Internet-Kongress:Die Wege der Anderen

Lesezeit: 4 min

Beim dritten Netzkongress im Volkstheater stehen Themen wie Datensicherung, Überwachung und Flüchtlingshilfe in Zeiten des Internets im Mittelpunkt

Von Christiane Lutz

Der Zündfunk Netzkongress, da sind sich die Besucher und die Twitternutzer nach dem Wochenende einig, entwickle sich immer mehr zu einer "Republica des Südens". Das ist natürlich ein Kompliment, denn die Republica, die jährlich in Berlin stattfindet, ist die größte und wichtigste Netzkonferenz Deutschlands. Der Netzkongress, veranstaltet von Bayern Zwei, maßgeblich von den Machern des "Zündfunk", hatte wieder ins Volkstheater geladen, um zwei Tage lang über Netzthemen zu debattieren. Wobei die Bezeichnung "Netzthemen" vielleicht noch immer nischiger klingt, als es die mehr als 40 Vorträge verschiedener Sprecher waren. Inzwischen beschäftigt sich jeder, der das Internet nutzt, irgendwann mit dem Thema Datensicherheit und Privatsphäre im Netz, den Möglichkeiten einer konstruktiven Debattenkultur in Foren und in Sozialen Netzwerken. Dazu gehört auch die negative Seite der Debattenkultur.

Letztgenannter Aspekt wurde vor allem in den vergangenen Jahren relevanter, seit immer mehr Menschen Facebook und Twitter nutzen und auch Medien ihre Artikel darüber verbreiten. Denn wo ein Thema oder eine Meinung veröffentlicht wird, welche, ist zunächst einmal egal, provoziert das im Netz regelmäßig unsachliche Kommentare. Durch die Distanz, die das Internet zwischen zwei Menschen bringt, fällt es vielen leichter, Beleidigungen in die Tastatur zu hauen, schließlich müssen sie dabei niemandem in die Augen sehen. "Trolls" nennt man Menschen, die im Netz ausschließlich auf Provokation und Beleidigung statt sachliche Diskussion aus sind. Mehrere Veranstaltungen widmeten sich dem Thema Kommunikation im Netz, der Psychologe und Mitglied des Chaos Computer Club Linus Neumann predigte in seinem Vortrag den richtigen Umgang mit Trollen, ausgehend von der These, dass jede Art von Reaktion auf die Pöbelei dem Gesagten zu mehr Aufmerksamkeit verhelfe und daher keine gute Idee sei. Seine Methode: Den Troll mit Witz und wenigen Worten entlarven. "Dem anderen genug Seil geben, damit er sich selbst daran erhängt", nennt er das. Die Teilnehmerinnen von "Hass oder Inspiration - was bringt das Netz Frauen mit Haltung?" besprachen das Thema aus weiblicher Perspektive. Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, Journalistin Kübra Gümüşay und die Initiatorin der Sexismusdebatte auf Twitter, Anne Wizorek, diskutierten, wie ihr bloßes Frausein in Kombination mit Veröffentlichungen auf Blogs und Sozialen Netzwerken regelmäßig zu Provokation und Beleidigungen führe und wie sie sich trotzdem den Spaß am Bloggen und Twittern nicht verderben lassen.

Aus feinen Kunststofffäden hat ein 3D-Drucker diese kleine Kugel gesponnen, ein Prozedere, das etwa eine halbe Stunde dauert. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Weiteres zentrales Thema des Kongresses war die Nutzung moderner Technik zu politischen Zwecken. Sei es, mit Hilfe von Facebook und Smartphone eine Flucht vorzubereiten (wie Zündfunk-Mitarbeiter Sammy Khamis ausführte), oder wie sich mithilfe Sozialer Netzwerke schnelle Flüchtlingshilfe in München organisieren lässt. Ron Schickler berichtete, wie freiwillige Helfer die Deutsche Bahn bei der Versorgung von Sonderzügen unterstützten, mit Wasser, Nahrungsmitteln und Baby-Artikeln; sie bauten neue Notunterkünfte auf, sammelten Schlafsäcke - unkompliziert organisiert mit Facebook und Doodle.

An der Grenze zwischen politischem Aktivismus und Kunst bewegt sich die Arbeit des Kollektivs Peng aus Berlin. Ähnlich wie die inzwischen bekannte Gruppe Zentrum für politische Schönheit organisiert Peng Kampagnen, mit denen es gegen gesellschaftliche oder politische Missstände vorgehen oder zumindest auf sie aufmerksam machen will. So startete Peng vor zwei Wochen die fiktive Kampagne um einen ebenso fiktiven Verein Intelexit, der Mitarbeitern von Geheimdiensten beim Ausstieg aus der Szene helfen soll, wenn sie in moralische Bedrängnis ob ihrer fragwürdigen Arbeit gerieten. Peng tapezierte Werbewände mit ihren Plakaten, ließ einen Werbe-Truck in den USA nahe des NSA-Hauptquartiers umherfahren und verteilten Flyer, die auf ihre Aktion aufmerksam machten. Darauf standen Sprüche wie "Listen to your heart - not to private Phone Calls." Mit Humor und bewusster Vermischung von Realität und Fiktion "wollen wir mit unserer Arbeit neue Formen und Taktiken des Protests schaffen", sagt der Aktivist von Peng, der seinen Namen nicht nennen mag. Eine Unterscheidung von Kunst und politischer Aktion ist für das Kollektiv nicht notwendig. Alle Kunst müsse ihrem Verständnis nach politisch sein. Doch auch für den Ernstfall hatten sie sich vorbereitet: Als sich tatsächlich ein paar Geheimdienstmitarbeiter meldeten, die aussteigen wollten, leitete Peng diese über sichere Kommunikationswege an Beratungsstellen weiter.

Überall leuchten die Displays: Was sonst im Theater gar nicht geht, ist beim Netzkongress erwünscht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass die Musikindustrie sich mit der Verbreitung von Streamingdiensten wie Spotify oder neuerdings Apple Music verändert, ist inzwischen bekannt. Längst werden auch die Daten der Musikhörer für die Industrie ausgewertet, erläutert Kevin Schramm, Journalist beim BR. Besonders Spotify geht dabei raffiniert vor. Das Unternehmen trackt buchstäblich alles, was ein Nutzer auf der Plattform so treibt: Wann er welchen Song hört, ob er ihn vielleicht skippt, also weiterdrückt, welche Musik er an welchem Wochentag anhört und zu welcher Uhrzeit in welcher Jahreszeit. Es mag absurd klingen, aber der Streamingdienst ist so in der Lage, Erkenntnisse über Lebensgewohnheiten seiner Nutzer zu gewinnen. Die Musikindustrie ist sehr neugierig, wie stark einzelne, noch unbekannte Künstler auf Streamingdiensten gespielt werden, und folgert daraus, ob es sich lohnen könnte, den Künstler unter Vertrag zu nehmen. Die neuseeländische Sängerin "Lorde" hatte Spotify, als sie feststellten, wie oft deren Hit "Royals" in Neuseeland gehört wurde, in eine populäre europäische Playlist platziert und der Künstlerin so zu ihrem endgültigen Durchbruch verholfen. Mithilfe von Spotify können Künstler herausfinden, in welchen Städten sie besonders häufig gehört werden und ihre Tour entsprechend planen. Musik ist mehr denn je knallhartes Business statt Kunst.

Den Besuchern des Netzkongresses ist klar, dass mit dem Internet nicht nur das Himmelreich auf die Erde gekommen ist. Der Preis der Freiheit ist an vielen Orten die Aufgabe der Privatsphäre. Es gelte also, gemeinsam Richtlinien für ein demokratisches Netz zu finden, in dem der einzelne geschützt wird. Für diese Freiheit lohnt es sich natürlich, zu kämpfen. Spätestens nächstes Jahr wieder.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: