Internetvideo der Woche:Van Gogh mit Riesenohren

Echt rüsselgemalt, aber man glaubt es erst, wenn man es sieht: Ein Elefant malt ein Selbstporträt. Dies und weitere Rüssel-Kunststücke in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Wenn sie nicht arbeiten müssen, sind Elefanten nicht anders als gewöhnliche Desperate Housewives: Sie suchen sich ein "kreatives Hobby", nehmen also den Pinsel in den Rüssel und beginnen zu malen. Davon gleich mehr, doch zunächst muss vom so biegsamen wie festen Muskelschlauch gesprochen werden, mit dem der Elefant wahre Wunder vollbringt: sein Rüssel. Er ist im Laufe der Evolution aus dem Zusammenwachsen von Nase und Oberlippe entstanden und dient als Waffe, als Saug- und Druckpumpe (zur Staub- wie zur Wasserdusche), als Greifhand oder gar als Schnorchel beim Tauchen.

Die Grundfaszination, die andere Säugetiere auf den Menschen ausüben, wird am Rüssel besonders deutlich: Man hat dieses Organ am eigenen Körper, aber plötzlich steht es einem in völlig anderer Form gegenüber - ein Rüssel, das ist eine menschliche Nase in einem surrealen Traum. Und die Nasenfertigkeit des Elefanten erstaunt stets aufs Neue: Es gehört zu den größten Momenten des kindlichen Zoobesuchs, den feinsinnigen Umgang des mächtigen Tieres mit einer winzigen Erdnuss zu sehen, die er sich an die richtige Stelle bläst, um sie dann mit den weichen, handpuppenartigen Ausstülpungen am vorderen Rüsselende aufzunehmen und ins Maul zu werfen.

Diese Tête-à-Têtes am Zoo-Zaun zeigen, wie nah sich Mensch und Tier sein könnten und wie fremd sie sich doch sind: Die einzige Form der Kommunikation ist die Kontaktaufnahme via Futter, wie es ein Kind im Clip "Elephant Burp" versucht. Man hört, wie der Snack mit einem Zischen in die Pipeline gesaugt wird, als gebe das Kind eine Rohrpost auf. Als postwendende Antwort folgt das seltene Geräusch, das man nur in der intimen Zoo-Situation wahrnehmen kann: Der Elefant stößt auf, der Rüssel wird zum Schalltrichter, der das Aufstoßen in einen tiefen Tubaton verwandelt. Nachrangig ist die Frage, ob der Rülpser echt oder akustisch manipuliert worden ist, denn Elefanten sind zu ganz anderen Kunststückchen in der Lage.

So sorgt das Sujet des Clips "Elephant Paints Self Portrait" allseits für Erstaunen. Das will man sehen, bevor man's glaubt: "Ein Elefant, der sich selbst malt - sind wir das nicht alle irgendwie", raunt eine Kollegin mit existenzialistischer Tiefe. Ja, solche feinen Kolleginnen arbeiten bei sueddeutsche.de.

Schauen wir also gemeinsam der Präzisionsarbeit des Elefanten im Kunstressort zu: Als quasi natürliche Fortsetzung des Rüssels zaubert der Pinsel eine fragile Zeichnung aufs Papier. Scheinbar selbstvergessen klappt die Kinnlade herunter, das ganze Gewicht seines Gemüts, ja, das Herz des Elefanten liegt in der Pinselspitze.

Noch größer als sein Werk ist das Gesamtbild des Elefanten an der Staffelei: Die tierische Selbstreflexion wird auf die Spitze getrieben, indem er eine Blume malt, die er im Rüssel trägt, und so das Besondere des Gemäldes, seine Rüsselgemaltheit und die Elefantenhaftigkeit des Künstlers betont.

Im Netz streitet man darüber, wie authentisch der Clip ist und ob die Elefanten durch brutalen Drill zum Malen gezwungen werden. Aber so beschwingt, wie der kreativ umgeschulte Arbeitselefant sein Malköfferchen zur Pleinair-Sitzung trägt, sieht das Ganze eher nach freudigem Tun aus. Zumindest profitieren andere Elefanten vom kommerziellen Erfolg der Elefantenkunst, die im Rahmen der asienweiten Benefiz-Aktion "The Asian Elephant Art & Conservation Project" entsteht: Das Bild Nr. 0002 aus der Selbstporträt-Serie des Elefanten Hong wurde soeben für 500 Dollar verkauft.

Über malende Elefanten ist schon früher berichtet worden. Doch erst im Internetvideo hat das Thema sein Medium gefunden: Kein Fernsehprogramm würde die achteinhalb Minuten senden, in denen das Bild entsteht. Doch dieser wohl von einem Touristen gedrehte Film zeigt die Kontemplation und die Beharrlichkeit, mit der der Elefant in aller Ruhe ein Bild von seiner Art skizziert, den Pinsel immer wieder neu ansetzt, und geübte Linien aufs Papier bringt, bis sie sich bei Filmminute 1:50 sinnvoll zu fügen beginnen. "Oh, my God", hört man einen verblüfften Zuschauer ausrufen.

Wie Schimpansen oder Delfine haben Elefanten ein Bewusstsein von sich selbst und erkennen sich im Spiegel. Der 18-jährige Elefant Kosik aus dem Zoo Seoul wurde berühmt, weil er "sprechen kann": Wie beim Pfeifen auf Fingern steckt er seinen Rüssel ins Maul und ahmt die koreanische Sprache nach: Selten hat man mit ähnlicher Faszination eine Fernsehsendung und ihre wissenschaftliche Erklärungsästhetik - Computerlabore, Grafiken, Anzugträger im Zoo - bestaunt, obwohl man die Sprache nicht versteht. Denn in "Talking Elephant, Korean", ist das Nichtverstehen Programm: Schließlich weiß man ja auch nicht, welche Gedanken die Lautäußerungen des Elefanten auslösen.

Genauso wenig weiß man, ob die eigenen Worte für andere das ausdrücken, das man zu sagen beabsichtigt: Sollten wir tatsächlich alle Elefanten sein, die sich selbst malen? - Törö!

"Das Leben der Anderen" live auf der Bühne, am Freitag, dem 11. April 2008, um 22 Uhr im Neuen Haus der Münchner Kammerspiele: Christian Kortmann stellt die besten Internetvideos vor und diskutiert mit Matthias Günther, Dramaturg an den Münchner Kammerspielen, über aktuelle Netzphänomene.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

Ein Dankeschön für den Hinweis auf den malenden Elefanten an den Leser Ole.

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