Internetvideo der Woche:Glitzergöttin im Trompeteninferno

Lesezeit: 3 min

Großartig gescheitert: Wir haben weitere schreckliche Cover-Versionen gesichtet und eine Marillion-Karikatur sowie die schlechteste Studio-Aufnahme aller Zeiten gefunden.

Christian Kortmann

Das Bewegtbilderanbaugebiet YouTube ist auf dem Feld der Cover-Versionen besonders reich bestellt: Kürzlich widmeten wir uns an dieser Stelle schaurig-schönen Werken, die dem Originalsong Gewalt antun, ihn verdrehen und verwinden und den letzten Tropfen Essenz herausquetschen wie aus einem T-Shirt der Band Oasis nach der Handwäsche im Hotelwaschbecken, so dass der Oasis-Schriftzug beim Trocknen ganz verzerrt auf dem Bügel hängt. Im Zentrum der Überlegungen stand die akustische Karikatur von "The Final Countdown", eine bemerkenswert publikumslose Live-Interpretation von Europes Welthit durch eine Nachwuchsband. Weitere Recherchen und Hinweise von Lesern beförderten nicht minder erstaunliche Artefakte zu Tage.

"Schlecht gecovered, und nichts gewonnen", schreibt uns Sonke P. und empfiehlt die bestechende Fassung von "White Russian", einem Song der Band Marillion. Marillion gelangen in den 1980ern zwar einige operettenhafte Rockhymnen, getragen vom Gesang des Sängers Fish, sie mussten jedoch mit dem Vorwurf leben, reine Genesis-Epigonen zu sein.

Die Klammer einer charismatischen Stimme fällt in der Cover-Version der Band Common Ground weg, denn der Sänger kennt zwar die korrekte Abfolge der Wörter des Textes, ist mit der melodiösen Intonation jedoch überfordert. In den YouTube-Kommentaren wird er für sein kieksendes Überspringen und brummendes Unterfliegen der Fish-Messlatte vermöbelt: "Die vom Gesang nicht viel versteh'n, lassen auch am besten den."

Was soll's, schließlich geht es ihnen um Inhalte, denn wie die Ansage verdeutlicht, glaubt die Band an die Botschaft des Songs: "Keiner weiß noch, wo er hin soll - where do we go from here? 'White Russian.'" Als Vermittler des Hehren scheinen sie von ihrer Performance berauscht: Lightshow, Soundeffekte und Instrumentalparts sind opulent, jedoch fügen sich die Elemente nicht zur Einheit. Der Erkenntnisgewinn dieser Cover-Version liegt in einer unbeabsichtigten Übertragungsleistung: Jeder Marillion-Fan, der "White Russian" von Common Ground hört, versteht endlich, was die Genesis-mit-Peter-Gabriel-Fans fühlten, wenn sie Marillion hörten.

Auch Spence Peppard, Besitzer eines Aufnahmestudios in Nacogdoches, Texas, hat als Produzent schon einiges zu hören bekommen. Im Clip "Crazy - The Worst Studio Session Ever" macht er sich darüber lustig, indem er seine Rolle tauscht und auf der anderen Seite der schalldichten Scheibe ein Höchstmaß an Selbstüberschätzung vorspielt. Es sei immer sein Traum gewesen "Hardcore Country" zu singen, Johnny Cash trifft Pantera, eine Stilrichtung, die noch nicht existiert - und zwar aus gutem Grund, wie Spence anhand von Willie Nelsons Song "Crazy" beweist.

Das kann ja R2-D2 besser

Seine athletischen Lockerungsübungen - plötzlich sieht man die Füße in der Scheibe - machen den folgenden körperlichen Ausbruch erwartbar. Doch als er mit dem "Crazy"-Gebrüll einsetzt, zuckt man vorm Computer zusammen wie der Mann am Mischpult, der mit seinen Reglern gegen den Kontrollverlust ansteuert. Musik ist der Raum, in dem Ekstase möglich ist: Im Glaskäfig des Studios lebt Spence seine wildesten dreieinhalb Minuten aus.

Ganz verrückt vor Einsamkeit den Körper verrenkend, fallen ihm die Kopfhörer vom Kopf, mit Raumspray steigert er sich in sprühenden Wahn. Gegen Ende des Clips beweist er, dass er auch wunderbar harmonisch singen kann. So oder so, für den Mischpult-Mann ist es ein klarer Fall: Er greift sofort zum Telefon, um einen Plattenvertrag einzutüten.

Spence Peppard weist auf seiner YouTube-Seite auf eine andere beachtenswerte Cover-Version hin: Im Jahre 1993 trat die bedauernswerte Stacy Hedger, "Miss Douglas County, Arizona", mit einem "Star Wars Trumpet Solo" auf. Nach dem Mann, der die "Star Wars"-Titelmelodie mit Dudelsack und Darth-Vader-Maske spielt, fügt Stacy Hedger dem in der Nerd-Kultur populären "Krieg der Sterne"-Thema eine dadaistische Trompetenvariante hinzu: In hautengem Space-Suit und mit unmotivierten Glitzergehängen an den Armen muss sie in der Öffentlichkeit Trompete spielen, ohne es zu können - selbst das gesampelte Quietschen des Roboters R2-D2 klingt koordinierter.

Königin der Karikaturen

So weit alles feinster Grand-Prix-Eurovision-de-la-Chanson-Style, mag man auch angesichts der halb vom Ballett, halb pantomimisch inspirierten Choreografie denken, die Stacy einen Hauch von Halt verleiht. Doch spätestens, wenn sie in einer schauspielerischen Einlage mit der Trompete als Waffe durch den akustischen Hagel der Phaserkanonen schleicht, weiß man, dass selten ein Mensch mit einer grausameren Regie-Idee auf die Bühne geschickt wurde.

Es ist beruhigend, dass Stacy Hedger das Trompeteninferno heil überstanden hat und ihren so späten wie unfreiwilligen Ruhm nun zwar nicht unbedingt genießt, er ihr aber auch keine schlaflosen Nächte bereitet. "Ich dachte, ich hätte meine Sache gut gemacht", sagte sie kürzlich in einem Interview, und ihre Einschätzung war kein Irrtum: Im Genre der Cover-Karikatur hat sie es nach ganz oben gebracht.

Wir haben lange noch nicht genug gehört - Hinweise auf weitere großartig scheiternde Cover-Versionen bitte an: christian.kortmann.extern@sueddeutsche.de

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

© sueddeutsche.de/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: