe. Ich bin sicher nicht so dogmatisch wie die Jungs aus Dänemark. Das ist ein schönes Ideal, aber beim Filmemachen sollte man flexibel sein. Ich könnte mir aber vorstellen, etwas sehr Einfaches, Reines zu machen.

SZ: Haben Sie nach Ihren schmerzlichen Erfahrungen mit "Alien 3" gelernt, das Biest zu zähmen?

Fincher: Ich arbeite nach einem ganz einfachen Prinzip: sehr genau wissen, was man will - und keinen Ersatz akzeptieren.

SZ: Sie konfrontieren Ihre Schauspieler mit einer komplexen Situation, in der sie eher re-agieren als agieren müssen.

Fincher: Reagieren ist doch genau das, worum es beim Schauspielern geht. In der Regel sind meine Sets nicht besonders aufregend für die Schauspieler, weil ich von ihnen verlange, auf sehr viele Dinge sehr genau zu achten: Wir drehen in einem Raum, in dem es kaum Licht gibt, und wenn sie ihre Kreuzchen am Boden nicht ganz genau treffen, dann sehen wir sie gar nicht. Das ist sehr ermüdend für die Schauspieler, hinzu kommt, dass wir zehn, zwölf Stunden täglich drehen. Bei mir geht niemand abends nach Hause und sagt: "Hey das war gut, ich glaube ich hab's genau getroffen ..."

SZ: Glauben Sie, dass sich durch den 11.September das Klima für einen Film verändert hat, der von extremer Sicherheit handelt?

Fincher: Das sehe ich nicht so. Im Kern handelt dieser Film von sehr einfachen Urängsten: Es ist dunkel, du bist in einem neuen Haus, von dem du noch nicht weißt, wie es sich im Alltag anhört. Wenn man da nachts ein Geräusch hört, fragt sich jeder Mensch zuerst, ob das dazugehört, und ob er in Gefahr ist. Das ist universell für Männer, Frauen, Kinder.

SZ: Von der Titelsequenz, die an "Der unsichtbare Dritte" erinnert bis zur Schlußmusik, die Motive von Bernard Herrmann aufnimmt, gibt es in "Panic Room" viele Referenzen an Hitchcock. Was bedeutet er Ihnen?

Fincher: Nichts.

SZ: Im Ernst?

Fincher: Man kann keinen Film machen, der in einem einzigen Haus spielt, mit einem Fenster, durch das man die Menschen in den Wohnungen gegenüber sieht, ohne sich auf Hitchcock zu beziehen. Jeder Film mit klassischen Suspense-Elementen ist ihm verpflichtet, weil er die führende Koryphäe auf dem Gebiet des Thrillers ist. Und so wie in "Panic Room" geht es auch bei ihm immer um Beobachtung und Interpretation. Man sieht etwas und zieht seine Schlüsse daraus - das Kino in seiner Urform.

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