Internetclip der Woche:Gib deinen Neurosen eine Chance!

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Achtung! Dieser Mann ist die Kalaschnikow der postmodernen Rhetorik: Ein lebendes Feuerwerk, das explodiert, um die Welt zu retten. Und Ihnen wird das Lachen im Halse stecken bleiben.

Bernd Graff

Man muss früher oder später auf die Videos von "2, The Ranting Gryphon" aufmerksam werden. Dieser Mann ist so etwas wie die Kalaschnikow der aktuellen Rhetorik. Ebenso unüberhörbar wie überhitzt. Gryphon, wie wir ihn nennen wollen, ist ein Redner vor dem Herrn, den seine adrenalingetriebene Botschaft zu zerreißen droht, wenn er sie nicht rauslassen kann - auch wenn er Semmeln in einer Bäckerei ordert.

Um diesen unglaublichen, unglaublich mitreißenden Furor seiner Rede weiß der barhäuptig-spitzbärtige Rhetor. Darauf hat er seinen Künstlernamen ausgerichtet. "Gryphon" ist der Greif, ein Fabelmischwesen aus Löwe und Adler, das uralte Symbol für die scharf blickende Klugheit und das Sehertum.

Und "Ranting" heißt soviel wie "geschwollen daherreden" auch "lärmend schimpfen". Mit anderen Worten: Der Mann produziert seine Elogen-Ekstasen nicht als Diskussionsbeiträge, die überzeugen wollen. Sie sind Überzeugung durch und durch, bevor er das erste Mal Luft geholt hat. Und seine Videos sind Inszenierungen dieser Überzeugungen.

So produziert "2, The Ranting Gryphon" so ziemlich das Gegenteil dessen, was Kleist einst "die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" genannt hat. Was aber produziert Gryphon dann?

Da gibt es einmal die als verbale Überwältigungskommandos geschnittenen Videos - etwa "Global Warming", das Video, das ihn berühmt gemacht hat.

Hier erleben wir den Gryphon gleich "at his best". Er geißelt die Menschheit dafür, dass sie den Treibhauseffekt trotz besseren Wissens zugelassen habe: "Holy crab! We're gonna burn."

Und malt dann genüsslich Untergangsszenarien, die wenigstens in der Hieronymus-Bosch-Klasse anzusiedeln sind: "The only things that will survive are lizards and Michael Jackson's nose." Oder: "You see that cute little bunnies hopping around your backyards - on fire?"

Dass man seiner in der Sache wenig erhellenden Predigt vom Weltende dennoch gerne zuhört, liegt an zwei rhetorischen Tricks. Einmal klagt er niemanden an - außer die gesamte Menschheit. "We asked for it", sagt er und meint mit der Adressierung in der ersten Person Plural also auch sich selber. Und zum anderen balanciert er seine virtuosen Bilder stets absturzgefährdet auf einer erstaunlichen Fallhöhe.

So legt er den Leugnern der vom Menschen verursachten Klimaveränderung in den Mund, dass sie die Erderwärmung in den Bereich des Mythos verdrängt hätten, für sie so unwahrscheinlich wie "Einhörner und Kevin-Costner-Filme, that don't suck." Oder: "Ich möchte ein Haus kaufen. Doch warte: Ich habe ja gar keine Luft zum Atmen mehr."

Es ist die uralte, von Ursprungs-Grünen in den achtziger Jahren fast zum Gründungsargument erhobene Hopi-Erkenntnis, dass eine tumbe Menschheit erst, wenn der letzte Baum gerodet sei, merke, dass man Geld nicht essen kann. Gryphons sprachlos machendes Schlussplädoyer: Kümmert euch um diese Erde! Denn ohne Erde werdet ihr niemals herausfinden, wer recht hat oder eben nicht.

Ein starkes Argument: Stellt sicher, dass wir auch in Zukunft unterschiedlicher Meinung sein können! Danach muss man erst mal schlucken.

Dass Gryphon immer so vehement druff ist - und sich das Tempo seines Stakkatos eben nicht nur den schnellen Schnitten seiner Videotakes verdankt, merkt man einem Mitschnitt von einer Live-Performance an, die von ähnlichem Enthusiasmus für krude Menschheits-Wahrheiten befeuert wird wie das Global-Warming-Video.

An wen erinnert Gryphon?

Die Grunderregung und das missionarisch Neurotische meint man von Woody Allen zu kennen. Mit Allen teilt er die Hingabe an die eigene Person, die Inbrunst in der Idiosynkrasie.

Die Neigung zum Absurden, die Fallhöhe der Reflexionen in die Niederungen des Alltags, das Zerzausen von Argumenten in wie willkürlich dahinwehenden Hirnstürmen aber erinnert an einen anderen Zivilisationsneurotiker: An den geschüttelt-nicht-gerührt-zuckenden David Byrne, der in den Achtzigern die Band Talking Heads mit seinen gesungenen Krisenpanoramen berühmt machte.

Die Welt ist im Dauer-Krieg. Jedenfalls für denjenigen, der sensibel genug den Alltag analysiert. Wie etwa Byrnes "Life During Wartime" oder "Road To Nowhere" oder "Once in A Lifetime" in dem Jonathan-Demme-Film "Stop Making Sense", in dem sich Byrne bei der Feststellung "Same as it ever was" nur noch mechanisch an die Stirn schlagen kann.

Auch Byrne zehrte wie Gryphon von unerschütterlichen Überzeugungen, die keiner Diskussion mehr bedürfen und darum nicht einmal mehr ausgesprochen wurden. Auch er nahm die Verheißungen unserer Erstwelt-Zivilisation ernst und wörtlich. Und er erkannte damit etwas, was das von jeder Reflexion ungetrübte Alltagsbewusstsein nicht wahrnehmen würde: die himmelschreiende Kluft zwischen Versprechen, Vernunft und Wirklichkeit.

Man kann also Byrne, Allen, Gryphon nur loben - dafür, dass sie niemanden mehr überzeugen wollen, weil ihre Welt noch in Ordnung ist. Weil sie darauf pochen, dass wenigstens für sie die Dinge in aller Rätselhaftigkeit immer noch klar sind - jedenfalls, wenn man sie durch eine so auffällig transparente Abend-Sonnenbrille sieht wie "2, The Ranting Gryphon".

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen.

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